Ein schnelles Leben

Heute feiert Krzysztof Zanussi seinen 81. Geburtstag. Wiederum möchte ich ihm dazu herzlich gratulieren. Seit dem Eintrag vom letzten Jahr kenne ich sein Werk ein wenig besser, aber immer noch nicht gut genug. Und obwohl ich inzwischen auch Aufnahmen gesehen habe, wo er einen Rollkragenpullover trägt, hat das meine Bewunderung für den exzellenter Geschmack, den er bei der Wahl seiner Anzüge und Krawatten beweist, nicht geschmälert.

Dieser Hang zur Eleganz verblüfft ihn wohl selbst. "Ich bin ein eher steifer Mensch", erklärt er 2004 in einer TV-Dokumentation, "und trage immer eine Krawatte. Ein Künstler mit Krawatte, selbst bei Dreharbeiten." Dies Porträt hat mein Staunen nur noch vergrößert. Er beherrscht acht Sprachen, hat drei Studien abgeschlossen (Physik, Philosophie, Regie) und in zahlreichen Ländern gedreht (von einem halben Hundert Theater- und Operninszenierungen ganz zu schweigen), ist dabei Geistesgrößen, Staatsmännern und Päpsten auf Augenhöhe begegnet. Er ist der einzige Regisseur, der 70 Filme mit demselben Komponisten (Wojciech Kilar) gedreht hat. So eine Gestalt könnte einschüchtern. Aber sein persönliches Auftreten und seine Filme zerstreuen diese Furcht nachhaltig.

Bleiben wir noch für einen Moment bei den bemerkenswerten Auskünften, die diese Dokumentation über ihn bereithält. Er sei sehr geradeheraus, meint seine Frau, seine Mutter habe ihn gut erzogen. Eine durchaus risikoreiche Eigenschaft für einen polnischen Regisseur seiner Generation. Maja Komorowska, die oft Hauptrollen bei ihm spielt (und immer wunderbar, was nicht zuletzt das Wiedersehen mit „Ein Jahr der ruhenden Sonne“ bestätigt hat), sagt zu ihm: "Ich bin wie deine Mutter, ich mache mir Sorgen, weil dein Leben ein so schnelles Tempo hat." Zanussi reist viel, erzählt danach seinen beiden Kindern immer ausführlich davon und versäumt es nie, ihnen etwas mitzubringen, das sie riechen oder schmecken können. Eigentlich, sagt er, müsste er Angst vorm Fliegen haben, aber er liebt es: "Vielleicht ist meine Phantasielosigkeit Schuld. Ich glaube an Statistiken."

Seine Filme, ich kann momentan allerdings fast nur über die der 70er sprechen, also unter anderem »Zwischenbilanz« und »Spirale«, besitzen den Vorzug enormer Zugänglichkeit. Das gilt besonders für »Tarnfarben«, der 1977 in Polen mehr Zuschauer als Coppolas »Der Pate« hatte. Dabei kam er kam ohne Werbung, ohne Plakate und Kritiken heraus. Der Erfolg verdankte sich einzig der Mundpropaganda: Die Leute hatten Angst, dass er jeden Moment verboten werden könnte. Die Zensur war seinerzeit zwar etwas liberaler, aber ihr Wesen ist ja die Unberechenbarkeit. Gleichviel, Zanussi gelang es, sie zu entwaffnen.

Ein Film über ein akademisches Sommerlager ist nicht unbedingt Blockbuster-Material, aber »Tarnfarben« führt seine einzigartige Gabe vor, ein präzis gezeichnetes Milieu auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse hochzurechnen. Auslöser des Films war sein Erstaunen über das Ausmaß an Korruption und Zynismus, von dem ihm Professoren und Studenten berichteten. Es ist ungemein spannend, wie Zanussi hier Geisteshaltungen und ethische Prinzipien in Konfrontation zueinander führt. Er hält freilich nicht nur Abstand zum akademischen Opportunismus und Hedonismus, sondern traut auch dem Idealismus seines jungen Helden, einem Linguisten, nicht über den Weg. Das hat eine auch ganz sinnliche Dimension: Fast mehr noch als seine Worte sind es Spiel und Mimik seines Gegenspielers und Mentors, die dessen Zynismus so unbezwingbar erscheinen lassen. Zanussis Kamerablick ist konzentriert, verliert aber nie den sozialen Hintergrund aus den Augen: Manchmal, wenn er mit langen Brennweiten dreht, gelingen ihm Studien zerrissener Gemeinschaften, die an Claude Sautet erinnern. Ich weiß, ein halsbrecherischer Vergleich, aber keiner, der einen von ihnen beleidigen würde.

Zanussi war damals schockiert, wie leicht ihm das Schreiben des Drehbuchs fiel: Das müsste eigentlich doch ein schmerzhafter Prozess sein. Auch das Tempo der Dreharbeiten war ihm nicht geheuer, es waren seine kürzesten, dauerten nicht einmal 20 Tage. Auf dem Festival von Gdansk gewann sein Film 1977 den Hauptpreis, aber Zanussi blieb der Preisverleihung aus Empörung fern, weil »Der Mann aus Marmor« seines Freundes Andrzej Wajda übergangen worden war. »Tarnfarben«, in dem die akademische Hackordnung die der gesamten Gesellschaft spiegelt, veraltet nicht, wie der Regisseur selbst findet. "Als Künstler bin ich glücklich", sagt er iim Bonusmaterial der britischen DVD-Ausgabe (erschienen bei dem verdienstvollen Label "Second Run"), "aber als Staatsbürger bin ich sehr traurig."

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