Ein Melankomiker

Jean-Loup Dabadie besaß ein einzigartiges Talent, das Banale in Poesie zu verwandeln. Seine Kunst, Epigramme in Alltagssprache zu verfassen, konnte man gerade gestern Abend noch erleben, nur wenige Stunden, nachdem er mit 81 Jahren in Paris gestorben ist.

Als Hommage an Michel Piccoli hatte arte »Die Dinge des Lebens« ins Programm genommen, in dem einer der unvergesslichen Sätze dieses Drehbuchautors fällt. "Ich will keine Insel, die ausgedient hat", sagt Romy Schneider zu Piccoli, als er ihr einen Urlaub auf der Ile de Ré vorschlägt, wohin er immer mit seiner Ehefrau Léa Massari verreiste. Welches Privileg, ein solch definitiven Satz in den Mund gelegt zu bekommen! Einen, der demonstriert, wie genau eine Figur sich selbst kennt und wie klar sie die Beziehung begreift, in der sie steht. Es kommt nicht oft vor, dass gleich zwei französische Kulturminister (der aktuelle, blasse und Jack Lang, der wohl genau aus diesem Grund in letzter Zeit immer häufiger zu Wort gebeten wird) zum Tod eines Drehbuchautors kondolieren. Das Konzert der Trauernden ist vielstimmig, gerade so wie Dabadies beste Filme.

Denn Dabadie war das, was man in Frankreich einen "touche-à-tout" nennt, ein Tausendsassa. In seinem Fall: ein Tausendsassa des Wortes. Mit 19 veröffentlichte er seinen ersten Roman, arbeitete als Journalist und fürs Fernsehen, schrieb Bühnen- und Fernsehsketche für Guy Bedos (der später das vierte Rad am Wagen in den Ensemblekomödien »Ein Elefant irrt sich gewaltig« und »Wir kommen alle ins Paradies« war, die Dabadie für Yves Robert schrieb), verfasste und adaptierte mehrere Theaterstücke. Ins kollektive Gedächtnis Frankreichs ging er jedoch vor allem als Liedtexter und eben Drehbuchautor ein. Über dreihundert Chansons hat er geschrieben, für die großen Interpreten der Nachkriegsgeneration (Barbara, Juliette Gréco, Yves Montand, Serge Reggiani, auch für unsere Mireille Mathieu) , danach einige für Jacques Dutronc, Johnny Halliday sowie Sylvie Vartan und jede Menge für Julien Clerc und Michel Ponareff.

Als er Ende der 60er Sautet kennenlernte, war er schon ein ziemlich gewiefter Szenarist. Den Regisseur beeindruckte, wie gewissenhaft er an jedem Satz feilte: wie ein Goldschmied, der seine Kunstfertigkeit stolz verbirgt. Als Romy Schneider in »Die Dinge des Lebens« die richtige Übersetzung für das Verb "affabuler" sucht, hat man fast den Eindruck, in diese Werkstatt der Genauigkeit zu blicken. Gemeinsam etablierten Sautet und Dabadie einen gleichsam musikalischen Stil, der nach den Figuren klang und nicht nach den Autoren. Dabadie fungierte dabei auch als das euphorische, lebensbejahende Gegengewicht zu Sautets Pessimismus. Dieses schöpferische Tauziehen spürt man in »Vincent, Paul, Francois und die anderen«, wo ihr Co-Autor Claude Néron die düstere Sicht auf die Figuren mit großer Heftigkeit unterstreicht.

Sautet lernte auch Dabadies natürliches Gespür für die Konstruktion schätzen: Er war es, der die Rückblendenstruktur für »Das Mädchen und der Kommissar« vorschlug. Man kann die Filme des Regisseurs sehr klar nach ihren ihren Szenaristen unterscheiden: Néron bringt eine Mischung aus Wut und Ironie, auch Mitleid ein (»Das Mädchen und der Kommissar«, »Mado«), während Dabadie für eine zuweilen komödiantische (»César und Rosalie«, »Garcon - Kollege kommt gleich«) und stets sensible (»Eine einfache Geschichte«) Robustheit steht. Sein Freund Piccoli erfand für ihn das schöne Adjektiv "melancomique".

Mit Sautet und Dabadie kam eine neue Art, Männerfreundschaften zu zeichnen ins Kino. Bis dahin mussten die sich vornehmlich in Gangster- und Kriegsfilmen bewähren, nun vor dem Hintergrund der Wohlstandsgesellschaft, deren Gewissheiten Anfang der 70er von der Ölkrise, dem Schock des Pariser Mai 68 und anderen Umbrüchen erschüttert wird. (In dieser Hinsicht ist auch »Die Ohrfeige«, den er für Claude Pinoteau schrieb, ein großartiges Zeitbild.) Uneingestandene Rivalität und die Gefahr des Bruchs waren bei Sautet stets eine ernsthaft erwogene dramaturgische Option. Das Motiv der Lebenskrise von Männern um die 40 formulierte Dabadie in »Ein Elefant irrt sich gewaltig« und »Wir kommen alle in den Himmel« indes viel leichtfüßiger aus. Das Quartett Jean Rochefort, Claude Brasseur, Victor Lanoux und Guy Bedos machte Epoche als Projektionsfläche des mittleren Bürgertums. Im Kern sind es Hommagen an die Unverwüstlichkeit dieser Klasse, voller munterer Sinnkrisen und romantischer Abenteuer, die Dabadie slapstickhafte Brisanz gewinnen ließ. Im Titel des zweiten Films übrigens finden seine Kino- und Chansonarbeit zusammen: Er beruht auf einem Lied, das er einige Jahre zuvor für Polnareff schrieb. In beiden Berufen ging es Dabadie um die Zeichnung von Figuren, um phantasievolle Charakternähe. Für Montand schrieb er eine prächtige Komödienrolle in »Die schönen Wilden«.

Er war notwendig vielseitig (ich schätze auch die zwei Thriller, die er für Pinoteau und Lino Ventura geschrieben hat). Seine Ensemblekomödien sollten sich als folgenreich erweisen: »Die Herzen der Männer« und Guillaume Canets, »Kleine wahren Lügen« gäbe es nicht ohne sie. Und Etienne Dorsey (vielleicht schon damals eine Anspielung aufs Außenministerium?), den Rochefort wunderbar schnauzbärtig spielte, führt seit einigen Wochen ein erstaunliches Nachleben auf Twitter, wo er sich in seiner nachahmlich verschrobenen Art versucht, einen Reim zu machen auf die Welt in Zeichen von Covid-19.

Dabadies Porträts eines bürgerlichen Selbstverständnis' verloren in den 80ern den Anschluss zu den Strömungen des französischen Kinos. Sautet beklagte mehrfach in Interviews, er habe sich aus Enttäuschung von der Drehbucharbeit zurückgezogen. Er selbst nannte das Metier eines, das sich in einem "unendlichen Schatten" vollziehe. Neben Francis Véber war er zwar der bekannteste Szenarist seiner Generation, wenngleich er nie eine solche Legende wurde wie Michel Audiard. Das war augenscheinlich nicht genug für einen Menschen, der die öffentliche Anerkennung suchte. An Auszeichnungen und Würdigungen fehlte es nicht. 2008 wurde er im zweiten Anlauf in die Académie francaise aufgenommen, als erster Filmkünstler im Kreis der Unsterblichen seit René Clair.

Dabadie gab sich die Aura eines Dandys, trat stets braungebrannt, elegant und nie ohne ein Lächeln auf. Man hätte ihn für den Bruder von Sacha Distel halten können. Er war ein gern gesehener Gast in Talkshows, nicht zuletzt, weil er dort als ein vortrefflicher Imitator brillierte. Ein Souverän der Leichtigkeit, ein Charmeur, ein Bezauberer. Als mein Freund Binh ihn als Interviewpartner für seinen Dokumentarfilm »Claude Sautet oder die unsichtbare Magie« gewinnen wollte, ließ er sich lange bitten. ("Eine echte Diva!" klagte er.) Die Kränkung, in dessen Schatten gestanden zu haben, saß wohl tief. Aber er überspielte sie vor der Kamera dann glamourös. 2010 kehrte er zum Drehbuchschreiben zurück, schrieb bis 2018 drei Filme für Jean Becker. Der Geselle heller, weichgezeichneter Beschaulichkeit war keine so verdrießliche Konkurrenz. In »Das Labyrinth der Wörter« konnte er seiner klugen Wortverliebtheit frönen. Darin lehrt eine pensionierte Akademikerin einen ungeschlachten, schlichten, aber gemütvollen Hilfsarbeiter (Gérard Depardieu) die Liebe zur Literatur. Die Lektüre bereitet ihm anfangs zwar erhebliches Kopfzerbrechen (Camus‘ »Die Pest« ist immerhin ein anspruchsvoller Einstieg), bald jedoch verändert die charmant und kundig geweckte Bücherliebe seine Sicht auf die Welt. Kurz vor seinem Tod beendete Dabadie noch die Adaption eines Simenon-Romans für Depardieu. Ein schöner Registerwechsel! Ich bin gespannt, ob das Buch realisiert wird. Aus dem unendlichen Schatten aber ist Jean-Loup Dabadie längst herausgetreten.

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