Netflix: »The Good Nurse«

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Der Todespfleger

Wenn man weiß, worum es geht, klingt der Titel nach bitterer Ironie. »The Good Nurse« nämlich, das US-Debüt des dänischen Filmemachers Tobias Lindholm, erzählt – ganz im True Crime-Trend – den wahren Fall des Krankenpflegers Charles Cullen, der ab den späten 1980er Jahren mutmaßlich mehrere Hundert Patient*innen tötete, indem er absichtlich Insulin oder andere Medikamente in Infusionsbeutel spritzte. 2006 gestand er zumindest rund 30 Taten und wurde, als einer der wohl gefährlichsten Serienmörder der Geschichte, zu 18-fach lebenslänglicher Haft verurteilt. Einen Grund für seine Taten nannte er nie.

Dass Cullen (Eddie Redmayne) nicht nur ein fachlich guter Pfleger, sondern eben auch der Inbegriff der »Bad Nurse« ist, ahnt seine neue Kollegin Amy Loughren (Jessica Chastain) nicht, als er 2003 an einem Krankenhaus in New Jersey beginnt. Sie ist vor allem froh, dass es überhaupt einen neuen Mitarbeiter gibt, stößt sie doch in den Nachtschichten regelmäßig an ihre Grenzen. Dass er zugewandt und hilfsbereit ist, erweist sich als weiteres Plus, kann doch Loughren als alleinerziehende Mutter, die eine Herzerkrankung vor ihrem Arbeitgeber verheimlicht, jede Unterstützung gebrauchen.

Als eine Patientin, die sich bereits auf dem Weg der Besserung befand, unerwartet stirbt und einige Wochen später zwei Polizeiermittler (Noah Emmerich und Nnamdi Asomugha) auf der Station auftauchen, ist das Führungspersonal des Krankenhauses (u.a. Kim Dickens) an einer genauen Untersuchung nicht allzu sehr interessiert. Schließlich gilt es, versicherungstechnische Verantwortlichkeiten von sich zu weisen. Doch Loughren weist auf Ungereimtheiten im Blutbild hin – und mag dann gar nicht glauben, dass der Mann, dem sie sogar ihre Töchter anvertraut, verantwortlich sein könnte. Doch je mehr sie und die Polizisten über Charles' frühere Beschäftigungen an anderen Krankenhäusern herausfinden, desto offensichtlicher wird die finstere Wahrheit.

»The Good Nurse« basiert auf dem gleichnamigen Buch von Charles Graeber, richtet den Fokus allerdings auf Amy Loughren, die maßgeblich an Cullens Verhaftung beteiligt war. Auch wenn man früh ahnt, dass mit ihrem neuen Kollegen etwas nicht stimmt, ist es ihr Blick auf ihn, durch den das Publikum ihn wahrnimmt. Ein nicht uninteressanter Ansatz, der nichts daran ändert, dass Lindholms Film eher kühl und distanziert wirkt, nicht zuletzt in den oft aschfahlen, dürftig ausgeleuchteten Bildern.

Auch Redmayne und Chastain, die sonst schauspielerisch beide gern mal zu sehr auf die Tube drücken, spielen angenehm reduziert und zurückhaltend. Sie sind, neben dem gelungenen Score von Biosphere und der atmosphärischen Spannung, der beste Grund, sich diesen Thriller anzusehen. Das arg schlanke Drehbuch von Krysty Wilson-Cairns dagegen ist die größte Schwäche. Zwar überzeugt der Verzicht aufs Reißerische. Doch sowohl was die komplexe Schuldfrage aufseiten der Krankenhausverwaltung angeht als auch hinsichtlich der Figurenzeichnung wäre mehr Tiefe wünschenswert.

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