Netflix: »Gänsehaut Um Mitternacht«

»Gänsehaut Um Mitternacht« (Serie, 2022). © Eike Schroter/Netflix

»Gänsehaut Um Mitternacht« (Serie, 2022). © Eike Schroter/Netflix

Den Tod vor Augen...

Die Schülerin Ilonka ist auf dem Sprung in eine Eliteuniversität, als eine Krebsdiagnose ihre Zukunftshoffnungen zunichtemacht. Den Tod vor Augen, zieht sie nach Brightcliffe um, einem Hospiz für unheilbar kranke Teenager. In der abgeschiedenen viktorianischen Villa, pittoresk auf einer Felsenküste am Ozean gelegen, warten sieben weitere Jungen und Mädchen auf den Tod. Im Midnight Club, ihrem heimlichen nächtlichen Treffpunkt in der Bibliothek, erzählen sie sich abgründige Gruselgeschichten. Auch im Haus selbst, das sich die intelligente Ilonka nicht ohne Hintergedanken ausgesucht hat, scheint es zu spuken. Gerüchte über frühere Bewohner, eine Sekte, deren Symbol eine Sanduhr ist, und eine wundersame Heilung machen die Runde.

Willkommen im »Flanaverse«: Mit seiner vierten Netflix-Serie nach »Spuk in Hill House«, »Spuk in Bly Manor« und »Midnight Mass« erweist sich Regisseur Mike Flanagan abermals als verlässlichstes Talent des Streamingdienstes. Die Serie basiert auf mehreren, von den Drehbuchautoren geschickt kombinierten und heutigen Sensibilitäten angepassten Jugendromanen von Christopher Pike. Ohne Angst um die Gunst hektikgewohnter Zuschauer bekommen die zwischen Melancholie und Zynismus schwankenden Charaktere viel Zeit und Raum zu Entfaltung. Der eigentliche Kniff ist aber, dass die Jugendlichen ihre tiefsten Ängste und heimlichen Hoffnungen in mehrfach um die Ecke gedachten Geschichten verarbeiten und dadurch die Kontrolle über ihre Gefühle zurückgewinnen. Zum Ritual gehört auch der Schwur, post mortem ihren Freunden ein Zeichen geben wollen, dass es ihnen gut geht. Im Diesseits aber werden sie von grauen Schatten verfolgt. Oder sind die Monster Ausgeburten von durch Tabletten vernebelten Hirnen?

In verschachtelten Erzählebenen kreiert Flanagan eine heimelig-unheimliche Atmosphäre. Es schadet nicht, dass die Serie in den frühen 90ern spielt und die Heiminsassen, statt ins Handy zu starren, auf sich selbst zurückgeworfen sind. Mit kuscheligen Zimmern, abendlichen Zusammenkünften vor loderndem Kaminfeuer und einem Keller voller dubioser Spuren aus der Vergangenheit hat die Serie einen diskreten »Dark Academia«-Touch. »Meta« sind auch die Märchen, in denen die Jugendlichen ihr Innerstes offenbaren und Flanagan seine Kennerschaft des Horrorgenres demonstriert. Dass für die Rolle der strengen Direktorin die einstige »Scream Queen« aus den Freddy Krüger-Kultfilmen, Heather Langenkamp, aus dem Ruhestand zurückgeholt wurde, spricht für sich. So erregte eine Folge mit angeblich den meisten »Jump Scares« der Filmgeschichte Aufsehen. Es gibt eine brutale Serienkiller- und eine lichte Zeitreisefabel, aber auch ein Highschool-Drama im Film-noir-Modus. Eine homosexuelle Cyborg-Fantasie verweist auf den 90er-Jahre-Klassiker »Terminator«. In diese »Twilight Zone« zwischen Ver- und Entzauberung, in der handfeste Realitäten durch übernatürliche Anmutung überglänzt werden, lässt man sich gern hineinziehen.

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