Buch-Tipp: Filmzeit – Zeitdimensionen des Films

What time is it there?

Im Unterschied zu Fotografie, Malerei und Skulptur, die statisch im Raum hängen oder stehen, gehört der Film zu den »Zeitkünsten«, die – wie auch Theater und Literatur – Geschichten über Minuten, Stunden, Tage, Monate oder Jahre entfalten. Nur im Film kommen dabei komplexe Techniken der Manipulation von Zeit, vor allem durch den Schnitt, aber auch durch Kameratricks zum Einsatz. 

Im Schüren-Verlag ist jetzt eine umfassende Untersuchung zu allen Zeitphänomenen des Kinos erschienen, einem in dieser Konsequenz und Detailliertheit bisher in der Filmgeschichtsschreibung eher vernachlässigten Thema. »Es geht dabei sowohl um die Zeit im Film als auch um speziell kinematografische Verfahren zur Darstellung der Filmzeit, respektive der Zeit des Films«, schreibt die Herausgeberin in ihrer Einleitung.

Der liebevoll mit Fotos und passend zum Thema auch mit vielen Fotosequenzen gestaltete Band ist das Ergebnis einer fast zehnjährigen Beschäftigung mit dem Thema, im Rahmen von Forschungskolloquien, Ringvorlesungen und Workshops an mehreren Universitäten, darunter Hannover und Kassel. Die dreizehn daran beteiligten Autor*innen, allesamt Kultur-, Literatur, Film- und Medienwissenschaftler, umkreisen die Phänomene der Zeit von den Zeitdarstellungen in den Großstadtfilmen der 1920er Jahre bis zu den aktuellen Fernsehserien und sogar in Musikvideos, zugleich wissenschaftlich systematisch und sinnlich unterhaltsam. 

Das Buch ist in vier Komplexe unterteilt, mit jeweils drei bis sechs Kapiteln, von denen manche sich auf einen einzelnen, erzählstrukturell interessanten Film, etwa »City of God« von Fernando Meirelles oder »Schiff der Träume« von Federico Fellini, konzentrieren, andere das Thema mit mehreren Filmbeispielen abstecken. Von den grundsätzlichen Zeitkategorien des Films im ersten Block geht es im zweiten zu den verschiedenen Verfahren, Zeit darzustellen und zu manipulieren. Behandelt werden unter anderem Echtzeit, Gleichzeitigkeit, Rückwärtserzählung, Zeitanomalien wie Zeitraffer, Zeitlupe und deren extreme Variation in der sogenannten bullet time, die exem­plarisch in »The Matrix« zum Einsatz kam: Der Lauf der Welt wurde so verlangsamt, dass das menschliche Auge die Flugbahn einer abgefeuerten Kugel wahrnehmen kann. 

Im dritten Block geht es um Zeitkon­struktionen etwa in Zeitreisefilmen und im vierten um kulturelle Zeitkonzepte, unter anderem am Beispiel von Yasujiro Ozus ­»Tokyo Monogatari«, in dem Drehzeit und Erzählzeit sich im Jahr 1953 treffen. Andreas Becker weist darauf hin, dass jenseits des christlichen Kalenders nicht nur die Zeitrechnung, sondern auch die Zeitwahrnehmung eine völlig andere ist, und analysiert, wie diese sich in den drei Generationen einer Familie spiegelt. 

Durch die unterschiedlichen Ansätze und Stile der verschiedenen Autoren wird der durch Bibliografie und Filmografie ergänzte Band zum vergnüglichen Lesebuch, das man systematisch durcharbeiten kann, in dem sich aber auch lustvoll schmökern lässt. Jedem Text ist zur besseren Orientierung eine kurze Zusammenfassung vorangestellt.

 


Stefanie Kreuzer (Hg.): Filmzeit – Zeitdimensionen des Films. Schüren, Marburg 2021. 480 S., 58 €.

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