Sky: »Yellowjackets«

»Yellowjackets« (Serie, 2021). © Showtime

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Der Ruf der Wildnis

Das schockartige Ausgesetztsein in der Wildnis und die Strategien des Überlebens sind zwar Themen, die bereits zig Filme inspirierten. Doch in dieser Serie werden sie zum Motor einer unerwartet tiefenscharfen Erforschung weiblicher Gefühlswelten. Im Zentrum steht eine Truppe Mädchen, das ehrgeizige Highschool-Fußballteam Yellowjackets, das 1996 von New Jersey zu einem Spiel nach Seattle fliegt. Das Flugzeug stürzt irgendwo über den Wäldern von Ontario ab. 25 Jahre später werden die Überlebenden durch anonyme Briefe und eine aufdringliche Reporterin mit den verdrängten Gräueln ihres 19-monatigen Überlebenskampfes konfrontiert.

Die Serie entfaltet sich auf vier Zeitebenen: der Highschool-Zeit in einer komfortablen Vorortwelt, in der sich die Mädchen zwischen Training und den üblichen Baustellen eines Teeniedaseins, Jungs, Sex, Schule und Familie, verausgaben; der Jetztzeit mit zumeist frustrierenden Lebensumständen, etwa als »desperate housewife«, Karrierefrau oder Junkie, komplettiert von einer dritten Ebene früher Kindheitserinnerungen. Und schließlich gibt es, als dräuendes Leitmotiv, blitzartige Streiflichter auf jene archaisch brutale Zeit als Fell und Hörner tragende Amazonen am Lagerfeuer, wobei gleich zum drastischen Serienbeginn Kannibalismus angedeutet wird.

Es dauert etwas, bis man sich in der in Rückblenden erzählten Handlung zurechtfindet und die jüngeren und älteren Versionen der vier Hauptprotagonistinnen identifizieren kann. Doch was anfangs an »Lost«, »Lord of the Flies« und an die deutsche Serie »Wild Republic« gemahnt, entpuppt sich als komplexes Webmuster aus Teeniefilm, Horrorkrimi und Charakterdrama, untermalt von flotten Popsongs der Neunziger.

Dabei werden – bisher waren drei Folgen vorab zu sehen – die durch anfangs stereotyp wirkende Frauenfiguren hervorgerufenen Erwartungen aufs Interessanteste enttäuscht. Da ist das Mädchen, das alles hat, Schönheit, Reichtum, Charisma und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ehrliche Nettigkeit. Da ist die von stiller Wut gehemmte beste Freundin als Mond dazu verdammt, die Strahlen dieser Sonne zu reflektieren; die rebellische »Schlampe«, das stets bemühte Mauerblümchen, ein tief religiöses Mädchen, das unbedingt gut sein will, und eine Strategin, die ihre Skrupellosigkeit auf dem Fußballrasen beweist. Und im Überlebenskampf in der Wildnis, so ahnt man, ist zivilisiertes Verhalten ein Malus. Zugleich werden die Erwachsenen neben Wut, Scham und Schuldgefühl von einer klammheimlichen Sehnsucht nach jener Wildheit und Freiheit von Normen heimgesucht. Das Schlachten eines Blumen fressenden Kaninchens jedenfalls geht leicht von der Hand.

Sind die jungen Darstellerinnen Unbekannte, so glänzen als Erwachsene etwa Juliette Lewis, Christina Ricci und Melanie Lynskey. Wunderbar perfide entfaltet sich außerdem der vielleicht ekelhafteste filmische Frauencharakter der letzten Jahre, eine Psychopathin in Gestalt eines helfenden Engels. Bleibt zu hoffen, dass die Serie im weiteren Verlauf ihre genreübergreifende Originalität bewahren kann.

OV-Trailer

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