DVD-Tipp: »Alice Guy-Blaché«

»Alice Guy-Blaché« (1997). © Edition Filmmuseum

»Alice Guy-Blaché« (1997). © Edition Filmmuseum

Die Selfmadefrau

Das nennt man perfektes Timing: Während in den Kinos gerade die Dokumentation »Be Natural – sei Du selbst« läuft, aus der die meisten sicherlich zum ersten Mal etwas über Alice Guy-Blaché erfahren dürften, erscheint in der »Edition Filmmuseum« eine Doppel-DVD, die allen neugierig Gewordenen Futter liefert. 

Schon erstaunlich, dass diese Filmpionierin so lange in Vergessenheit geraten war. Der prominente französische Filmhistoriker Louis Sadoul schrieb ihren ersten Film lange ihrem Assistenten zu (und korrigierte dies erst spät) – unmöglich, dass eine Frau schon 1896 Regie führte!

Alice Guy begann als Sekretärin des Filmproduzenten Louis Gaumont, Filme drehte sie mit Freunden in ihrer Freizeit. Gaumont erkannte ihr Talent und brachte sie mit dem britischen Kameramann Herbert Blaché zusammen, aus der Arbeits- wurde 1907 eine Lebensgemeinschaft, sie folgte ihm drei Jahre später in die USA, wo er für Gaumont Filme erwerben sollte. In der gemeinsamen Filmgesellschaft Solax Pictures arbeitete sie nicht nur als Regisseurin, sondern auch als Produzentin. Der Traum von der Unabhängigkeit endete, als er das Vermögen an der Börse verspekulierte und eine Affäre mit einer Schauspielerin begann. Trotzdem folgte ihm Alice Guy nach Kalifornien und arbeitete als seine Assistentin. Nachdem ihr letzter eigener Film 1922 ein Misserfolg wurde, ließ sie sich scheiden und kehrte mit ihren Kindern nach Frankreich zurück, eine Rückkehr in die Filmindustrie gelang ihr dort nicht, immerhin aber wurde sie 1958 in die Ehrenlegion aufgenommen. 1968 starb sie im Alter von 95 Jahren in New Jersey. 1976 erschien ihre bereits 1953 verfasste Autobiografie, deren deutsche Ausgabe 1981 im Münsteraner tende-Verlag hierzulande eine erste Wiederentdeckung einleitete. Im selben Verlag erschien im folgenden Jahr die deutsche Übersetzung von Anthony Slides »Early Women Directors« (mit dem Titel »Engel vom Broadway. Der Einzug der Frauen in die Filmgeschichte«), fünf Jahre später wurde sie dort im Band »Rebellin in Hollywood. 13 Porträts des Eigensinns« gewürdigt, in engagierten Programmkinos liefen einige der wenigen damals verfügbaren Filme von ihr.

Katja Raganellis Porträt dieser Film­pionierin wurde in der jetzt auf DVD vorliegenden Fassung erstmals 1997 gesendet. Es verbindet knappe, oft dialoglose Spielszenen (mit Eva Mattes als Alice Guy) mit einer Fülle von biografischen Informationen; der eigentliche Clou ist das Gespräch mit Alice Guys Tochter Simone, die Raganelli 1983 in den USA ausfindig machte. Auch ein kürzeres Gespräch mit der Schauspielerin Bessie Love im darauffolgenden Jahr bietet Informationen aus erster Hand. Auf der zweiten DVD sind insgesamt sieben Filme von Alice Guy-Blaché aus den Jahren 1906 (Frankreich) und 1911–13 (USA) versammelt, leider ohne Hinweis auf die Auswahlkriterien – in England, Großbritannien, sind in den letzten Jahren weitere Filme von ihr auf DVD erschienen. Die kurzen Komödien zeigen eindeutig eine weibliche Handschrift, die Männer blamieren sich in ihrer Überheblichkeit und ziehen den Kürzeren, auch wenn am Ende meist allerdings eine Versöhnung steht.

Neben dem 60-minütigen Porträt enthält die erste DVD noch eine weitere Arbeit von Katja Raganelli: das Interviewporträt »Margery Wilson – Vom Stummfilmstar Hollywoods zur Filmregisseurin« (1998; 44 Min.); ein 20-seitiges Booklet umfasst Texte von Raganelli (über die Dreharbeiten) sowie von und über Blaché. Eine gelungene filmhistorische Veröffentlichung.

 

Alice Guy-Blaché Deutschland 1997. R: Katja Raganelli. Dokumentarfilm, 60 Minuten, Doppel-DVD mit Filmen von Alice Guy-Blaché und weiterem Bonusmaterial. Anbieter: Edition Filmmuseum.

VÖ: 20. August 2021

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