Rewind: »Der Smaragdwald« (1985)

»Der Smaragdwald« (1985). © Studiocanal

»Der Smaragdwald« (1985). © Studiocanal

Rassistisch? Frauenfeindlich? Muss man das canceln – aus dem Repertoire nehmen? Wir versuchen es ­anders. In der ­Serie ­»Rewind« ­stellen wir Filme vor, die auf der ­Höhe ­ihrer Zeit waren – und heute wieder einen Nerv treffen

Er inspirierte junge Leute, sich für den Umweltschutz zu engagieren, und stellt die Natives ins Zentrum: John Boormans Film von 1985.

»Der Smaragdwald« (The Emerald Forest, GB 1985). Regie: John Boorman

Nachdem er zur Schauplatzsuche in den Amazonas aufgebrochen war und einige Zeit beim Stamm der Kamaira verbracht hatte, änderte sich sein Traumverhalten. Es wurde lebhafter, es begann, die fremde Umgebung in sich aufzunehmen. Ihm fiel auf, dass sich nicht nur alle zur selben Zeit schlafen legten, sondern auch im selben Moment einschlummerten. 

Auch er fand rasch in diesen Rhythmus. Wenn sie ihn am nächsten Morgen nach seinem Traum fragten und er ihn erzählte, nickten sie: Ja, den kennen wir. Geteilte Träume waren nichts Ungewöhnliches für die Indianer. Nach ein paar Tagen gehörte John Boorman also schon ein Stück weit ihrer Gemeinschaft an. Auch Schopenhauer meinte, dass wir alle den gleichen Traum träumen. Ob der Regisseur ihn gelesen hat, geht aus seinem Drehtagebuch »Money into Light« nicht hervor. Auszuschließen ist es bei diesem filmenden Forschungsreisenden nicht. Aber was er am Amazonas erlebte, war ein Phänomen der Ansteckung, der Übertragung. Der Schamane, der ihn bat, sein Metier zu erklären, stellte fest, dass sie den gleichen Beruf ausübten: Sie erzählten Gleichnisse in Bildern. 

Boorman ist ein Irrlicht im britischen Kino. Der Regisseur von »Beim Sterben ist jeder der Erste« (Deliverance), »Zardoz« und »Beyond Rangoon« setzt sich der Natur aus, am liebsten gar der Wildnis. Er wird nicht müde, das Visionäre, Okkulte in die Behaglichkeit der heimischen Filmlandschaft hineinzuschmuggeln. Bis er seine Regiekarriere begann, hatte nur Michael Powells Werk so entschieden im Zeichen der Magie gestanden. Aber während der in »Schwarze Narzisse« die Erhabenheit des Himalayagebirges in den Studios von Pinewood und einem Garten in Sussex rekonstruierte, bricht Boorman tatsächlich zu den fernen Horizonten auf, an denen er seine Geschichten um Mythen und elementare Ursprünge findet. Ihn drängt es dorthin, wo Flugpläne unzuverlässig und Dreharbeiten eine riskante Wette sind, wo das Klima denkbar ungeeignet ist für Kameras und Schauspieler gegen Ungeziefer kämpfen, dessen Namen sie noch nicht einmal kennen. Im Kern verkörpert Boorman den großen Schrecken, den Joseph Conrad für das einstige Empire formulierte: die Verlockung des going native. Der Regisseur vertraut sich dem Unwägbaren an, das Fremde ist sein Lehrmeister.  

Bei keiner filmischen Eskapade hat er sich topographisch und spirituell so weit von Großbritannien entfernt wie in »Der Smaragdwald« (The Emerald Forest). Das Drehbuch seines Freundes Rospo Pallenberg (sie unterhalten seit Jahrzehnten eine konfliktreiche, innige Beziehung) basiert auf mehreren wahren Begebenheiten, die sich in Peru und Brasilien zugetragen haben. Ihr Grundreim ist, dass ein weißer Junge von Einheimischen entführt wird und sich später dem Stamm zugehörig fühlt. Der US-amerikanische Ingenieur Bill Markham (Powers Boothe) leitet die Bauarbeiten eines Staudamms in Brasilien. Bei einem Ausflug der Familie verschwindet sein Sohn Tommy spurlos im angrenzenden Regenwald. Bill lässt sich auch nach Jahren vergeblicher Suche nicht entmutigen. Auf einer neuen Expedition gerät er in den Hinterhalt feindseliger Indianer, aus dem ihn ein Halbwüchsiger mit blonden Haaren rettet. Vater und Sohn erkennen einander sofort. Jetzt nennt der Gesuchte sich Tomme (er wird gespielt von Boormans Sohn Charley) und bringt den Verletzten zu seinem Stamm, dem »Unsichtbaren Volk«. Dort wird Bill gastfreundlich aufgenommen, aber der Konflikt mit dem Häuptling, den Tomme längst als seinen Vater betrachtet, scheint unausweichlich. Als das feindliche »Wilde Volk« ein Massaker anrichtet und die Frauen des Stammes entführt, um sie an weiße Zuhälter zu verkaufen, steht Bill seinem Sohn waffenstarrend zur Seite. Und er zieht am Ende eine drastische Konsequenz, um dessen neues Zuhause zu schützen, in dem einmal seine Enkel aufwachsen werden.  

Als »Der Smaragdwald« 1985 herauskam, erschien er mir als eine der vielen Variationen über John Fords »Der schwarze Falke«, die seit dem Aufbruch des New Hollywood Konjunktur hatten. Das war die falsche Perspektive auf den Film. Nicht alles an ihm lässt sich heute noch verteidigen. Die Spezialeffekte waren schon für damalige Augen dürftig, der absurde body count der Rettungsaktion ist ein Relikt des Stallone-&- Schwarzenegger-Jahrzehnts. Aber was seinerzeit als das größte Manko erschien – die Farblosigkeit der weißen Figuren (Boothe ist immer gut, aber Meg Foster hat als seine Ehefrau wenig Handhabe) –, erweist sich heute als Vorzug. Boorman interessiert sich einfach stärker für die Indianer. 

Bill findet seinen Sohn wieder, als dieser einen Initiationsritus durchlebt, bei dem der Junge stirbt und der Mann geboren wird. Der Vater muss zusehen, wie er um eine junge Stammesangehörige wirbt (das Ritual ist ulkig rabiat und die Einstellung der Indios zum Sex überaus pragmatisch). Boorman ist fasziniert von einem Einverständnis mit dem Leben, das die meisten Filmemacher schockieren würde. Dieses Ambiente steckt voller Gefahren und archaischer Abgründe, aber der Regisseur fühlt sich hier sicher. Seine Schaulust ist nicht die eines Anthropologen, es gibt keine Theorie, die zu verifizieren wäre. Vielmehr will Boorman zu einem Wissen vorstoßen, das die westliche Zivilisation verloren hat. 

Die Träume, die Boorman mit den Kamaira teilte, wirken im Film als eine Grundierung der Empfänglichkeit weiter. Der Regisseur ist deplatziert in dieser Welt, weiß aber, was er dort suchen muss. Die Dialoge jedenfalls speisen sich weitgehend aus der Vorstellungswelt des Jägerstammes. In ihr hat jeder Mensch einen Tiergeist, dem er im Traum begegnen muss und dessen Existenz die Kamera beglaubigt. (Nicht nur Tomme findet einen, sein leiblicher Vater ebenfalls.) Für die Indianer liegt die weiße Zivilisation am Rand der Welt, der von Jahr zu Jahr näher kommt. Mit der Zerstörung des Regenwalds, sagen sie, wird die Erde ihrer Haut beraubt. Wie kann sie danach noch atmen? Das mag auf dem Papier kitschig klingen, weiht das Publikum jedoch in eine eigene, ungekannte Folklore ein. 

Während die Weltsicht der Indianer den Ton angibt, drängt Boormans Inszenierung die amerikanischen Protagonisten mit dezentem Nachdruck in den Hintergrund. Die Bauarbeiten am Staudamm filmt er aus dem Blickwinkel des Regenwalds, der abgeholzt wird; die Wiedervereinigung Tommes mit seiner leiblichen Familie inszeniert er als sehr berührende Pantomime. Zu diesem Zeitpunkt hat das Drehbuch bereits eine bemerkenswerte Wendung vollzogen. Tomme muss sich in den Dschungel der Großstadt wagen, um seinen Vater um Hilfe zu bitten. Dort stößt er auf Angehörige eines entwurzelten Stammes, des »Fledermausvolks«. Das sind Verlorene, die sich jetzt wiederfinden können. Zusammen mit Bill formieren sie eine wehrhafte Allianz der Gegensätze. Insgeheim sind mittlerweile auch biblische Motive in Boormans Erzählung eingeflossen. So sehr unterscheiden sich die Ursprungsmythen nicht. Die entführten Frauen haben in der Gefangenschaft unversehens die Scham entdeckt. Sie müssen dringend zurückgebracht werden in das Paradies, aus dem sie vertrieben wurden. Dieser Filmemacher mag sich von den Utopien vorerst noch nicht verabschieden. Aussöhnen kann er die kulturellen Gegensätze nicht – er ist Romantiker, aber auch Realist. Aber selbst für die Frage der Vaterschaft findet sich eine magische Lösung: »Der Smaragdwald« ist ein Film, der auf Träume hört. 

Er hatte erfreuliche Konsequenzen, die sich nicht nur in der Bilanz der Produzenten und Verleiher niederschlugen. In seinen Memoiren schreibt Boorman, »Der Smaragdwald« habe viele junge Leute inspiriert, sich für den Umweltschutz zu engagieren. Er bewog die brasilianische Regierung – das war lange vor Bolsonaro –, zuvor verbotene Organisationen zuzulassen, die das Ökosystem des Amazonasgebietes bewahren wollen. All dies mag stimmen. Die CO2-Bilanz des Regenwaldes ist heute verheerend. Boorman zog seine eigenen Lehren aus den Dreharbeiten. Er erkannte, dass er auf einem Planeten lebt, dessen Existenz von den Bäumen abhängt. Daheim in Irland pflanzte er so viele wie nur eben möglich.

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