Kinomarkt China: Es wächst und wächst

Filmwirtschaft in Fernost
»Monster Hunt« (2015)

»Monster Hunt« (2015)

In China boomt das Kino. Täglich werden neue Häuser eröffnet, Tickets verkaufen sich wie warme Semmeln. Und chinesische Firmen mischen sich ins internationale Business ein. Eine Bilanz von Ralph Umard

Der Kino-Topstar 2015 in China war ein niedliches Babymonster mit grünem Haarschopf namens Wuba. Hervorgegangen aus der Liaison zwischen einer Monsterkönigin und einem jungen Dorfvorsteher im Reich der Menschen, ist der Knirps ständigen Angriffen von Menschen wie Monstern ausgesetzt. Das hochkomische Martial-Arts-Märchen »Monster Hunt« (Zhuoyao ji), eine fantasievolle Kombination von Animations- und Realfilm mit Motiven aus dem chinesischen Filmfundus und US-Kinohits wie »Men in Black«, avancierte mit einem Einspielergebnis von umgerechnet 375 Millionen Dollar zum bis dato erfolgreichsten Film aller Zeiten in China, noch vor der US-japanischen Koproduktion »Fast & Furious 7«.  Der vom Hongkonger Animationsspezialisten Raman Hui inszenierte Blockbuster ist (wie auch der auf Platz 9 der chinesischen Kinocharts 2015 notierte Zeichentrickfilm »Monkey King – Hero Is Back«) ein beeindruckendes Beispiel für das inzwischen hohe Niveau der Spezialeffekt- und CGI-Technik im chinesischen Kino.

»Monkey King: Hero Is Back« (2015)

Ungeachtet der Baisse an den Börsen in Shanghai und Hongkong war 2015 ein Rekordjahr für die Kinoindustrie in China. Die Einnahmen an den Kinokassen stiegen offiziellen chinesischen Angaben zufolge (zitiert aus »Screen International«) um 49 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt fast 6,8 Milliarden Dollar. Einheimische Produktionen spielten 4,17 Milliarden Dollar ein und erreichten damit einen Marktanteil von 62 Prozent, die Erlöse von Märkten im Ausland stiegen um 48 Prozent. Insgesamt wurden 1,26 Milliarden Kinokarten verkauft, eine Steigerung von 51 Prozent. (Zum Vergleich: Das wäre in China eine verkaufte Karte pro Einwohner, in Deutschland waren es, wie fast immer, um die 1,6.) Täglich wurden mehr als 20 neue Abspielstätten eröffnet, 8.035 insgesamt. Am Jahresende wurden 31.627 Leinwände im Reich der Mitte bespielt.

Wie kommt es zu so einem Boom? Branchenriesen wie Huayi Brothers, die Bona Film Group oder der Konzern Dalian Wanda investieren gewaltige Summen in die Filmproduktion und die Schaffung neuer Abspielstätten. Auch Alibaba, die weltgrößte Internethandelsfirma, mischt mit ihrer Alibaba Pictures Group maßgeblich mit im Kinogeschäft, als Produzent (»My Fair Princess«, die Trickfilmadaption der erfolgreichsten chinesischen Fernsehserie), beim Verleih (Jean-Jacques Annauds »Der letzte Wolf«) oder als Investor, auch in Hollywood (»Mission Impossible – Rogue Nation«).

»Der letzte Wolf« (2015)

Nicht nur die Zahl der Kinos und Multiplexe steigt, auch die Zahl der Filmfans, vor allem aus der ständig wachsenden Mittelschicht, nimmt zu. Sie müssen auch nicht mehr an der Kasse Schlange stehen. Immer mehr buchen ihre Ticktes via Smartphone bei Alibaba oder dem sozialen Netzwerk Tencent, eine App stellt die Verbindung zu jeder größeren Kinokette in China her, wo bereits bis zu 65 Prozent der Tickets online verkauft werden. Etablierte Filmstars aus Hongkong wie Andy Lau, Stephen Chow oder Donnie Yen wirken auch in chinesischen Metropolen als Kassenmagneten. Bevorzugte Genres sind Komödien und Actionfilme; ebenfalls beliebt sind Dramen, die Befindlichkeiten und Probleme von Bürgern in einer sich rasch verändernden Gesellschaft reflektieren, sowie Animations- und Liebesfilme. Eine zusatzliche Attraktion bietet das immer größere Angebot an 3D-Produktionen. Und bereits 2014 wurden 439 Millionen Onlinenutzer registriert, die Filme über Streaming per Internet sehen wollten.

Nicht zuletzt tragen auch Protektionismus und die Liberalisierung des Marktes durch das Regime in Peking zum großen Schub im Filmgeschäft bei. Momentan werden nur 34 ausländische Produktionen pro Jahr zugelassen. Und die werden zuweilen abrupt aus dem Programm genommen, um den Erfolg einheimischer Prestigeprojekte zu sichern. Da kann es passieren, dass in einem Multiplex nur ein einziger Film gezeigt wird. Die Handlungsfreiheit der einheimischen Konzerne wurde dagegegen erweitert, manche bekamen sogar Lizenzen für eigene Banken, Tencent beispielweise gründete die WeBank.

»Back to 1942« (2012)

Im vergangenen November wurde ein Filmgesetz im Volkskongress eingebracht, das unter anderem den Genehmigungsprozess für Filmprojekte vereinfachen soll. Danach soll keine Vorabnahme des Drehbuchs mehr nötig sein, um ein Filmprojekt zu realisieren. Die Genehmigungspflicht für den Vertrieb des fertigen Films bleibt allerdings bestehen. Die Zensur ist zwar lockerer geworden – der Kriegsfilm »Back to 1942« von Feng Xiaogang, in dem es um eine Hungersnot in der Provinz Henan mit Millionen von Toten und Korruption geht, wäre nach Ansicht von Yu Dong, Chief Executive Officer der Bona Film Group, früher sicher nicht genehmigt worden –, doch bei heiklen Sujets reagieren die Zensoren der State Administration of Radio, Film And Television noch immer allergisch. Mehr als 800­ 000 Heroinsüchtige, die eklatante Zunahme von Raubüberfällen, die Schikanierung oder Inhaftierung politischer Dissidenten, Korruption und Umweltverschmutzung allerorten – solcherart negative Folgen des rapiden sozioökonomischen Wandels in China dürfen im kommerziellen Kino nicht explizit beleuchtet werden; ihre Dramatisierung wird von den Machthabern als Gefahr für die Gesinnungshygiene der Volksmassen betrachtet.

Dennoch gibt es eine Menge eigenwilliger Jungfilmer, die auf eigene Faust – unter Umgehung der Zensurbehöde, ohne staatliche Produktions- und Verleihlizenz und unabhängig von den nationalen Studios – Projekte realisieren, die Missstände thematisieren oder eine Liberalisierung der Sexualität propagieren und die per DVD oder auf Filmfestivals ihr Publikum finden. Dabei müssen die Regisseure mit Beschlagnahmung ihrer Werke, Berufsverbot oder Strafverfolgung rechnen.

»Office« (2015)

Hongkong, die ehemalige britische Kronkolonie und heutige »Spezielle Verwaltungsregion« der kommunistischen Volksrepublik, hat ihre führende Stellung als Produktionsstandort für chinesische Filme eingebüßt, nach einer bis Mitte der 1990er Jahre andauernden Blütezeit des kantonesischen Kinos. Manche der damaligen kreativen Spitzenkräfte wie Tsui Hark arbeiten nun kommerziell erfolgreich auf dem chinesischen Festland. In Hongkong ist Regieveteran Johnnie To mit seiner Produktionsfirma Milkyway noch immer ein Garant für qualitativ hochwertiges Kino. In »Office« (2015), einer Filmadaption von Sylvia Changs Musical »Design For Living« mit Chang, Chow Yun-Fat und Zhang Ziyi in den Hauptrollen, beleuchtet To Phänomene und Verhaltensweisen im Berufs- und Privatleben moderner chinesischer Geschäftemacher zu Zeiten stark schwankender Börsenkurse in China.

Ein echte Großinvestition sorgte im Januar dieses Jahres für Schlagzeilen in der Fachpresse, als bekannt wurde, dass der Konzern Dalian Wanda die von Thomas Tull gegründete Hollywoodfirma ­Legendary Pictures (sie produzierte unter anderem »The Dark Knight« und »Hangover«)  erworben hat, der Kaufpreis soll 3,5 Milliarden Dollar betragen haben. Bereits 2012 hatte Wanda für 2,6 Milliarden die AMC-Kinokette in den USA gekauft. Wanda ist eines der finanzstärksten und erfolgreichsten Medienunternehmen mit der größten Filmtheaterkette in China; zum Konzern gehört eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Firmen. Die Muttergesellschaft ist im Privatbesitz. 2015 wurden 150 neue Multiplexkinos eröffnet, so erhöhte sich die Zahl der Leinwände auf 2.557 in 292 Lichtspielhäusern. Für 2016 plant Wanda die Eröffnung von 77 weiteren Theatern mit 698 Leinwänden. Neben dem Filmbusiness wird mit Immobiliengeschäften, dem Bau von Hotels und mit Vergnügungsparks enorm viel Geld verdient. In der Bierbrauerstadt Tsingtao (von 1898–1919 deutsche Kolonie) entsteht eine gigantische Filmproduktionsstätte, die Oriental Movie Metropolis. Wanda-Chef Wang Jianlin gilt als der reichste Mann Chinas, er kündigte weitere Investitionen in Hollywood an.

»Kung Fu Panda 3« (2016)

Dort ist man sich über die Bedeutung des international wichtigsten Marktes für US-Großproduktionen im Klaren. Das Einspielergebnis von »Fast & Furious 7«  belief sich in China auf 373 Millionen Dollar – gegenüber 350 Millionen in den USA. Um die Erfolgschancen amerikanischer Produktionen in China zu verbessern, engagiert man beispielsweise Stars wie Jet Li für die »The Expendables«-Filme, oder man setzt wie Dreamworks bei der »Kung Fu Panda«-Trilogie auf chinesische Motivik. Häufig werden Schießereien oder Keilereien in Hongkong-Manier choreographiert. Koproduktionen bieten die Möglichkeit, die Quotenregelung in China zu umgehen. Bedingung dabei ist, dass wenigstens ein Drittel des Films in China gedreht wird, mindestens ein Drittel der wichtigen Rollen muss mit Chinesen besetzt werden.

Eine Ausnahme bildet »Crouching Tiger, Hidden Dragon 2 – Sword of Destiny« (2016), eine Koproduktion der staatlichen China Film Group mit der Weinstein Company. Der Martial-Arts-Film wurde zwar in Neuseeland gedreht, war aber komplett mit Stars des Hongkong-Kinos besetzt. Donnie Yen und Michelle Yeoh spielten die Hauptrollen, Altmeister Yuen Woo-Ping führte Regie.

Pressekonferenz zu »The Great Wall« (2016)

Mit Spannung erwartet wird der neue Film von Zhang Yimou, der lange Zeit auf Kriegsfuß mit der Zenurbehörde seiner Heimat stand, sich dann mit dem Pekinger Regime arrangierte und spätestens als künstlerischer Leiter der Olympia-Eröffnungsfeier 2008 zum Renommierregisseur der KP-Führung avancierte. »The Great Wall« ist eine Koproduktion der China Film Group mit Legendary Pictures. Matt Damon, Andy Lau und Willem Dafoe sind die Stars. Die Story stammt von Legendarys CEO Thomas Tull, die Spezialeffekte wurden zum Teil bei Industrial Light & Magic in Kalifornien kreiert. Der Kinostart ist für November geplant.

Mit einem Budget von angeblich 135 oder gar 150 Millionen Dollar ist »The Great Wall« der teuerste Film, der je in China gedreht wurde. Der Expansionsdrang der chinesischen Filmindustrie ist enorm. Wie Wang Jianlin planen auch andere Global Player, darunter Alibaba-Boss Jack Ma, ein verstärktes finanzielles Engagement in Hollywood. Der Erwerb eines Major-Studios scheint nicht ausgeschlossen; die Japaner haben es bei der Übernahme von Columbia durch Sony vorgemacht. Experten halten es für möglich, dass China die USA binnen zweier Jahre als umsatzstärksten Marktführer in der Filmwirtschaft ablösen könnte.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ist ja toll. Ich befinde mich wohne in China, und bin der Meinung, dass man das Medium Film in China verabschieden kann. Bei der mentalität und nicht vorhandenem Willen, wirklich kreatives und nennenswertes zu schaffen, wird am laufendem Band Müll produziert. Der selben Meinung ist auch die Intellektuelle Bevölkerungsschicht in China. Das Geld ist da, der Umsatz auch, aber das Hirn bleibt hier in deren Medienkultur auf der Strecke.

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