Nachruf: Udo Kier
Udo Kier in »Flesh for Frankenstein« (1973)
14.10.1944 – 23.11.2025
Mit »The Secret Agent« von Kleber Mendonça Filho hatte Udo Kier noch einmal einen letzten, kurzen Leinwandauftritt. Er spielt Hans, einen jüdischen Schneider und deutschen Emigranten, den rechte Schergen für einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten halten. Sie fordern ihn auf, ihnen seine vermeintlichen Kriegswunden zu zeigen. Dass sie einem Überlebenden gegenüberstehen, bleibt ihnen verborgen. Kiers stille, auratische Präsenz, seine stechend blauen Augen, die mehr wissen, als sie preisgeben, verleihen der Szene eine beklemmende Klarheit. Unerwartet wurde sie zu seiner Abschiedsvorstellung. Am 23. November starb Udo Kier im Alter von 81 Jahren in Palm Springs, Kalifornien. Sein langjähriger Lebensgefährte, der Künstler Delbert McBride, bestätigte den Tod eines Schauspielers, der über sechs Jahrzehnte Kinogeschichte mitgeprägt hat.
Kier wurde 1944 als Udo Kierspe im zerstörten Köln geboren. Die Erfahrung der Nachkriegsjahre prägte früh seinen Blick für Brüche und Abgründe, auch seine Arbeitsdisziplin. Über London fand er Anschluss an eine internationale Kunst- und Filmszene, die seine Offenheit für Grenzgänge förderte. Der Durchbruch kam Anfang der 1970er Jahre mit Paul Morrissey und Andy Warhol. In »Flesh for Frankenstein« und »Blood for Dracula« wurde Kier zur Ikone des Undergroundkinos. Seine Vampire und Schurken waren oft grotesk und überzeichnet, doch nie leer. Selbst im Exzess blieb bei ihm ein Rest Ironie, ein menschlicher Kern, der die Figuren vor bloßer Effekthascherei bewahrte.
Eine wichtige frühe Wegmarke war die Begegnung mit Rainer Werner Fassbinder in einer Kölner Arbeiterkneipe. Aus persönlicher Nähe entwickelte sich eine Zusammenarbeit, die Kier unter anderem in »Bolwieser« und »Lili Marleen« sichtbar machte. Entscheidender als die Anzahl der Rollen war die Haltung, die er aus dieser Zeit mitnahm: die Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit. Gegen Festschreibungen anzuspielen, wurde für ihn zu einer dauerhaften Aufgabe, ästhetisch wie biografisch.
In den 1990er Jahren wurde Kier zu einem vertrauten Gesicht des internationalen Mainstreamkinos. In Filmen wie »Armageddon«, »Blade« oder »Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv« verkörperte er oft den kultivierten Antagonisten: Kurzauftritte von eleganter Präzision, die durch ironische Brechung unvergesslich wurden. Parallel begann seine enge Kollaboration und Freundschaft mit Lars von Trier. In »Breaking the Waves«, »Dogville« und »Melancholia« fungierte Kier weniger als Star denn als atmosphärischer Resonanzkörper, der den moralischen und emotionalen Ton einer Szene verschob.
Auch Christoph Schlingensief fand in ihm einen idealen Partner für radikale filmische Experimente. In Werken wie »100 Jahre Adolf Hitler« oder »United Trash« zeigte Kier eine kompromisslose Bereitschaft zur Grenzüberschreitung, getragen von völliger Hingabe an das jeweilige Projekt. Konventionen waren ihm gleichgültig; entscheidend war allein die Haltung. Er hatte daran eine sichtbare, fast kindliche Freude.
Ein spätes Glanzlicht setzte Todd Stephens' »Swan Song« (2021). Als alternder Friseur auf einer letzten Reise verband Kier Melancholie, Humor und Verletzlichkeit zu einer seiner berührendsten Leistungen. Der Film wirkte wie eine Verdichtung seines Könnens: das Spiel mit Masken, das Offenlegen von Brüchen, auch der Mut zum leisen Ton. Es war eine von viel zu wenigen Hauptrollen.
Seit 1991 lebte Kier in Palm Springs, in einer ehemaligen Stadtbücherei, abseits von Hollywood, doch eng mit der internationalen Filmszene verbunden. Er arbeitete bis zuletzt, wählte seine über 270 Rollen nach Haltung, nicht nach Größe. Bei persönlichen Begegnungen war er ein launiger Anekdotenerzähler, schlagfertig, uneitel, mit wachem Humor und großer Lust am Erzählen. Udo Kier war einer der wenigen deutschen Weltstars, ein Grenzgänger des Kinos – vielleicht sein schillerndster.




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