Kino-Abomodelle
Tickets des Kinos »B-Movie« in Hamburg
Kinoketten bieten schon seit geraumer Zeit diverse Flatrates und Rabattsysteme an. Seit rund einem Jahr offerieren nun zwei Initiativen auch bundesweite Abonnements. Um das Publikum nach der Pandemie zurückzugewinnen, lautet das Motto: Jetzt oder nie!
Die Cinephilie ist, als Vokabel wie als Haltung, französischen Ursprungs. Das macht einen Teil ihres Charmes aus. Im Deutschen hingegen klingt das Wort wie ein klinischer Befund. Tatsächlich lässt sich dies nicht ganz von der Hand weisen, handelt es sich doch um eine gebieterische und nicht selten verzehrende Leidenschaft. Zum Krankheitsbild der Kinoliebe gehört traditionell auch eine gewisse Ansteckungsgefahr.
Ihr herkömmlicher Infektionsherd ist der Kinosaal; sie braucht ein euphorisches Ambiente. Die Begeisterung will geteilt werden, Widerhall unter Gleichgesinnten finden. Seit Filme immer häufiger zu ihrem Publikum nach Hause kommen, hat dieser Ort erheblich an Selbstverständlichkeit eingebüßt. Aber die Cinephilie war stets auch eine Utopie. Damit sie eine Zukunft hat, braucht sie eine Strategie.
»Wir rollen der Cinephilie den roten Teppich aus«, verspricht Felix Grassmann, der zu den Gründern der Initiative Cineville gehört, die bundesweite Kinoabonnements anbietet. Der Betreiber des »Abaton« in Hamburg ist ein Enthusiast, in dessen Augen das Arthousekino in der Nachbarschaft heute eine bedeutendere Rolle spielt als je zuvor. »Angesichts der vorgegaukelten Vielfalt der Streamingportale bieten wir eine echte Orientierung«, meint er. »Wir treffen eine kuratorische Auswahl, auf deren Qualität das Publikum vertrauen kann.« Er setzt auf zielgerichtete, mit Elan gestaltete Programmen, die dem Publikum den Reichtum des Kinoangebots wieder nahebringen. Seit Cineville im August 2024 an den Start ging, hat sich dies nach seiner Erfahrung vor allem auf zwei Altersgruppen ausgewirkt: »Die Spitzenwerte der Abonnenten liegen bei 20 und bei 55 Jahren. Nach Corona ist das Publikum also einerseits jünger geworden und zugleich spricht das Modell die klassische Arthouse-Klientel an, die nach der Pandemie zunächst nur zögerlich zurückkehrte.«
Cineville klingt französisch, ist aber eine niederländische Gründung. Erfunden wurde die Dienstleistung 2009 von vier Studenten, die im »Kriterion« in Amsterdam jobbten und das Image der Arthousekinos auffrischen wollten. Ihr Subskriptionsmodell etablierte sich rasch in der Hauptstadt, bald expandierte Cineville im ganzen Land und hat seit Beginn der 2020er Jahre auch Ableger in Belgien und Österreich. Mikosch Horn ist Co-Leiter des Filmhauses Nürnberg, das zu den Gründungsmitgliedern in Deutschland zählt. »Schon die Erzählungen aus den Niederlanden waren überzeugend«, erklärt er. »Dort ist durch Cineville die Anzahl der Kinobesuche wieder gestiegen und es hat gerade die Vielfalt im Kino gestärkt.« In seinem Heimatland nähert sich die Zahl der Abos inzwischen der Marke von 10 000. In Deutschland ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Aber was wäre das Kino ohne Träume?
Mit Cinfinity trat im November 2024 bei uns eine weitere Initiative auf den Plan, um das Kinoerlebnis wieder fester im Alltag zu verankern. Auch sie geht auf zwei erfahrene Kinobetreiber zurück, Ralf Thomsen und Martin Turowski. »Cinfinity wirkt wie ein Verstärker«, sagt Turowski, »es stärkt die Bindung unserer regelmäßigen Besucherinnen und Besucher – und aktiviert zugleich Menschen, die früher vielleicht nur selten ins Kino kamen. Dabei geht es weniger um große Steigerungen, sondern um eine nachhaltige Belebung – ein kontinuierliches ›Zurückfinden‹ ins Kino.«
Mehr als ein Jahr nach Einführung beider Modelle zeigen die Statistiken ein ermutigendes Bild. Abonnenten gehen im Durchschnitt dreimal monatlich ins Kino, auch die Anzahl der besuchten Kinos liegt mit fünf fast dreimal so hoch wie bei regulären Kunden. Die Spontaneität wächst ebenfalls; Entscheidungen fallen nun leichter. Jasper Koch, der als Theaterleiter des »Abaton« in direktem Kontakt mit dem Publikum steht, macht dafür wesentlich die Niederschwelligkeit des Angebots verantwortlich. »Das fühlt sich wie umsonst an«, lautet eine häufige Rückmeldung. Seiner Einschätzung zufolge fungieren Abonnenten zudem als Multiplikatoren: »Sie schleifen ihren Freundeskreis mit.«
An den Kassen der teilnehmenden Kinos sind die Abomodelle ein Grundrauschen, das anfangs noch leise war, aber von Monat zu Monat vernehmlicher wird. Zunächst wurden sie von den heavy users angenommen, den besonders hungrigen Kinogängern. Dieses Instrument der Kundenbindung lässt die Programmplanung offener, auch experimentierfreudiger werden. Üblicherweise herrscht der größte Andrang bei Abendvorstellungen, zumal am Wochenende. Nun lässt sich auch bei Randvorstellungen, nachmittags und unter der Woche, mit einem verlässlichen Interesse kalkulieren. Dadurch erweitern sich oft die Nischen; die Kinos können sich nun auch »kleinere« Filme eher leisten. Für »Kontinental '25« von Radu Jude, der im Berlinale-Wettbewerb lief, fand sich in Hamburg zunächst kein Kino. Das »Abaton« spielte ihn dann doch nachmittags und es zeigte sich, dass die Besucher zu 90 Prozent Abonnenten waren. Die Neugier kostet nichts zusätzlich. Zu den umsatzstärksten Programmen im Cineville-Verbund zählen Sneakpreviews, Vorpremieren von Filmen, deren Titel bis zum Vorstellungsbeginn geheim bleiben. Auch das Interesse an Wiederaufführungen von Klassikern ist merklich gestiegen.
Felix Grassmann will mit Cineville eine umfassende neue Dynamik im Kinobetrieb fördern. »Wir wollen die Filmkultur auch am Leben halten«, erklärt er, »indem wir unsere Website zu einer Informationsplattform ausbauen, die Lücken schließt.« Das sei nötig, argumentiert er, weil die Filmkritik zusehends aus den großen Feuilletons verschwindet. Der wöchentliche Newsletter informiert über die Filmstarts und ermöglicht eine Einordnung durch die Verlinkung von Kritiken und vertiefenden Interviews. Seine Vision: Durch den Austausch mit und unter den Abonnenten soll eine cinephile Community entstehen. Die Chancen stehen vielleicht gar nicht schlecht, dass die Kultur des selbstbewussten Sehens in den Kinos wieder Gewohnheitsrecht erhält.
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