Kritik zu Rust – Legende des Westens

englisch © Rust Movie Productions LLC

Trotz des tragischen Vorfalls am Set, bei dem die Kamerafrau Halyna Hutchins wegen eines falsch geladenen Revolvers erschossen wurde, kommt der Western nun in die Kinos, als Hommage an Hutchins ebenso wie an Westernvorbilder wie »Der Mann, der Liberty Valance erschoss«

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Nach dem Tod der Eltern versucht der 13-jährige Lucas (Patrick Scott McDermott), sich und seinen kleinen Bruder unter den rauen Lebensbedingungen des Wilden Westens gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchzubringen. Der Junge ist tough, doch leider unterläuft ihm ein verhängnisvolles Missgeschick. Bei dem Versuch, einen Wolf zu verjagen, erschießt er versehentlich einen Farmer. Ein Unfall? Der Richter sieht das anders und verurteilt das Kind wegen vorsätzlichen Mordes. In der Zelle wartet Lucas nun auf den Tod durch den Strang.

Das ist die Ausgangssituation eines Films, der mit knapp vierjähriger Verspätung in die Kinos kommt. In die Schlagzeilen geriet »Rust – Legende des Westens« allerdings nicht wegen seiner Machart oder seiner düsteren Geschichte. Berichtet wurde über dieses Projekt, weil der Hauptdarsteller Alec Baldwin am 21. Oktober 2021 am Set einen Revolver, der wider Erwarten nicht mit Platzpatronen geladen war, abfeuerte und dabei die Kamerafrau, die 42-jährige Ukrainerin Halyna Hutchins, verheiratete Mutter eines Sohnes, tötete.

Ein Unfall? Gewiss. Von tragischen Zwischenfällen werden Filmproduktionen immer wieder überschattet. Erschreckend ähnlich wie bei »Rust – Legende des Westens« wurde etwa der Hauptdarsteller Brandon Lee, Bruce Lees Sohn, bei »The Crow – Die Krähe« (1994) durch eine fehlerhafte Requisitenpistole tödlich getroffen. Ist es also, wie ein Reporter bei der Uraufführung von »Rust – Legende des Westens« im vergangenen Jahr fragte, unethisch, den Film angesichts des Verlustes eines Menschenlebens ins Kino zu bringen?

Auch solche Kontroversen wurden schon ausgetragen, etwa bei Produktionen wie »Twilight Zone: The Movie« (1982), bei welcher der Schauspieler Vic Morrow sowie zwei Kinder bei einem Hubschrauberunfall starben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht leicht – aber notwendig und legitim –, den Blick auch auf den Film selbst zu richten. Er erzählt, wie der vaterlose Lucas gerettet wird von seinem Großvater Harland Rust (Alec Baldwin), einem gefürchteten Revolverhelden, der unter anderem wegen eines Banküberfalls steckbrieflich gesucht wird. Ein US Marshall (Josh Hopkins), dessen Sohn im Sterben liegt, und ein bibelfester, zynischer Kopfgeldjäger hetzen die Flüchtigen durch eine trostlose Landschaft, die weniger an John Ford als an den quälenden dokumentarischen Realismus von Spätwestern wie Clint Eastwoods »Erbarmungslos« erinnert.

Im Gegensatz zu postmodernen Kopfgeburten wie Jim Jarmuschs »Dead Man«, der schwulen Romanze »Brokeback Mountain« oder der Serie »Django«, die das Machtverhältnis zwischen Hautfarben und Geschlechtern neu auszuloten versucht, kehrt der Regisseur und Buchautor Joel Souza zu den motivischen Wurzeln des Gründungsmythos zurück. So variiert »Rust – Legende des Westens« die basale Thematik aus John Fords »Der Mann, der Liberty Valance erschoss«: Wie kann eine Gesellschaft Gesetz und Ordnung etablieren, wenn diese Ordnung ursprünglich durch illegitime Gewalt – nämlich die heimtückische Ermordung eines bösen Revolverhelden – begründet wurde?

In Abwandlung dieses bekannten Motivs spielt Alec Baldwin einen grimmigen, beinharten Gesetzlosen, den böse Zungen wohl als »alten weißen Mann« bezeichnen würden. In dieser Funktion verkörpert Harland Rust allerdings auch einen liebevollen Beschützer, der für seinen Enkel an den Galgen geht und ihm so einen Ausweg ermöglicht aus einer verkommenen Welt, in der es keine sympathische männliche Identifikationsfigur gibt. Und in der alle versessen sind aufs Töten, das als grausam, schmutzig und unheroisch gezeigt wird. Die behütete Welt, die den Jungen nach diesem Opfer erwartet, wird nicht zufällig verkörpert von einer Frau. Gefilmt ist dieser Neo-Spätwestern in düsteren atmosphärischen Bildern, die sich dem Thema unterordnen und nie prätentiös anmuten. Der Abspann erinnert an Halyna Hutchins, deren sehenswerte Arbeit in diesem Film zu bewundern ist.

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