55. Hofer Filmtage

Charme statt Glamour
»Hyperland« (2020)

»Hyperland« (2020)

HOF heißt »Home of Films«, hat Wim Wenders gesagt. Und die 55. Ausgabe der Filmtage im fränkischen Hof erwies sich wieder mal als hervorragende Heimstatt für den deutschen (Nachwuchs-)Film

»55 Jahre Charme statt Glamour«. Der Titel der parallelen Ausstellung über die 55. Hofer Filmtage stand sinnbildlich für die von 10 000 Menschen besuchte Festivalausgabe. In den Kinosälen wurde leidenschaftlich diskutiert, und hybrid konnte noch sieben Tage länger nach Hause gestreamt werden. Lediglich die legendäre Bratwurstbude wurde zur besseren Distanzwahrung zwischen Würstchenverzehrenden und Aus-dem-Kino-Eilenden auf die andere Straßenseite versetzt.

Die mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnete Regisseurin Julia von Heinz widmete ihren Preis der kürzlich verstorbenen Tatjana Turanskyj, die sich zeitlebens für eine Frauenquote in der Filmlandschaft einsetzte und damit laut von Heinz »das Filmemachen in Deutschland dauerhaft veränderte«. 

Trotz fehlender Partys wurde in Hof gesungen und getanzt: Laudator Rosa von Praunheim stimmte für Julia von Heinz gleich zwei französische Kampfes- und Liebeslieder an. Noch wilder ging es bei der Eröffnung zu: Hauptdarsteller Bernhard Schütz tanzte und sprang nach der Aufführung von »Das schwarze Quadrat« zur Freude des Publikums über die Bühne des »Scala Filmtheaters«. Das screwballartige Regiedebüt von Peter Meister bot weiteren Grund zum Jubel: Die Gauner- und Verwechslungskomödie um Schütz und Jacob Matschenz als diebische Kreuzfahrt-Unterhaltungskünstler wider Willen und Sandra Hüller als knallharte Antagonistin wurde mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino sowie dem Kritikerpreis für die beste Produktion ausgezeichnet. Schauspieler Joachim Król, dem die diesjährige Retrospektive gewidmet war, durfte das traditionelle Fußballspiel anstoßen, das die Filmschaffenden mit 4:2 gegen das Filmtage-Team gewannen.

Der Hofer Goldpreis, ein Goldbarren im Wert von rund 36 000 Euro, musste dieses Jahr in zwei Hälften zersägt werden: Juror Philip Gröning hatte mit »Gehirntattoo« von Lukas Röder und »Charly« von Alisa Kolosova ex aequo zwei mittellange Filme mit dem Heinz-Badewitz-Gedenkpreis ausgezeichnet. Beide Filme überzeugten Gröning, indem sie als »Messgeräte für das Kino« fungieren. In »Charly« treibt die gleichnamige weibliche Hauptfigur nach dem Zerbrechen ihrer Beziehung scheinbar von Zufällen geleitet durch Deutschland und findet auf poetische Weise zu ihrem neuen Ich. In »Gehirntattoo« fühlen sich zwei junge Menschen bei einem vermeintlich therapeutischen Zoom-Call zueinander hingezogen, bis dieser immer manipulativer wird und die Frage aufwirft: Wer ist hier eigentlich krank?

Zu dieser Frage führte auch das bildgewaltige ­Nachkriegsdrama »Trümmermädchen« von Oliver Kracht, das zu Recht für das ­beste Kostümbild sowie das beste Szenenbild prämiert wurde. Zu Geheimtipps der Filmtage avancierten der im Kontext der Squid Games überaus aktuell wirkende ­No-Budget-Film »Ich kauf mir deine Angst« von Florian Anders mit Samuel Koch als bis an die Grenzen der Moral verführerischem Kapitalisten sowie David Preutes Debüt »Rogue Trader«: Der Film über einen jungen Aktienhändler in London, der sein Unternehmen durch illegale Machenschaften in den Ruin treibt, reicht in seiner Intensität an Klassiker des Finanzgenres heran. In Mario Sixtus’ ­Science-Fiction-Spektakel »Hyperland« brillierte die kürzlich mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Lorna Ishema. Und Nina Vukovics Polizeithrilller Am Ende der Worte erinnerte in seiner Sogwirkung erfrischend an Genrestücke von Dominik Graf oder Philipp Leinemann.

Bemerkenswert außerdem: Der auf den Kinobühnen und im Galeriehaus omnipräsente Festivalleiter Thorsten Schaumann hat in seinem fünften Jahr eine zu Hof passende kuratorische Handschrift mit einer Mischung aus Tradition und Moderne etabliert. So führte die Aufwertung des Kurzfilmprogramms zur erstmaligen Vergabe des Kurzfilmpreises an »Erwachsen oder sowas« von Marlena Molitor und verwies auf den historischen Kern der Filmtage. Und energiegeladene Low- und No-Budget-Spielfilmproduktionen, die bei anderen Festivals häufig »unter dem Radar« fliegen, bekommen in Hof eine würdige Bühne. Dafür braucht es auch nach 55 Jahren weiterhin keinen roten Teppich bei den Filmtagen. Charme statt Glamour eben. 

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