08/2023

In diesem Heft

Tipp

In der Fortsetzung von »The Bear« arbeiten Carmy und Co. auf die Eröffnung ihres Restaurants hin. Serienschöpfer Christopher Storer gelingt der perfekte Anschluss an seine zum Kult aufgestiegene erste Staffel.
Taylor Sheridan kehrt mit »Special Ops: Lioness« zurück zum Spionagethriller. Es geht um Agentinnen, die in Krisengebieten rekrutieren sollen.
Die zweite Staffel der »Sadcom« »Lu von Loser« von und mit Alice Gruia brilliert mit lakonischem Witz und Originalität, wie sie im deutschen TV selten sind.
Das Dokudrama aus der Feder von Avi Issacharoff und Lior Raz (»Fauda«) widmet sich den Taten und dem Untergang des Terroristen Imad Mughniyeh.
Selena Gomez, Steve Martin und Martin Short funktionieren in der dritten Staffel von »Only Murders in the Building« als bestens eingespieltes Trio.
Ins Scheitern verliebt: In »Ganz oder gar nicht« werden die Schicksale der Helden der Kultkomödie von 1997 weitergesponnen.
In Aaron Marks schwarzer Komödie »The Horror of Dolores Roach« pflastern Leichen den Weg einer eigenwilligen Masseurin.
Der RTL-Sechsteiler »Legend of Wacken« katapultiert in freier Variation von realen Geschehnissen zwei Konzertveranstalter in die Vergangenheit.
Die britisch-deutsche Koproduktion »Then You Run« folgt in wilder Mischung aus Teenie-Komödie und Gangsterthriller ein paar Freundinnen quer durch Europa.
Klatsch und Tratsch. Robert Siodmaks erster Tonfilm »Abschied« auf DVD.
Lebenslust und Lasterhaftigkeit: »Pest in Florenz« von Otto Rippert, nach einem Drehbuch von Fritz Lang, erscheint verspätet auf Blu-ray.
Komplizen wider Willen: Die erste Staffel der BBC-Serie »The Outlaws« über eine Gruppe kleinkrimineller Sozialdienstleistender.
Düstere Aussichten: Der titelgebende »Visitor from the Future« warnt die Menschheit vor einer Katastrophe, aber hört jemand auf ihn?
Im Labyrinth der Angst. Restauriert und mit starken Extras: David Lynchs »Inland Empire«.
George A. Romeros bahnbrechende Zombie-Filme »Zombie– Dawn of the Dead« (1978) und »Die Nacht der lebenden Toten« (1968) in gut ausgestatteten neuen Editionen.
Wenn das Milieu entscheidet: Die ambitionierte Journalistenserie »Ein Fall für Stein«.
Die Ausstellung »Ausgeblendet/Eingeblendet« im Jüdischen Museum Frankfurt widmet sich der ­jüdischen Filmgeschichte der Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung. Sehenswert!
Die Geschichte einer koreanischen Amerikanerin, die nach 24 Jahren ihren besten Kindheitsfreund aus Korea wieder trifft, berührt gleichermaßen als sensible Beziehungsgeschichte und als kluge Reflexion über Identität, Migration und Spiritualität.
Am 6.8. sprechen die Mitglieder des Filmkollektivs »Generation Tochter« im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit Maxi Braun über dessen gleichnamigen Film.

Thema

Melvil Poupaud ist eine Säule des französischen Arthouse-Kinos: mit über 40 Filmen, darunter Arbeiten von Éric Rohmer, Raúl Ruiz, Jacques Doillon, François Ozon und Xavier Dolan. Und wenn Poupaud ein Star ist, dann einer von der zeitgemäßen Sorte: gelassen, zugänglich und sensibel.
Patrick Heidmann stellt Schauspieler*innen aus der asiatisch-amerikanischen Community vor, die in den letzten Jahren Filme und Serien geprägt haben, darunter auch die Hauptdarstellerin von Celine Songs »Past Lives«.
Zärtlichkeiten auf der Leinwand, Übergriffe auf dem Set. In der französischen Filmwelt jagt ein Skandal den nächsten. Gerhard Midding über ein Kino in der Krise.
Mit »L'immensità« legt Emanuele Crialese den ersten Film seit elf Jahren vor – und macht öffentlich, dass er ein Trans-Mann ist. Mit Thomas Abeltshauser sprach er auf dem Festival von Venedig über familiäre Prägung, Bauchgefühle beim Filmemachen und seine Erfahrungen.
Wenn man auswandert, lässt man etwas in der alten Heimat zurück. Das ist aber nicht per se schmerzhaft, meint Celine Song. In ihrem Spielfilmdebüt »Past Lives« blickt sie mit einer Mischung aus Heiterkeit und Melancholie auf ein koreanisch-amerikanisches Beziehungsdreieck.

Meldung

Die Cineteca di Bologna lud zum 37. Mal zu »Il Cinema Ritrovato«. Die Festivalreise in die Filmgeschichte feiert Restaurierungen, Wiederentdeckungen und mutige kuratorische Entscheidungen.
Nachwuchs für das Kino: Zu seinem 40. Jubiläum wartete das Filmfest München mit einer gut zusammengestellten Reihe Neues Deutsches Kino auf.
Aslı Özge Regisseurin, Produzentin, Autorin, machte Furore mit dem Istanbul-Spielfilm »Men on the Bridge« (2009). Es folgten fürs Kino »Lebenslang« und »Auf einmal«, außerdem Episoden der Serie »Dunkelstadt«. Özges neuer Film »Black Box« startet am 10. August.

Filmkritik

Alexander Mihalkovich und seine Koregisseurin Hanna Badziaka geben bedrückende Innenansichten der weißrussischen Gesellschaft, die sich im Würgegriff eines pervertierten militärischen Systems befindet.
Der neunte Film der Reihe, die Ed Herzog seit 2013 nach den Heimatkrimis von Rita Falk adaptiert. Tiefenentspannt und hemdsärmelig geht es zu, wenn sich dem Eberhofer Franz, Dorfsheriff von Niederkaltenkirchen, die niederbayrische Provinz mal wieder von ihrer finsteren Seite zeigt.
Elegance Bratton erzählt von einem jungen Schwulen, der als Soldat bei der Marine hofft, seinem Alltag zwischen Obdachlosenheimen und einer homophoben Mutter zu entkommen. Dabei gelingt im ein bemerkenswert starkes und berührendes Debüt frei von Kitsch und Klischees.
Gerard Butler muss sich in diesem Thriller, der die Lage in Iran, Pakistan und Afghanistan nicht in der üblichen Stereotypie beschreiben will, vor diversen Geheimdiensten und Warlords retten. Für einen Actionfilm zu statisch, für ein Politdrama aber doch zu unterkomplex.
Ein selten gut gelungener Kinderfilm, der trotz dramatischen Roadmovie Genres nicht auf laute Action setzt, sondern leise eher die Töne wählt, um die Geschichten von Finn und Jola zu erzählen.
Die Fortsetzung der romantischen Komödie um einen Shanty-Chor aus Cornwall (nach einer wahren Begebenheit) aus dem Jahr 2019 greift alle Themen, imposanten Bilder und Stereotype des Vorgängers auf. Erwartbar, harmlos aber hübsch anzusehen.
Sensibel setzt Carine Tardieu die Liebe, die zwischen einer Frau von 70 Jahren (Fanny Ardant) und einem 45-Jährigen (Melvil Poupaud) ausbricht, in Szene. Bald jedoch schwenkt die wehmütige Komödie hinüber ins Melo. Das einfühlsame Ensemble (allen voran Cécile de France als betrogene Ehefrau) setzt derweil jede Figur in ihr Recht.
Valeria Bruni Tedeschi zeichnet ein fiebriges Sittenbild ihrer schauspielerischen Lehrzeit im legendären Théatre des Amandiers und feiert die Energie einer Jugend auf der Bühne wie im Leben verausgabt: oft enervierend theatralisch, jedoch anrührend – und, angesichts des Skandals um einen der Darsteller, auch allzu naiv.
Ein in angenehm ruhig und stimmungsvoll erzählter Winter-Thriller, in dem Ben Mendelsohn und Shailene Woodley sich nicht nur gegen einen Massenmörder, sondern auch gegen inkompetente Kollegen und Vorgesetzte verbünden müssen.
Zwei Brüder streiten um die Zukunft des Familienhauses in Venedig; der eine will als traditioneller Fischer leben, der andere an Touristen vermieten. Klassische Themen, pointiert vor kraftvoll gefilmter Kulisse.
In einem wilden Genre-Mix lässt die britische Regisseurin Nida Manzoor knalliges Bollywood-Kino mit britischem Humor und Martial Arts verschmelzen. Die Geschichte um eine arrangierte Ehe im modernen London funktioniert dank charmanter Einfälle und waghalsigen Genrewechseln.
Am Genfersee trifft die 14-jährige Margaux auf das siebenjährige Heimkind Juliette und den Fischer Joël. Mit poetischem Naturalismus lässt sich Jenna Hasses Debüt empathisch auf seine junge Heldin ein und erzählt von einer zarten Education sentimentale.
Trotz interessanter Zutaten will sich Maïwenns Historien-Biopic über Jeanne (Maïwenn), eine ehrgeizige Mätresse von König Louis XV (Johnny Depp) nicht wirklich zu einem Ganzen zusammenfügen.
Ein Stück Literaturgeschichte als faszinierender Filmessay: Dominik Graf geht den Spuren jener Schriftsteller und Schriftstellerinnen nach, die in der Nazizeit nicht ins Exil gingen, und findet Geschichten voller Widersprüche und Grautöne.
Die neugierige Maus Célestine und der brummelige Bär Ernest begeben sich in Ernests Heimatland Charabie, wo sie mit einer autoritären Ordnung konfrontiert werden. Bezaubernder Animationsfilm in pastellfarbenen Tönen, dessen Animation Raum für die Phantasie des Zuschauers lässt.
Vier US-asiatische Freundinnen auf Chaos-Trip durch China. Sehenswerte Variation auf Buddy/Raunch-Komödien aus weiblicher PoC-Perspektive, die mit derbem Witz in alle Richtungen austeilt und dabei so manches Vorurteil entlarvt.
Ein 22-jähriger Bauer in der polnischen Provinz verliebt sich in einen jungen Musiker und muss sich schließlich entscheiden, welches Leben er führen will. Das Liebesdrama erzählt in naturalistischen Bildern unaufgeregt von Selbstbehauptung in einem homophoben Umfeld.
Ein Polizist auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter gerät in eine Verschwörung von Super-Hypnotiseuren und muss sich seiner wahren Natur stellen: Regisseur Rodriguez nimmt in seinem Mysterythriller Anleihen bei anderen Filmen, entwickelt jedoch keine zugkräftige Dynamik.
Eine Versuchsanordnung in einem Berliner Hinterhof, der überall sein könnte. Abgeriegelt von der Außenwelt und konfrontiert mit diffuser Bedrohung gerät die Mietgemeinschaft unter Druck. Wer einander misstraut, kann nicht gemeinsam stark sein – und sich erst recht nicht zur Wehr setzen. Nüchtern-bittere Gegenwartsanalyse vermittels sehenswerter Schauspielerei.
Eine Finanzmanagerin lässt sich in Schottland zur Opernsängerin ausbilden – und findet in den Highlands die große Liebe. Trotz der tollen Danielle Macdonald fehlt es dieser biederen RomCom an beiden: an Romantik und an Comedy.
Was als melancholische Charakterstudie beginnt und Potential für eine kolonialismuskritische Betrachtung einer ungleichen Liebe offenbart, fällt narrativ auseinander und reproduziert letztlich Klischees über weibliches Begehren jenseits der 40.
In einem türkischen Provinzinternat, in dem begabte Kurden unterrichtet werden, kümmert sich Yusuf um seinen kranken, kaum ansprechbaren Freund Memo. In Ferit Karahans kühlem Drama wird die Bildungsinstitution zum Brennglas einer von starken Machtgefällen durchzogenen Gesellschaft.
In einer postapokalyptischen Welt harren drei Männer und eine Frau auf einem Außenposten mitten im Ozean aus. Visuell und schauspielerisch sehenswert, schmälern leider allzu viele Logiklöcher und die schwerfällige Erzählweise das Vergnügen an diesem B-Movie zwischen existenzialistischem Thriller und absurdem Theater.
Crialeses persönlichster Film ist zugleich eine Hommage an seine Mutter wie an die Widerstandskraft der Träume, die die Welt magisch verwandeln können.
Kontakt mit dem Jenseits aufzunehmen, ist kein Partyspiel, wie die jugendlichen Protagonist:innen in diesem zünftigen Horrorfilm auf die harte Tour lernen müssen. Denn guter Rat ist teuer, als einer der ihren drüben hängen bleibt und Rettungsversuche nur immer weiteren Schrecken heraufbeschwören. Und in höchstem Maße verdient ist der Lobpreis, der diesem Debüt vorauseilt.
Der Kinderfilm um die legendäre Colllie-Hündin verwickelt schlaue Tiere und altkluge Kinder mitreißend in turbulente Abenteuer.
Die Geschichte einer koreanischen Amerikanerin, die nach 24 Jahren ihren besten Kindheitsfreund aus Korea wieder trifft, berührt gleichermaßen als sensible Beziehungsgeschichte und als kluge Reflexion über Identität, Migration und Spiritualität.
Zwischen Nostalgie und Modernität geben Justin Simien und Drehbuchautorin Katie Dippold dem Disney-Themenpark-Franchise einen vergnüglich gruseligen Frischekick.
Christopher Nolans episches Biopic des Vaters der Atombombe ist ein Kabinettstück der kinetischen Einfühlung in eine Zeit der wissenschaftlichen Paradoxien und ethischen Dilemmata. Cillian Murphy und Emily Blunt ragen heraus aus einem Ensemble, das so hochkarätig ist, dass noch jeder Kurzauftritt unvergesslich ist.
Mit konzentrierterem Fokus auf narrative und bildgestalterische Aspekte hätte Gerwig mit »Barbie« ein feministischer Paukenschlag gelingen können. Stattdessen zündet sie ein durchweg unterhaltsames, pink-glitzerndes Knallbonbon mit Ryan Gosling als heimlichem Helden.
Nichts Neues im Spionageuniversum, doch wenn Tom Cruise als Ethan Hunt wieder mal die Welt retten muss – diesmal auf der Jagd nach einem digitalen Parasiten und einem alten Feind – ist das bestes Popcornkino mit tollkühner Action und auch Charme.

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