Kritik zu The Lost Leonardo

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Der Dokumentarfilm über ein berühmtes Gemälde und die Frage, ob es von da Vinci stammt, könnte der spannendste Thriller des Winters sein

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»Salvator mundi«, Weltretter oder Welterlöser, heißt das 66 mal 46 Zentimeter große Ölgemälde auf Walnussholz, das Jesus mit segnender Geste zeigt und seit seiner Versteigerung durch Christie's in New York 2017 auch Weltrekordhalter ist: Für 450 Millionen US-Dollar (inklusive Gebühren) wechselte es den Besitzer. Gerade mal 12 Jahre zuvor war es in New Orleans noch für 1.175 Dollar erstanden worden. Der Auktion vorangegangen war eine pompöse Marketingkampagne, die der Film »The Lost Leonardo« als skrupellose Verschleierungskampagne erscheinen lässt. Zu verschleiern galt es die zahlreichen Zweifel an der Authentizität des Gemäldes. Für die einen Experten ein Wunder aus der Hand des größten Renaissance-Genies, das männliche Pendant zur »Mona Lisa«, war es für die anderen ein unlösbarer Fall oder Fake. Der Druck des Kunstmarkts und knallhartes Kalkül haben den bis dahin nur 15 gesicherten Gemälden Leonardos ein weiteres hinzugefügt.

Wie sehr Geldgier und Geltungssucht, aber auch das Wunschdenken von Kunstliebhabern bei der Wahrheitsfindung mitmischen, beleuchtet der dänische Dokumentarfilmer Andreas Koefoed in einer Art von Genremix: mal Thriller, mal Farce, dann plötzlich politisches und auch Verschwörungs-Drama. Das Einzige, was in diesem Plot voller haarsträubender Wendungen und illustrem Personal ein wenig zu kurz kommt, ist ein genauerer Blick darauf, was die große Kunst Leonardos eigentlich ausmacht. Doch im Fokus des Films steht nun einmal der Kunstmarkt. 

In konventioneller, aber mitreißender Erzählweise, mit vielen Talking Heads und Archivmaterialien und sehr wenigen dezenten Re-Enactments, schließlich auch pointiert montiert folgt »The Lost Leonardo« dem Weg des Gemäldes. Der Film erzählt vom Anfangsverdacht eines Kunstjägers, ein schwer beschädigtes Jesusbild in einem kleinen Auktionshaus in New Orleans könne mehr sein als ein x-beliebiges Gemälde aus der Renaissance, von der mehrjährigen Restaurierung, von Expertenrunden und einer mutigen – oder tollkühnen? – Erklärung zum einwandfreien Leonardo anlässlich einer Ausstellung der National Gallery in London 2011. Er erzählt von einem windigen Zwischenhändler, der durch ein wenig Trickserei 47 Millionen Gewinn mit dem Bild machte, von Freeports, in denen die Superreichen Kunstwerke als Geldanlagen bunkern, vom Zorn eines Oligarchen und dem viralen Zauber eines Werbevideos. Schließlich verfolgt er die Spur des Bildes zu dem geheimnisvollen Ersteigerer bei Christie's, der die 450 Millionen aus dem Ärmel zu schütteln schien. Spätestens da ist der Film in der Weltpolitik angekommen.

Lange Zeit scheint sich »The Lost Leonardo« auf die Seite der Skeptiker und Gegner der Leonardo-Zuschreibung zu schlagen, doch weist eine letzte Wendung in die andere Richtung. Die Seele des Films bleibt die ältere Dame, die mit ihrer (ebenfalls umstrittenen) Restaurierung des »Salvators« das Karussell in Gang gebracht hat: Die weltweit renommierte Dianne ­Modestini kämpft immer noch für die Anerkennung von Leonardos Urheberschaft, und wenn in diesem Film irgendetwas absolut authentisch ist, dann ihre Leidenschaft für das Bild und für die Kunst. Der echte oder falsche Welterlöser mit dem entrückten Blick schippert derweil vielleicht auf der Superjacht eines saudischen Prinzen auf den Weltmeeren umher . . .

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