Kritik zu In Liebe lassen

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In dieser Chronik eines Sterbens muss ein Mann in den besten Jahren mit Hilfe eines außergewöhnlichen Arztes lernen, seinen baldigen Tod zu akzeptieren: ein ambitioniertes Drama, in dem, neben Benoît Magimel und Catherine Deneuve, ein authentischer Arzt auftritt

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»Gibt es noch Geheimnisse?«, insistiert Dr. Ebbé in seinen Gesprächen mit dem unheilbar krebskranken Benjamin. Der Onkologe rät seinen todgeweihten Patienten stets, »den Schreibtisch aufzuräumen«, Verdrängtes hervorzuholen, sich zu versöhnen, auch mit den eigenen Versäumnissen, um in Frieden gehen zu können. Doch Benjamin, der die Diagnose zunächst auf die leichte Schulter zu nehmen scheint und mit fortschreitender Krankheit an seinem vermeintlich gescheiterten Leben verzweifelt, schweigt.

Leider widersteht Regisseurin Emmanuelle Bercot nicht der Versuchung, den geradlinigen Kurs ihres ergreifenden Dramas, in dem das ein Jahr währende Dahinsiechen des 39-Jährigen geschildert wird, zugunsten einer kitschigen Nebenhandlung rund um ein schicksalhaftes Geheimnis (das in dieser Filmkritik nicht gespoilert werden soll) abzuändern. Es dient offensichtlich dazu, Benjamins Sterben einen tröstlichen Sinn zu verleihen und verfehlt nicht seine Wirkung, selbst wenn man sich emotional drangsaliert fühlt.

Nicht nur wegen solch theatralischer Zuspitzungen erinnert der Film nur im Ansatz an Andreas Dresens Krebsdrama »Halt auf freier Strecke«, in dem ein Familienvater in den besten Jahren aus dem Leben gerissen wird. Auch ging es in Dresens unterkühlter Inszenierung nur am Rand um Palliativpflege. Bei Bercot aber ist der Arzt, neben Benoît Magimel als Benjamin und Catherine Deneuve als Mutter Crystal, ein gleichberechtigter Hauptdarsteller. Gabriel Sara, ein Krebsspezialist aus New York, diente nicht nur als Inspiration für diesen Film, sondern spielt sich gleich selbst.

So will das Kammerspiel zusammen mit dem Prozess der Akzeptanz des Todes Saras Behandlungsmethode vorstellen. Diese zielt darauf ab, unheilbar Kranken möglichst viel Lebensqualität zu bewahren. In dokumentarisch anmutenden Szenen werden dem Arzt und seinem Team viel Zeit gewidmet. In Supervisionsrunden reden sich Krankenpfleger ihre Gefühle von der Seele, gefolgt von gemeinsamem Singen zur Gitarre. Das wirkt gelegentlich aufgesetzt. Und von der Zugewandtheit des Arztes, der sich auch als Psychotherapeut und spiritueller Coach versteht, von seinen geduldigen Gesprächen mit Benjamin, stets von seiner Mutter begleitet, aber auch von der Zuwendung des Krankenhauspersonals, können reale Patienten nur träumen. Sara, vielfach mit Preisen ausgezeichnet, absolviert hier auch einen Werbeauftritt in eigener Sache, denn seine Abteilung am Mount Sinai Krankenhaus wird von Sponsoren finanziert. Wie leicht diese Behandlungsstrategie, in der professionelle Distanz durch Empathie ersetzt wird, in die Falle führen kann, zeigt sich in dem Moment, in dem eine in ihren Patienten verliebte Krankenschwester zur Tat schreitet: eine als Leidenschaft missverstandene Übergriffigkeit, die, wäre das Geschlechterverhältnis umgekehrt, zu Recht Empörung ausgelöst hätte.

Trotz dieser Fehlgriffe aber ist die Interaktion der Hauptfiguren spannend, auch weil das eingespielte Duo Deneuve/ Magimel dem Laien Sara gekonnt den Ball zuwirft. Der Anblick der beiden einst göttlich schönen Stars als Matrone und ausgezehrter Kranker, gebiert seine eigene Melancholie, zumal Deneuve während der Dreharbeiten einen Schlaganfall erlitt. Und die in spruchreifen Sätzen ausgedrückte Überzeugung des Arztes, seine Forderung nach Ehrlichkeit nicht nur in Bezug auf Heilungschancen, schafft den Brückenschlag zu einer weiteren Filmebene: Im Schauspielunterricht lässt Benjamin seine Schüler auch improvisierte Szenen proben, die von Abschied und Tod handeln. Er treibt sie dazu, ihr Innerstes zu offenbaren, um so die Wahrheit eines Gefühls zu finden und den Zuschauer zu berühren. 

In dieser Spiegelung seiner eigenen Situation findet der Film, die Regisseurin, im Hauptberuf Schauspielerin, zu sich selbst, wird die ärztliche Pädagogik von einem poetischen Überschwang abgelöst, der dem Skandal des Todes angemessener scheint.

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