Kritik zu Fado – Die Stimmen von Lissabon

© Arsenal Filmverleih

Die ungarische Journalsitin Judit Kalmár und die schweizerisch-portugiesische Künstlerin Céline Coste Carlisle gehen den Traditionen des Fado in Lissabons Altstadt in der Phase seines gentrifizierungsbedingten Entschwindens nach
 

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Eigentlich handelt dieser Gesang ja von nichts anderem als Weltschmerz. Etwas dramatischer ausgedrückt, geht es um Schicksal. Das wäre auch eine Übersetzung von Fado, einem typisch portugiesischen Musikstil, der arabische Einschläge mit den Gesängen portugiesischer Seeleute verbindet. Weltweit erfolgreich wurden die in Porto geborene Interpretin Mísia und die aus Mosambik stammende Sängerin Mariza.

»Fado – Die Stimmen von Lissabon« interessiert sich mehr für die nicht-kommerziellen Erscheinungsformen dieser Darbietungskunst. Seine Wurzeln hat sie in anrüchigen Kneipen der Armenviertel von Lissabon. Genau dorthin begeben sich Judit Kalmár und Céline Coste Carlisle. Genauer gesagt: das, was von den traditionellen Fado-Kneipen noch übrig ist.

Der Film der ungarischen Journalistin und der schweizerisch-portugiesischen Künstlerin verwebt zweierlei. Eine Hommage an charismatische Sänger verbindet sich mit dem Blick auf die Alfama, die Altstadt von Lissabon, wo gerade eine tiefgreifende Umwälzung im Gang ist. Passagierschiffe spucken täglich bis zu 10 000 Besucher aus. Sie alle suchen das Urtümliche der Stadt – das genau durch diesen Massentourismus mehr und mehr ausgehöhlt wird.

Was gut ist für die gebeutelte Ökonomie des Landes, erweist sich allerdings als Raubbau an der gewachsenen Kultur. Wie genau das funktioniert, macht der Film im Vorbeigehen klar: Steigende Immobilienpreise vertreiben immer mehr Anwohner aus der Alt- in die Vorstadt. Airbnb-Vermietung fördert eine Anonymität touristischer Besucher, die kommen und gehen. Zusehends auf der Strecke bleibt dabei die gewachsene Urbanität. Der Tratsch an der Straßenecke, das Jammern über Mühen des Alltags: also der Stoff, aus dem der Fado gewoben wird – all das verschwindet allmählich.

In den stärksten Momenten des Films wird der Fado noch einmal zelebriert. Und das beeindruckend. Im Zentrum steht die quirlige Céline, eine einheimische Ausländerin, die seit 20 Jahren in Lissabon lebt, wo sie mit ihrem Lebenspartner eine Kneipe betreibt, in der jeden Abend gesungen wird. Die Kamera dokumentiert einen der letzten Abende vor der Schließung.

Befreundet ist Céline mit Ivone Días, einer 80-jährigen Sängerin mit charismatischer Ausstrahlung. Die Kamera beobachtet ihre Auftritte und begleitet sie durch ihren Alltag. Indirekt deutlich wird dabei, dass der Fado Kunst und Leben bruchlos miteinander verwebt. Jeder Sänger in ihrem Viertel, erklärt Ivone Días, schreibt seine eigenen Lieder. Diese werden nicht ohne Weiteres von anderen kopiert. Sie werden vererbt. Diese ungeschriebenen Gesetze verhindern eine kommerzielle Auswertung. Das hat sein Gutes, denn so bewahrt die Szene eine pulsierend urtümliche Authentizität, die der Film en passant spürbar macht, ganz ohne gut gemeinte Erklärungen.

Im Zuge der Gentrifizierung verschwinden immer mehr traditionelle Lokale – und damit der urtümliche Fado aus Lissabon. Somit erweisen sich die Beobachtungen von Kalmár und Carlisle selbst als gefilmter Fado.

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