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Deutschland ganz unten: Hüseyin Tabak erzählt realistisch vom schwierigen Leben am untersten Ende der gesellschaftlichen Hierarchie. Eine Migrantin aus Rumänien muss sich als alleinerziehende Mutter in Hamburg durchschlagen
Mit der kleinen Tochter an der Hand und dem Neugeborenen im Arm verlässt Ali die rumänische Roma-Siedlung, in der sie zu Hause war. Warum die junge Frau von ihrem Vater verstoßen wurde, erfährt man zunächst nicht. Regisseur Hüseyin Tabak setzt seine Protagonistin vielmehr einem Alltag in der Gegenwart aus, der es in sich hat. In Hamburg strandet Ali und versucht nun, sich und die Kinder mit Gelegenheitsjobs durchzubringen. Die Romni ist nicht nur alleinerziehend und wegen des ihr einst vorenthaltenen Schulbesuchs nahezu ungebildet, sie erlebt auch hautnah einen Rassismus, von dem weiße Deutsche allenfalls eine vage theoretische Vorstellung haben. Da niemand ihr eine Wohnung vermieten will, geht sie eine Wohngemeinschaft mit einer jungen Hamburger Träumerin ein, trägt die Mietkosten aber tatsächlich meist allein. Als in einem Hotel schwarzarbeitende Zimmerfrau wird sie um Teile ihres Lohns betrogen; nachts schuftet sie für fünf Euro die Stunde auf illegalen Baustellen. Schließlich landet Ali als Putzfrau in der Hamburger Szene-Kneipe »Ritze«, wo sich Prostituierte, Freier und Partyvolk begegnen und im Keller Boxkämpfe um Geld stattfinden.
»Gipsy Queen« ist als Sozialdrama ganz um seine Hauptfigur herumgebaut, und das ist auch plausibel, denn das Leben von Ali verdient alle Aufmerksamkeit, und die Roma-Aktivistin Alina Șerban ist ein Ereignis in der Hauptrolle. Alis sprechender Blick ist es, der den Zuschauern eine ganz eigene Sicht auf prekäre Arbeitsverhältnisse und das Rotlichtmilieu vermittelt. Es ist der Blick einer Migrantin, die sich in einem fremden Land am untersten Ende der Hierarchie wiederfindet. In einer Parallelgeschichte um Alis Tochter Esmeralda reißt der Film an, was es bedeutet, hierzulande als »Zigeunerschlampe« (so wird das Mädchen in der Klasse beschimpft) eine Brennpunktschule zu besuchen.
Die Diskriminierungserfahrung grundiert die gesamte Existenz. Dass Ali ihre Kinder wegen einer Unzuverlässigkeit der Mitbewohnerin an das Jugendamt und eine Pflegefamilie verliert, ist da schon fast zu viel an Lebenslast. Im Verlauf der Handlung schält sich indes eine Underdog-Geschichte vom Aufstiegswillen aus dem knallharten Sozialdrama heraus, die den wohl unbestrittenen Realismus der Verhältnisse mit einem Quantum Hoffnung versieht. Auserzählt wird das nicht; das Ende bleibt offen. Aber dabei ist zu erfahren, dass Ali zwar kein »Million Dollar Baby«, aber mal eine talentierte Nachwuchsboxerin war und ihren Namen dem Champion Muhammad Ali verdankt: »Sie schwebt wie ein Schmetterling und sticht wie eine Biene«, schwärmte ihre Familie. Im Keller der »Ritze«, während etlicher Trainingsstunden und Sparringsrunden, in denen Tobias Moretti als abgehalfterter Boxtrainer Tanne und Alis Förderer auftritt, findet dieser Film mit seiner so zähen wie stolzen und durchweg sympathischen Heldin dann zu unmittelbarer Körperlichkeit und zu seiner sehr deutlichen finalen Metapher: dem Leben als fortgesetztem Kampf, in dem man sich im Wortsinn durchzuboxen hat, aber nicht nur einstecken muss, sondern auch austeilen kann.