Retrospektive: »Briefe eines Toten« (UdSSR 1986)

»Pisma mjortwowo tscheloweka« (Briefe eines Toten) (1986). © DEFA-Stiftung / Nikolai Pokoptsew

Jetzt Apokalypse. Aber so richtig. Alles monochrom, vornehmlich gelb, manchmal blau viragiert, eine untergegangene Welt, das Ende der Menschheit. Nach einem Atomkrieg die letzten Überlebenden in einem Bunker unter einem Museum, dort haust der Professor und Nobelpreisträger Larsen mit ein paar Museumsangestellten. Außen Trümmer, Leichen und Strahlung, unten zusammengesammelten Zeug aus dem Museum, unter den Tischen Pedale, um Glühlampen anzutreiben. Und warten, warten auf den endgültigen Schluss. Und Nachdenken über das Vorher, wie hat es soweit kommen können. Konstantin Lopuschanskis »Briefe eines Toten« ist ein deprimierender Film über eine verlorene Menschheit in einer kaputten Welt auf einem unbewohnbaren Planeten.

Die Menschheit war von Anfang an auf ihren selbstmörderischen Untergang aus, seit Urbeginn wird die Natur vergewaltigt, im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen war dieses Ende unvermeidlich, und die Kunst hat die Menschen eh nur eingelullt. Sagt der eine. Die Liebe hat die Kunst erschaffen, sie reflektiert die Sehnsucht, die im Menschen wohnt, dass er sich auf der Suche nach seinem Ideal irgendwann über die Natur stellte, das ist der Fehler gewesen. Sagt der andere. Der Professor sucht Beweise dafür, dass es gar keinen Krieg und gar keinen Untergang gegeben hat. Weil er verrückt geworden ist, irgendwann vor dem Angriff und nach seinem Nobelpreis, meint seine Frau, strahlenkrank, kurz vor ihrem Tod. Immer wieder hören wir Larsen Briefe verlesen an seinen Sohn, den er verzweifelt sucht, der irgendwo lebt, wahrscheinlich, naja. Sicherlich ist er tot.

Für Larsen der schlimme Alptraum: Er fährt eine Lokomotive und überfährt sich selbst. Er hat mitgeforscht und mitgearbeitet an den Waffen, die jetzt den Tod für alle bedeuten. Viele sitzen in der Führerkabine der Lok, von Niels Bohr bis zum jetzigen Präsidenten, sagt Larsen. Und boah, welche schrecklichen Bilder von unglaublichen Feuersbrünsten in der Stadt inszeniert Lopuschanski, verstärkt durch die gelbliche Einfärbung, eigentlich ein technisches Mittel des Stummfilms, hier eingesetzt für die Bebilderung des Weltuntergangs...

Es gibt viel zu sehen, Schönes ist nicht dabei. Einleuchtend, dass Lopuschanski Assistent war bei Tarkowskis »Stalker«. Mitte der 1980er scheint in der UdSSR die Zeit gekommen, im Film die Abrüstung zu beschwören, mit allen drastischen Mitteln, die nötig sind. Insofern ist »Briefe eines Toten« nicht unähnlich dem utopischen Stummfilm »Himmelskibet« von 1918, nur dass er den Pazifismus von der anderen Seite aufrollt: Alles ist kaputt, der Film mahnt dazu, dies zu verhindern. Am Ende immerhin ein Fünkchen Hoffnung, es ist Weihnachten, Larsen hat Waisenkinder um sich versammelt, um die er sich kümmert, aus Draht ein Christbaum, und für die Kinder ist das vielleicht der Anfang eines durchaus religiös motivierten neuen Urmythos...

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