Ein Format nach dem anderen

Natürlich lässt mir „One Battle After Another“ keine Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis ich mein Vorhaben umsetzte, und es kam dann auch ganz anders. Eine befreundete Kollegin, auf deren Urteil ich viel gebe, riet mir nämlich, es nicht mit der 70mm-Version bewenden zu lassen. Sie hatte ihn bei der Pressevorführung im IMAX gesehen und danach auf Zelluloid.

Nach ihren Worten schien das ein Fall von „Das Bessere ist der Feind des Guten“ zu sein. Eine Dienstreise war mir in die Quere gekommen, aber die Zeit drängte gar nicht so sehr: Bei meiner Rückkehr nach Berlin stellte ich fest, dass das Delphi seine 70mm-Vorführungen (siehe „Ein Countdown“ vom 29. 9.) noch um eine Woche verlängert hatte. Die Magie des Zelluloid hatte beim Berliner Publikum augenscheinlich verfangen. Das Kino war gerappelt voll, ich traf auch einige Kollegen, die ihn schon gesehen hatten, aber eine der letzten Gelegenheiten noch nutzen wollten. P.T, Anderson lässt uns zu Wiederholungstätern werden.

Das Vibrieren von 70mm passt gut zum Ekstatischen seines Films. Dabei gehen die Figuren und ihre Inszenierung Hand in Hand. Ich saß nah dran, tatsächlich sogar auf meinem Stammplatz bei Pressevorführungen, und konnte jede Pore auf ihrer Haut (sowie die Linien in Teyana Taylors geißelten Gesicht und die merkwürdige Warze unter Sean Penns Oberlippe) entdecken. So ähnlich war es mir vor Jahrzehnten einmal mit der Schminke auf Kim Novaks Gesicht in „Vertigo“ ergangen, ich glaubte, jeden Pinselstrich sehen zu können. Anderson ist eben auch ein fulminanter Porträtist, bei dem die Gesichter das Publikum anspringen. Aus der 70mm-Retro der Berlinale wusste ich, dass die Geheimwaffe des Formats die Tonspur ist, Johnny Greenwoods perkussive, rätselhaft euphorische Partitur riss mich mit. Bei ersten Sehen bleibt ohnehin manches unbegreiflich (was offenbar auch Francis Coppola so erging, der das nicht nur auf sein Hörgerät schob), was den Rausch des umfassenden Wahns auf der Leinwand nicht im Mindesten schmälert. Ein wilder Ritt, und ich nehme Anderson seinen Einwand einfach nicht ab, er habe keinen politischen Film drehen wollen. Gut, er hat ihn vor Trumps Amtsantritt abgedreht und nach produziert, aber die Bilder der Abschiebelager und dieser Quasi-Privatarmee, die die USA von Einwanderern säubern will, bersten vor Gegenwartssinn.

Mittlerweile hatte der Formatfetischismus bei „Indiewire“, den ich im ersten Eintrag erwähnte, neue, tollkühne Blüten getrieben. In einem Artikel (https://www.indiewire.com/features/general/one-battle-after-another-format-choices-indiewire-staff-1235152830/) berichten verschiedene Autoren (oft in Personalunio von Fan, Märtyrer und Privilegertem) von ihren unterschiedlichen Seherlebnissen. Der steckt voller mich verblüffender Erkenntnisse, nicht zuletzt über die dortige Berufspraxis (Pressevorführungen am Sonntag? Pässe für das Warner-Bros- Studiogelände etc.), vor allem aber über die Vielfalt und zugleich Exklusivitätder Sichtbarkeit (tatsächlich gibt es nur vier Kinos, die den Film in dem Format vorführen können, in dem er gedreht wurde: VistaVision – nebenbei, die Verdrängungsgeschichte dieses heroischen Formats steht unter dem Motto „Das Preiswerte ist der Feind des Besten“). Ein Autor nahm es sogar auf sich, den Film innerhalb von sechs Tagen in jeder verfügbaren Vorführtechnik zu sehen und machte sich überdies die Mühe, dazu auch nach San Francisco zu fliegen (https://www.indiewire.com/features/commentary/i-saw-one-battle-after-another-six-times-in-six-formats-1235154431/.). Der Kollege muss bei „Indiewire“ wirklich gut verdienen! Weshalb es ihm womöglich auch nichts ausmacht, dass ich meine Überschrift bei ihm abgekupfert habe.

Bei mir kommt es nur noch selten vor, dass ich einen Film an zwei Tagen hintereinander sehe (meist wegen eines Audiokommentars). Aber in diesem Fall scheute ich auch vor den Premiumpreisen nicht zurück. Es traf sich, dass ein alter Freund „One Battle After Another“ als DCP schon so gut fand, dass er ihn unbedingt noch einmal in einem Upgrade sehen wollte. Er war wahnsinnig gespannt, wie die Verfolgungsjagd in der Wüste in einem anderen Format wirkt. Inzwischen scheint sie sogar einen Kosenamen erhalten zu haben, „river of hills“. Ich gab zu bedenken, dass die Sequenz so großartig ist, weil sie sich, wie einst bei Hitchcock, so langsam entwickelt. Aber natürlich war ich auf die erneute Achterbahnfahrt genauso gespannt wie er. Sein Dienstplan ließ nur den Besuch im IMAX zu, was insgeheim sowieso seine Präferenz gewesen war. Für mich und überraschenderweise auch für meinen technikaffinen Begleiter war es die erste Begegnung mit dieser gigantischen Leinwand („Don't watch a movie, be part of it“). Meine Angst, im Multiplex in eine Popcorn/ Nacho-Vorhölle zu geraten, bestätigte sich nicht. Der Saal war prächtig besucht und das Publikum schätzungsweise jünger als am Vorabend. Gelacht wurde genauso häufig.

Bei der Formatfrage hatte mich ursprünglich ein ästhetisch-technisches Problem beschäftigt. VistaVision hat ein Breitenverhältnis von 1:1,50, dem IMAX sehr nahe kommt (bei 70mm ist es 1:1, 85). Für welches Format hat Anderson nun aber seine Bilder komponiert? Das erinnert an den alten Streit um Fritz Langs letzte US-Filme, die RKO sowohl im Normalformat wie in Breitwand vorführten. Bei Lang sind die Einstellungen stets diktatorisch präzise kadriert, wie kam er damit klar – zumal er CinemaScope hasste (aber einen seiner schönsten Filme darin drehte, „Moonfleet“/“Das Schloss im Schatten“). Im aktuellen Fall verlor ich das Problem schnell aus den Augen. Ohnehin wird es allmählich Zeit, mein Scheitern einzugestehen. Anfangs mochte ich noch einigermaßen auf die Unterschiede zwischen beiden Formaten achten. Beide sind majestätisch, IMAX ist stählern klar, 70mm wirkt fiebriger, vibrierender fragiler. Dessen Grobkörnigkeit lässt sich natürlich auch digital herstellen: Die Poren sah ich auch diesmal, aber die Konturen von Teyana Taylors Antlitz beispielsweise sind kontrastreicher auf Zelluloid. Bald jedoch korrumpierte mich der Film, ich ließ mich erneut von ihm mitreißen. Mein Begleiter fand das Upgrade großartig. Aber eigentlich, gestand er mir, hatte ihn die Verfolgungsjagd schon in der regulären Vorführung genauso gepackt wie gestern Abend.

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