Freitag auf Montag

Es ist nicht unbedingt abendfüllend, Leuten beim Ausschlafen zuzuschauen. Bei Otar Iosseliani mochte das noch angehen, der hat dem Müßiggang eine eigene filmische Dringlichkeit verliehen. Jenseits von ihm jedoch verlangt das Kino nach Aktivität. Mithin ist das Wochenende keine aufgehobene, sondern aufgeladene Zeit.

Sie scheint mehr zu zählen als in der Arbeitswoche, die ihm vorausgeht und in der, die ihm unweigerlich folgt. Man geht absichtsvoller daran. Immerhin birgt das Wochenende in der Regel das Versprechen einer gewissen Ungezwungenheit. (Oft ist es im Kino natürlich auch eine Zeitspanne, in der fieberhaft und unter Hochdruck gearbeitet wird, weil am Montag ein Projekt vorgestellt werden muss.) Zu Freizeit gibt es keine Gegenwort. Sie drängt zur Muße, aber die Entspannung gebiert auch Konflikte. Die Verhältnisse kristallisieren sich - gleichviel, ob es sich um den Landurlaub von Seeleuten (etwa in Jacques Demys »Die Mädchen von Rochefort«, einem der Wochenendfilme schlechthin) handelt oder um das turnusmäßige Wechselbad für Scheidungskinder. Nichts wird fertig in dieser Frist, aber manches hinter sich gelassen oder begonnen. Sie eröffnet Perspektiven wie der One-Night-Stand, aus dem in »Weekend« von Andrew Haigh was Ernstes werden könnte. Ohnehin taucht das Wort bzw. tauchen die Tage, die es konstituieren, häufig in Filmtiteln auf. Es hat Strahlkraft.

Das Berliner Zeughauskino widmet diesem filmischen Motiv nun eine Reihe, die noch bis Ende Februar läuft. »Schönes Wochenende – Kinematographie einer Auszeit« heißt sie und dürfte eine der originellsten Kuratorenideen des Jahres darstellen: naheliegend, aber triftig. Zusammengestellt hat die Auswahl ein Volontär des Hauses, Mathias Barkhausen. Sie umfasst rund ein Dutzend Titel und diese sind sämtlich klug ausgesucht. Es sind Klassiker darunter (»Menschen am Sonntag«, »Das verlorene Wochenende«), aber auch Ausgrabungen ( »Sonnabend, Sonntag, Montagfrüh & Sonnabend, 17 Uhr« von Ula Stöckl) sowie ein Kurzfilmprogramm (Erholung & Protest). Godards »Weekend« fehlt mir kein bisschen. Warum nur ist nicht schon früher jemand darauf gekommen?

Die IMDb verzeichnet unter dem Schlagwort 321 Kino- und Fernsehfilme. (Ich hätte mit mehr gerechnet.) Mathias Barkhausen komprimiert diesen Korpus schlüssig. In »Menschen am Sonntag« und Luciano Emmers bahnbrechendem Ensemblefilm »Domenica d'agosto«, der verschiedene Handlungsstränge an einem Sonntag am Strand von Ostia zusammenführt, passiert nicht viel mehr, als dass man einigen Figuren bei ihrer Freizeit zuschaut. Das gilt eigentlich auch für „Intime Beleuchtung“ von Ivan Passer. Der Produzent meinte, dies sei der langweiligste Film aller Zeiten. Er irrte sich gründlich. Passer reiht nur eine Folge nebensächlicher Ereignisse aneinander – es gibt Trinkgelage und Hausmusik, eine sportliche Schwiegermutter trotzt ihren Rückenschmerzen, diverse Schnarchkonzerte werden belauscht, ein renitentes Huhn wird alsbald verspeist -, rechnet sie in der Wiederbegegnung zweier Jugendfreunde hoch zu einer Chronik der verlorenen Illusionen und unerfüllten Ambitionen. Die moderne Verlobte des einen, der nach Prag gegangen ist, sieht so berückend aus wie eine böhmische Schwester von Julie Christie und Rita Tushingham.: ein Skandal in der stickigen, ländlichen Idylle. "Ach, diese Sonntage!" seufzt der Schwiegervater wohlig, als der selbstgemachte Eierlikör partout nicht aus den Gläsern fließen will. Für das Konzert, auf das eigentlich alles hinauslaufen sollte, interessiert sich Passer dann gar nicht mehr. Sie merken schon, ich lag mächtig falsch, als ich Iosseliani eingangs zur großen Ausnahme erklärte.

In »Zwei Tage, eine Nacht« von den Brüdern Dardenne hingegen ist die Verharschung der sozialen Verhältnisse dramatisch verdichtet. Bis sie wegen einer Depression krank geschrieben wurde, arbeitete Sandra (Marion Cotillard) in einem mittelständischen Unternehmen, das Solaranlagen herstellt. Damit sie wiedereingestellt werden kann, müssten ihre Kollegen auf ihren jährlichen Bonus von 1000 Euro verzichten. Bei einer ersten Abstimmung sprach sich die Mehrheit der Belegschaft dagegen aus. Der Chef gibt Sandra bis zum Montagmorgen Zeit, um ihre Kollegen umzustimmen. Sie steht vor einem Dilemma, an dem sie keine Schuld trägt, für das sie aber die Verantwortung tragen muss. Ihr wird der unerhörte, empörende Druck auferlegt, ihren Kollegen nun als Bittstellerin entgegenzutreten, obwohl sie weiß, dass eigentlich keiner von ihnen auf die Prämie verzichten kann. Eine solche Konfliktstellung wird man in der Filmgeschichte schwerlich ein zweites Mal finden. Wie unter einem Brennglas wird ein ökonomisches Diktat sichtbar, das Angestellte als reinen Kostenfaktor betrachtet, das Angst schürt und Solidarität zu zerstören sucht.

Das Wochenende fordert von Filmemachern nicht nur ein Gespür für Verdichtung, sondern auch für das Timbre des Moments. Dafür steht Claire Denis ein mit ihrem schönsten Film »Vendredi soir«, der atmosphärischen Chronik des Liebesabenteuers, das eine junge Pariserin in der Nacht erlebt, bevor sie mit ihrem Lebensgefährten zusammenzieht. Niemand versteht allerdings von diesem Kinotopos so viel wie die Briten. »Samstagnacht bis Sonntagmorgen«, Karel Reisz' Adaption von Alan Silitoes Roman, gibt das Muster des proletarischen Kinos vor. "That's the lot for friday" frohlockt Albert Finney, als er den Akkord im Werk für Fahrradteile wieder einmal übertrumpft hat. Nun blickt er zuversichtlich den Freuden des Wochenendes entgegen, die freilich in genauso festgefahrenen Bahnen verlaufen wie die Arbeitswoche. Die Ausnahme als Trott aus Angeln, Besuch im Pub und der Liebesnacht mit Rachel Roberts, der Frau eines Kollegen. Außerehelicher Sex wurde im britischen Kino nie zuvor mit solcher Wärme inszeniert, aber er ist nur eine Etappe seiner Träume. Der Samstag ist der strategisch wichtigste Zeitpunkt und der Sonntagabend steht im Zeichen der Entzauberung. Das Wochenende genügt nicht, am Mittwoch ist er im Kino verabredet mit Shirley Ann Field.

Wie ereignisreich das Wochenende sein kann, führt kein Film so schön vor wie »Sunday, Bloody Sunday« von John Schlesinger, wiederum im Spannungsfeld von prosaischer Routine und emotionalem Aufbruch. Glenda Jackson soll auf die Kinder eines befreundeten Paars aufpassen. Aber die sind so antiautoritär erzogen, dass sie keiner Obhut bedürfen. Am Samstagmorgen rauchen sie schon Gras und finden sich auch sonst in der Moderne zurecht. Zu einem Unfall kommt es dennoch beim Ausflug in den Park. Sie ist Arbeitsvermittlerin und verbringt eine Nacht mit einem geschassten Klienten. Der Allgemeinmediziner Peter Finch behandelt derweil auch in seiner Freizeit noch Patienten, besucht die Bar Mitzwa seines Neffen und macht sich Gedanken über seine jüdische und seine schwule Identität. Auch er hat eine Affäre, aber eigentlich stehen zwischen ihm und Glenda der junge Murray Head, den sie beide lieben. Die Verhältnisse sind im Fluss, aber sie nehmen im Verlauf der Tage neue Konturen an. Kein Wochenende ist vergeudet, wenn große Filmemacherinnen und Filmemacher es in den Blick nehmen.

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