Eine Parallelwelt

Irgendwie hatte ich immer den Eindruck, es sei einfacher, einen Golden Globe als einen Oscar zu gewinnen. Empirisch lässt sich das natürlich nicht zweifelsfrei bestätigen. Nehmen wir es als ein Symptom dafür, wie wenig ich diesen Preis ernst nehmen konnte. Für die amerikanische Presse scheint es derzeit eine ausgemachte Sache zu sein, dass es mit ihm vorbei ist. Mich wundert eher, dass es ihn überhaupt gab.

Die Organisation, die ihn alljährlich vergibt, die „Hollywood Foreign Press Association“, kam mir immer ziemlich dubios vor. Ich hatte ja keine Ahnung. Seit einigen Wochen bricht eine Sturzflut der Kritik über sie ein. Die Vorwürfe wiegen schwer. Fangen wir mit Globes so white an. Zu Ihren 87 Mitgliedern gehört kein einziger Schwarzer gehört und sie hat das - seit geraumer Zeit höchst vitale -  Black Cinema bei ihren Juryentscheidungen nachdrücklich ignoriert. Einer ihrer früheren Präsidenten bezeichnete Black Lives Matter als Hass-Bewegung; ihre Mitglieder sollen auf den im Vorfeld der Preisverleihung veranstalteten Pressekonferenzen häufig rassistische, homophobe und sexistische Fragen stellen; Scarlett Johansson bleibt ihnen seit Jahren fern, weil sie die Grenze zur sexuellen Belästigung erreicht fand. Die Strukturen und das Finanzgebaren der Organisation gelten als undurchsichtig; es ist von systemischer Korruption die Rede. Zahlreiche Studios, Streamingplattformen und Fernsehsender (darunter Warner, HBO, Netflix, und Amazon) sowie der Verband der PR-Firmen ist Johanssons Aufruf gefolgt, Abstand von der „HFPA“ zu halten. Tom Cruise hat seine drei Golden Globes empört zurückgegeben. (Für Oscars war er bislang nur nominiert, was nicht unbedingt obigen Eindruck bestätigt.)

Die Organisation hat pflichtschuldig Besserung gelobt. Sie will sich in den nächsten anderthalb Jahren gründlich reformieren, unter anderem mit Hilfe eines diversity consultants. Muss dieser Prozess wirklich so viel Zeit in Anspruch nehmen? Es handelt sich schließlich um einen Verein, der nicht einmal 90 Mitglieder hat, also gerade ein Zehntel der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Dem Sender NBC geht das jedenfalls nicht schnell genug. Er hat die Übertragung der Zeremonie für das nächste Jahr abgesagt. Damit spart er 60 Millionen Dollar. So viel zahlte NBC bislang für die Ausstrahlungsrechte, bei letzthin verheerenden Einschaltquoten. In diesem Jahr sank sie um 62 % auf 6,8 Millionen ZuschauerInnen. Für 2023 hält man sich die Optionen offen, bis dahin will der Sender prüfen, ob das Reuebekenntnis zu belastbaren Konsequenzen führt. In den Augen vieler Hollywood-Insider ist das Schicksal des zuvor begehrten Filmpreises und der HFPA jedoch besiegelt. Gone Globes?

Die Turbulenzen begannen, als die „Los Angeles Times“ am 21. Februar, eine Woche vor der diesjährigen Preisverleihung, eine dicht recherchierte Reportage über die Missstände veröffentlichte. Ihr Befund ist niederschmetternd. Das gilt nicht nur für das äußere, insbesondere identitätspolitische Erscheinungsbild der Vereinigung, die jahrelang an einem transphoben Moderator ihrer Preisverleihung festhielt. Die Innenansichten dieses Gebildes sind verheerend. Die HFPA ist ein Non-Profit, also gemeinnützig und steuerbefreit. Im Oktober letzten Jahres verfügte sie laut LA Times über ein Barvermögen (!) von 50 Millionen Dollar. Was der Verein mit dem Batzen anfängt, ist alles andere als transparent. Nachweisen lässt sich immerhin, dass die Mitwirkung an Juries und in anderen Komitees unzüchtig hoch entlohnt werden. Die Reisespesen schlugen im letzten Jahr mit 1,3 Millionen zu Buche. Wohin müssen die denn überall reisen, wo sie doch angeblich in Hollywood, dem Zentrum des Geschehens, ansässig sind? Die Idee des Non-Profit scheinen darüber hinaus einige Mitglieder missverstanden zu haben. Es kommt vor, dass sie ihre Einladungen zur Preisverleihung an Interessenten verkaufen. Dabei werden Beträge ab 10.000 Dollar verlangt (der Spitzenwert lag bei 39.000), für die Party danach kommen noch einmal mindestens 2000 Dollar hinzu.

Selbstbedienungsmentalität ist zwar auch bei seriöseren Organisationen wie Bundestagsparteien verbreitet. Aber die Profitgier dieser vorgeblichen Pressevertreter schlägt erstaunliche Volten. Das Gold blendet doch sehr. Die HFPA-Angehörigen sind berüchtigt für das Einfordern besonderer Gefälligkeiten, die jeden professionellen Rahmen sprengen. Kostbare Geschenke, die sie von Studios und PR-Firmen erhalten haben, werden gern im Internet versteigert. Viele der Vorwürfe waren schon lange bekannt, ein offenes Geheimnis. Wie häufig bei solchen Abrechnungen, ist eine Menge Heuchelei im Spiel. Bislang hat die Branche die HFPA mächtig umworben, ihre Globes waren begehrt, das schmeichelte den Mitgliedern, die auf einen privilegierten Zugang zu Talenten spekulierten. Dass daraus dann journalistische Coups wurden, ist fraglich. Denn in welchem Umfang und ob überhaupt die Mitglieder in diesem Beruf tätig sind, lässt sich nicht wirklich klären.

Nicht von ungefähr sucht man vergeblich ein Verzeichnis von ihnen auf der Website der HFPA. Ihre Zusammensetzung war mir schon immer ein Rätsel. Einige wenige Namen waren mir bisher aus der deutschsprachigen Presse bekannt. Ein, zwei belieferten früher Boulevard und Yellow Press; Scott Orlin berichtet tatsächlich für diverse Zeitschriften, darunter „Cinema“. Auf die Erkenntnisse der LA Times durfte man gespannt sein. Sie hat ermittelt, dass ein Gutteil der Mitglieder längst im Ruhestand ist oder für Publikationen schreibt, die es vielleicht gibt, vielleicht aber auch nicht. Zwar betont die Organisation, dass Mitglieder für respektierte Blätter wie „El Pais“ oder „La Repubblica“ arbeiten. Der Antrag der Korrespondentin von „Le Monde“ wurde mehrmals ohne Grund abgelehnt. Die Kriterien, nach denen man Zutritt zu diesem Club erhält, sind obskur. In einem Fall genügte als Qualifikation, dass eine Bewerberin einst zu einer Schönheitskönigin gekürt wurde. Ein russischer Bodybuilder rühmt sich, Mitglied zu sein. Und eine Salonlöwin, die sich dank der HFPA mit Berühmtheiten aus der Filmwelt ablichten lässt, darf in diesem bunten Haufen natürlich auch nicht fehlen.

Wie dringlich sich die Frage nach der Professionalität dieses dubiosen Vereins stellt, wurde nach der berüchtigten Pressekonferenz deutlich, bei der ein britisches Mitglied die Schauspieler Daniel Kaluuya und Leslie Odom jr verwechselte. Sie bestreitet dies seither vehement, aber wenig überzeugend. Ihre Unwissenheitsarie sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Sie hebt an mit einem wohlwollenden „I've been following your career since the beginning“, aus dem weniger aufmerksame Bewunderung spricht als vielmehr die Warnung „Ich kenne deine Arbeit besser als Du, und letztlich hast du deinen Erfolg mir zu verdanken.“. Sie mündete in der Frage, was seine Nominierung (für den Oscar, nicht den Globe) denn über den Zustand der Welt, in der wir heute leben, aussage. So viel Anmaßung kann einem schon mal unterlaufen, wenn man sich der dummen Illusion hingibt, auf Augenhöhe mit Künstlern zu sprechen.

Als freischaffender Journalist besitzt man durchaus eine gewisse Toleranz gegenüber Hochstapelei. Aber ein solches Gebaren beschädigt das Ansehen des Berufsstandes. Aus Gruppeninterviews mit internationaler Besetzung ist mir diese Spezies leidlich vertraut. Sie tritt mit einem Selbstbewusstsein auf, das von keiner Sachkenntnis getrübt ist und sich vorzugsweise in einem sittenwidrig dürftigen Englisch artikuliert. Da Fremdschämen in diesen Situationen keine echte Zuflucht bietet, erinnere ich mich dann gern an das Diktum von Juliette Grecó, sie würde nicht das gleiche Metier ausüben wie Sylvie Vartan. Das ist in seiner Arroganz zwar nicht mehr haltbar (nicht nur, weil Vartan eine bessere Sängerin wurde), eignet sich aber nach wie vor für eine notwendige Grenzziehung. In der Tat ist die HFPA kein Kritikerverband, von denen es in den USA mehrere gibt und die ihre eigenen Preise in der Regel mit Augenmaß vergeben. Das sind zwei unterschiedliche Welten, was der HFPA sehr wohl bewusst ist. Sie misstraut seriösem Journalismus, begreift ihn als bedrohliche Konkurrenz. „Do not talk to regular journalists“, warnten Mitglieder laut LA Times eine spanische Aspirantin, die dem exklusiven Club beitreten wollte, „they are not our kind. You need to stick to the group.“ Die Bewerberin gab ihr Vorhaben auf. Vermutlich begriff sie, dass es eine Auszeichnung ist, auf diesem Parallelglobus nicht willkommen zu sein.

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