Zwei Flaggen, ein Land?

In dem Spätwestern „Die Unbesiegten“ wird, unverhofft und auf fremdem Territorium, ein denkwürdiger Unabhängigkeitstag gefeiert. Die Eingeladenen können es kaum glauben, schließlich ist der Bürgerkrieg gerade erst vorüber. Aber nun stoßen die ehemaligen Gegner zum 4. Juli miteinander an, verspeisen ein zünftiges Barbecue; auch eine junge Liebe bahnt sich an: natürlich über die einst verfeindeten Linien hinweg.

Ich weiß nicht mehr, von welcher Seite die Einladung kam. Meine Vermutung geht in Richtung der berühmten Südstaaten-Gastfreundschaft. Gleichviel, ebenso wenig kann ich sagen, wen der Filmtitel eigentlich meint: die Nordstaaten-Kavalleristen, die John Wayne einst befehligte und mit denen er nun als freier Unternehmer Pferde fängt, um sie der Armee zu verkaufen (bis Kaiser Maximilian das bessere Angebot mach); oder Rock Hudsons Treck der Unentwegten, der die Kapitulation nicht hinnehmen will und die graue Uniform wieder anzieht hat, sobald der Rio Grande überquert und Mexiko erreicht ist. Jedenfalls kommt man sich rasch näher und stellt fest, dass man in der selben Schlacht gekämpft hat („I'm sorry my cavalry was in that engagement“ sagt Wayne zu Hudson, der einen lächerlichen Federbusch am Hut trägt); so etwas verbindet. Das ist dringend nötig, denn bald dräut Gefahr, zuerst von mexikanischen Banditen, dann von Juarez-Anhängern und schließlich von Maximilians französischer Kavallerie. Eine undurchsichtige Gemengelage alles in allem.

Die Unbesiegten aus Andrew Victor McLaglens Western sind ein bunter Haufen, zu Waynes Pferdefängern gehören auch ein paar Indianer. Er verkörpert eine auch 1969 noch ziemlich haarsträubende Utopie der Versöhnung. McLaglen war ein Schüler John Fords, in dessen Filmen derlei Versöhnungsgesten noch etwas belastbarer waren. In „Der Gefangene der Haifischinsel“ weist Abraham Lincoln kurz vor seiner Ermordung das Orchester an, den Dixie zu spielen; auch General Sheridan lässt bei der letzten Parade in „Rio Grande“ die Hymne der Konföderation spielen, die es zum Zeitpunkt der Handlung längst nicht mehr gab. Aber in „Rio Grande“ ist deren Erbe noch sehr lebendig. Waynes entfremdete Ehefrau Maureen O' Hara hat ihm nicht verziehen, dass er vor 15 Jahren ihre Plantage im Shenandoah-Valley niederbrennen musste. (Sein Adjutant Victor McLaglen, Andrews Vater, würde sich gern die schwarze Hand abschlagen, mit der er damals das Feuer legte.) Ihr Abscheu für die Yankees ist nicht erloschen, aber überwindbar. Die temperamentvolle Frau ist entwaffnet, als ihr Gatte ihr einen alten Südstaaten-Geldschein gibt, den er als Unterpfand ihrer Liebe aufbewahrt hatte.

In Fords Western muss Wayne oft gegen seine innere Überzeugung handeln, wenn er einen Blaurock trägt. In „Der letzte Befehl“ muss der vormalige Eisenbahningenieur Bahnhöfe und Gleisanlagen der Südstaaten zerstören und ist erschüttert über die Barbarei, mit der seine Soldaten vorgehen. In den Kavalleriewestern, die nach dem Sezessionskrieg spielen, legt Wayne als Fortkommandant stets Wert auf die Integration, ein wohlwollender Patriarch. Der Süden darf weiter existieren in Fords Filmen, der Würde in der Niederlage gehört seine heimliche Sympathie, angefangen bei dem wehmütigen Gentleman John Carradine in „Ringo“. Auch Ethan Edwards, der in „Der schwarze Falke“ keine zwei Eide schwören wollte, besitzt eingangs diese Größe; auch wenn Ford ihn danach als Rassisten scharf ausrechnet. Zugleich war der vermeintliche Konservative Ford zu historischer Ein-, aber eben auch Nachsicht fähig, man denke nur an Woody Strode in „Der Schwarze Sergeant“, der noch immer den Brief seines ehemaligen Besitzers bei sich trägt, mit dem er ihn in die Freiheit entließ.

Strode ist freilich einer der wenigen Schwarzen, die in Western über den Bürgerkrieg und sein Nachleben überhaupt in Erscheinung treten. (Wo blieb Sidney Poitier, wenn man ihn brauchte? Nicht unbedingt im Western, in der Gegenwart hatte er genug zu tun.) Jim Brown in „Rio Conchos“ ist die zweite glorreiche Ausnahme, er darf dem blutig xenophoben Südstaatler Richard Boone sogar die Demütigung zufügen, ihn in Handschellen zu legen: eine ruppige Phantasie für die Bürgerrechtsepoche. Allenfalls treten noch nobel ergebene Haussklaven auf den Plan. Der geckenhafte Fanatiker Patrick O'Neal (wiederum mit keckem Federbusch) verzweifelt in „Alvarez Kelly“ ob solch paradoxer Loyalität: „Ich verstehe euch nicht, wir kämpfen doch nur für euch!“. Althea Gibson jedoch, die treue Zofe von Constance Towers in „Der letzte Befehl“, hat ein unbeugsames Temperament und darin ihre eigene Würde.

Fürwahr, auf der Leinwand tragen die Weißen den Bürgerkrieg unter sich aus oder verlängern ihn. Nur durch diese Sichtverengung können das heroische Erzählungen werden. Die Erbsünde Amerikas ist im klassischen Hollywoodwestern nicht die Sklaverei. Vielmehr sind es oft Massaker, die unter konföderierten Truppen angerichtet werden, etwa im Prolog von „Der Richter von Colorado“ (läuft derzeit in Wiederholungen nachmittags auf arte in einer somnambulen Synchronfassung), als Glenn Ford wenige Tage vor Kriegsende einen wehrlosen Haufen von Kanonen zusammenschießen lässt, obwohl die Südstaatler die weiße Fahne hissten. Der Befehlshaber überlebte und west weiter als Inkarnation des schlechten Gewissens, wird aber umgehend von Ford erschossen, nachdem er ihm vorwarf, hundert „anständige Männer“ ermordet zu haben. Danach kann Ford Karriere als Richter machen, der vor einem riesigen Sternenbanner Recht spricht. Die wiederhergestellte Union als Unrechtsstaat? Immerhin werden die Kriegsveteranen um die Früchte ihrer Arbeit als Goldsucher beraubt und von Großgrundbesitzern enteignet. Das Drehbuch stammt von dem progressiven Ben Maddow, der später auf der Schwarzen Liste landete. Ganz so einfach ist es nicht, denn eigentlich verhandelt der Film Fords Traumatisierung durch den Krieg und meint damit auch den Zweiten Weltkrieg, der gerade drei Jahre zurücklag.

Ein eminent demokratisches Bild von der der Kohabitation von Rebellen und Nordstaatlern zeichnet Robert Wise (nach einem Drehbuch von Casey Robinson) in „Vorposten in Wildwest“. Der Originaltitel ist eleganter und bezeichnender „Two Flags West“. Konföderierte Kriegsgefangene, befehligt von dem noblen Joseph Cotten, sollen sich rehabilitieren, indem sie gemeinsam mit Blauröcken gegen feindliche Indianer kämpfen. Das Fort ist weniger ein Militärstützpunkt, eher eine zivile Siedlung. Die Befehlshaber der Unionstruppen sind der kriegsversehrte Offizier Jeff Chandler (dessen Fanatismus ein Gemetzel auslöst) und der kluge, auch strategisch geschicktere Cornel Wilde, der Cotten und seine Leute mit Respekt und Empathie behandelt. Natürlich geht vorerst ein Riss durch die Garnison – die Nordstaatler stimmen begeistert die „Battle hymn of the Republic“ an, als die Nachricht von Shermans erfolgreichem Feldzug kommt, und die Südstaatler kontern mit dem Dixie: ein musikalischer Widerstreit, der zum Grundbestand dieses Filmkorpus' gehört.

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