Streaming-Tipp: »Star Trek: Picard«

 »Star Trek: Picard« (Staffel 1, 2020). © Amazon

»Star Trek: Picard« (Staffel 1, 2020). © Amazon

Make it so!

Vor Jahrzehnten hat eine Supernova den Heimatplaneten der Romulaner vernichtet. Seitdem ist das Volk auf der Flucht. Soll die Föderation den Erbfeinden unter die Arme greifen? Jean-Luc Picard, Admiral a. D., wird leidenschaftlich: Es geht um die Rettung von Leben! Schon nach wenigen Szenen ist klar: »Star Trek«, das Mutterschiff der gesellschaftskritischen Science-Fiction, hat nach verschiedenen Reboot-Flauten wieder Fahrt in Richtung Politparabel aufgenommen.

Die Parallelen zur gegenwärtigen politischen Lage sind in der seit Januar auf Amazon ausgestrahlten Serie »Star Trek: ­Picard«, mit der Patrick Stewart in seiner populärsten Rolle zurückkehrt, kein Zufall. Die Aktualisierung der Geschichte steht in bester Serientradition. Bereits in den 1960er Jahren nutzte Serien-Erfinder Gene Roddenberry das Science-Fiction-Format als Plattform, um den Kalten Krieg, die Bürgerrechtsbewegung und die allgemeine Aufbruchsstimmung zu kommentieren. 

Mit der »Next Generation« (1987–1994) erreichte die kritische Reflexion des eigenen Serienkosmos einen ihrer Höhepunkte. Patrick Stewart legte mit seiner sonoren Stimme den neuen Captain Jean-Luc Picard als bewussten Gegenentwurf zu seinem Vorgänger James T. Kirk an: Anstelle von Cowboy­diplomatie setzte er auf Verständigung. Die listigen Manöver Kirks wichen philosophischen Diskussionen mit offenem Ausgang bei einer Tasse Earl Grey. Die an den Western angelehnte Frontier-Rhetorik der 1960er Jahre wurde durch ein komplexes diskursives Netzwerk unterschiedlichster kultureller Kontexte und politischer Interessen ersetzt. Ehemalige Gegenspieler wie die Klingonen wurden zu Verbündeten, die im alltäglichen Umgang ein entsprechendes Fingerspitzengefühl erforderten. Genau diese brisanten Vermittlungsaufgaben waren das Spezialgebiet des Bildungsbürgers und Hobby-Anthropologen Picard. Stewart vollbrachte das Kunststück, ihn aufgeschlossen und interessiert, aber nie allzu didaktisch oder abgehoben erscheinen zu lassen. 

Die späteren Serien, vor allem »Deep Space Nine« (1993–1999), die nicht nur unter Fans als komplexeste und spannendste Variante des »Star Trek«-Kosmos gilt, verstärkten die Brüche und Ambivalenzen, ohne den für das Franchise kennzeichnenden gesellschaftlichen Optimismus ganz aufzugeben. Die neue Serie »Picard«, mit der Patrick Stewart achtzehn Jahre nach dem unausgewogenen Kinofilm »Star Trek – Nemesis« (2002) zu seiner Paraderolle zurückkehrt, vollbringt das Kunststück, genau diese selbstkritischen Einflüsse aufzugreifen und in die Gegenwart zu holen. Die Skepsis der Serien aus den Neunziger- und Zweitausenderjahren wird in einen ebenso berührenden wie spannenden Dialog mit dem Idealismus der »Next Generation« befördert. 

»Picard« vermeidet erfolgreich die unverbindliche Nostalgie, die späte Sequels so oft kennzeichnet. Stattdessen tauchen die Anspielungen auf die Vergangenheit, wie die Erinnerungen an den zerstörten Androiden Data, als Phantome einer einst versprochenen, nie eingelösten Zukunft auf. 

Zu Beginn der Serie steht es schlecht um die Föderation. Intergalaktische Solidarität und Verständigung gehören der Vergangenheit an. Empört über diese Entwicklung quittierte Picard den Dienst und zog sich auf das Weingut seiner Familie in Südfrankreich zurück. Die ersten Episoden verbringen ungewöhnlich viel Zeit auf der Erde. Erstmals bekommt man eine konkretere Vorstellung vom Leben im 24. Jahrhundert. Erst gegen Ende der dritten Folge geht es mit dem markanten Befehl »Energie!« zurück in die unendlichen Weiten. Bis dahin lässt sich die Inszenierung ausgiebig Zeit für die Einführung von Charakteren jenseits der vertrauten Kommandostruktur. 

Picard versammelt eine schillernde kosmopolitische Außenseiterbande um sich. Eine mysteriöse Verschwörung um Nachkommen des Androiden Data lässt ihn noch einmal aus dem Ruhestand zurückkehren. Wenn in der ersten Folge ausgerechnet der britischste aller Captains tatsächlich einmal fließendes Französisch spricht statt Shakespeare-Monologe zu rezitieren, kommt dies einem Kulturschock im positiven Sinne gleich. 

Bezüge zur aktuellen Lage werden pointiert,nicht plakativ, in die Handlung eines unaufgeregten Politthrillers eingeflochten. 

Nachdem sich die »Star Trek«-Serien und -Filme in den letzten Jahren beständig in die Früh- und Vorgeschichte des Franchise geflüchtet hatten, kommt Picard endlich wieder in der Gegenwart an. Dadurch verleiht die Serie »Star Trek« nicht nur Frische und Relevanz; das überlegte Wechselspiel von Variation und Wiedererkennen ermöglicht es der »Next Generation« auch, zusammen mit Patrick Stewart in Würde zu altern. 

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