Kompliziert tut gut

Anthony Hopkins in »Westworld« (Staffel 2, 2018) © HBO

Anthony Hopkins in »Westworld« (Staffel 2, 2018) © HBO

Unsere "steile These" des Monats April

Das Einfache hat einen guten Ruf. Nicht nur im Design, wo glatte Flächen und simple Formen den Zeitgeist der »Millennials« bestimmen. »Ohne Schnörkel« ist auch in der Filmkritik ein großes Kompliment. Wogegen Unübersichtlichkeit und Ausschmückungen immer zu Punktabzug führen. Dass ein Film zu lang sei, ist die meist gehörte Klage unter selbst ernannten Filmexperten. Analog dazu signalisiert der Serienfan seine Kennerschaft durch Stöhnen über den »Netflix Bloat«, der für zu viele Folgen pro Staffel sorgt. Zeit ist ein rares Gut, man will sie nicht verplempern, auch, beziehungsweise erst recht nicht zu Hause auf dem eigenen Sofa. 

Das Komplizierte dagegen hat es schwer. Nicht nur, dass es von vornherein Stirnrunzeln hervorruft. Für Kompliziertheit braucht es eine besondere Rechtfertigung, sonst gilt sie schnell als »unnötig«. Wenn man beim Seriengucken den Verstand anstrengen soll, sich gar etwas merken muss, das eventuell Monate zurückliegt, dann muss am Ende schon etwas Besonderes dabei rausspringen, oder? Sonst hat man doch umsonst investiert, auch wenn es nur so schwer konvertierbare Güter sind wie die eigene Freizeit und der eigene Gehirnschmalz.

Aber diese Haltung, die die Gebote von Sparsamkeit und Nichtverschwendung auf den Sehgenuss überträgt, ist im Grunde eine lästige Spaßbremse. Die Nerds unter den Fans wissen es längst: Es braucht einen gewissen Grad an Verrätselung und Kompliziertheit, um jene Fragen aufkommen zu lassen, die es lohnen, dass man sie im Internet stellt, einen Reddit-Thread konsultiert, einem Podcast folgt oder gar selbst einen aufnimmt. Die Antworten, die in solchen Threads und Podcasts generiert werden, sind an sich unwichtig, worauf es ankommt, ist der Austausch, die Versenkung, die Intensität, die durch diese Fortbeschäftigung, durch das Vor- und Nachbereiten einzelner Folgen entsteht. Besonders in Zeiten wie diesen, wo Ablenkung plötzlich zur essenziellen Gesundheitspflege wird, erscheint eine Serie wie »Westworld« in all ihrer Verworrenheit und Unübersichtlichkeit deshalb regelrecht als Segen. Wie wunderbar, dass Staffel 3 im März begonnen hat!

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