Nachruf: Jean-Marc Vallée

Emotional und komisch
Jean-Marc Vallée

Jean-Marc Vallée

Regisseur, ­Produzent, 9. 3. 1963 – 25. 12. 2021

Als Frankokanadier war Jean-Marc Vallée ein Außenseiter im amerikanischen Filmgeschäft, entsprechend gehörte sein Herz den Underdogs, die um ihren Platz im Leben und um ihr Glück kämpfen müssen. Das galt schon für den Jungen, der im Montreal der skurril beschwingten Familienkomödie C.R.A.Z.Y. sein Faible für die Kleider und den Schmuck seiner Mutter verteidigt, danach für die Kids mit Downsyndrom im »Café de flore«. Und es galt für Ron Woodruf, der in »Dallas Buyers Club« gegen alle bürokratischen Widerstände um lebensverlängernde Medizin gegen AIDS ringt, sowie für die zähen, kämpferischen Frauen im Pacific-Trail-Abenteuer »Wild« und zuletzt in den raffiniert konstruierten TV-Krimiserien »Big Little Lies« und »Sharp Objects«. 

Die erste Liebe des 1963 geborenen Jean-Marc Vallée gehörte der Musik, zum Film kam er relativ spät, durch einen in­spirierten Lehrer am College, an dem er Business Management studierte und dessen Kurs »Kino und Gesellschaft« er mit 20 eher zufällig belegte. Danach entdeckte er die Filme von Capra, Stevens, Cassavetes, Scorsese, aber auch viele europäische Regisseure. Ab 1985 drehte er dann eine Reihe von Musikvideos und erzählte 2005 in C.R.A.Z.Y. vom Clinch des Vaters mit seinem ums Coming-out ringenden Sohn auch über die kontrastierenden Musikvorlieben, Charles Aznavour und Patsy Cline gegen David Bowies »Space Oddity«. 

Der sperrigste unter seinen widerspenstigen Helden ist Ron Woodruf im Hollywood-Triumph »Dallas Buyers Club«. Hier lässt sich vieles ablesen, was das Kino von Jean-Marc Vallée definiert: ganz nah, fast dokumentarisch dran an der rauen Wirklichkeit, die er weitgehend in natürlichem Licht und mit Handkamera drehte, aber auch berührend emotional und immer wieder komisch. Er liebte den besonderen Zauber von Stars wie Matthew ­McConaughey (dem er die Flucht aus der Sonnyboyfalle ermöglichte), Nicole Kidman oder Reese Witherspoon, unterwanderte ihn aber nach dem Vorbild von Jack Nicholson in »Einer Flog über das Kuckucksnest«, indem er sie immer wieder in die dunkelsten Bereiche der condition humaine lockte: »Ich versuche, ihnen das Gefühl zu geben, dass ich da bin, um ihre Magie einzufangen«, sagte der Regisseur, der viele seiner Schauspieler zu preiswürdigen Höchstleistungen antrieb.  

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