Viennale 2016: Kein Medium stirbt

© ICAIC/INA

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Vom 20. Oktober - 2. November zeigte die 16. Viennale , wie lebendig Filmgeschichte sein kann: von der Würdigung gelungener Remakes über die Würdigung des Zelluloids bis zu einer Präsentation kubanischer Filmwochenschauen

»Ein zweites Leben« versprach die diesjährige Retrospektive der Viennale. Allerdings richtete sich das Versprechen nicht an den Zuschauer, sondern an das Innerste der Filme selbst: Um die Zirkulation und Variation von Stoffen in der Geschichte des Films sollte es – in traditioneller Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum – vier Wochen lang gehen. So konnte, wer genug Zeit für ausgiebige Kinositzungen mitbrachte, an schönsten 35-mm-Kopien die Wege durch Zeiten und Kulturen wandernder Motivkonstellationen studieren: drei »Wuthering Heights«-Adaptionen etwa, von William Wylers 1939-Klassiker über Luis Buñuels »Abismos de pasión« (1954) bis zu Jacques Rivettes sprödem »Hurlevent« von 1985. Oder: wie ein später Samurai-Film (Akira Kurosawas »Yojimbo«, 1961) erst zur Urform des Italo-Westerns (»Per un pugno di dollari«, Sergio Leone, 1964) und dann 1990 bei den Coen-Brüdern als »Miller's Crossing« zum smarten US-Indie wird.

Trotz ihrer wundersamen Fülle krankt die Schau aber auch an einer ganzen Reihe kuratorischer Beschränktheiten. So fehlte es gänzlich an dem notwendigen diskursiven Kontext wie Einführungen oder Filmgesprächen. Und die unverständliche (und unerklärte) Beschränkung auf lange Spielfilme klammert das weite Feld freierer »experimenteller« Formen ganz aus. Noch rätselhafter die völlige Abwesenheit der Arbeit von Regisseurinnen (für das konkrete Beispiel etwa die originelle »Wuthering Heights«-Interpretation von Andrea Arnold, 2012) und damit des Gender-Aspekts beim Blick auf historische Perspektivenwechsel.

Auf der Viennale selbst funkelte neben einer Hommage an den im Juni verstorbenen poetischen 16-mm-Kurzfilmer Peter Hutton besonders die neue, über mehrere Jahre angelegte Sektion »Analog Pleasures«, die in ihrem ersten Teil von den verspielten Super-8-Unbotmäßigkeiten der »Tödlichen Doris« bis zur prächtigen 70-mm-Projektion von Jacques Tatis »Playtime« im ehrwürdigen Gartenbaukino reichte. Mit solcher Würdigung des Zelluloids markiert das Festival für das bewegte Bild einen Trend, der – ähnlich der Vinyl-Renaissance im Audio – aus der Ödnis immer neuer HD-Schärfe-Rekorde verstärkte Aufmerksamkeit für die sinnlichen Differenzen des Materials schöpft. In Österreich, wo im Sommer mit der Synchro-Film das letzte Kopierwerk für analoge Filme insolvent ging, setzt sich gerade eine große Gruppe von Filmschaffenden mit einer Kampagne ganz praktisch für dessen Umwandlung in eine nicht profitorientierte staatliche Einrichtung ein.

Dass und wie Digitalisierung sinnvoll sein kann, zeigte ein groß angelegtes Projekt zur Restauration historischer Filmwochenschauen der ICAIC aus Kuba, deren insgesamt 1493 Ausgaben nach jahrzehntelanger ungeschützter Lagerung mit Unesco-Unterstützung vom französischen Institut national de l'audiovisuel (Ina) restauriert werden. In Wien wurde als Welturaufführung unter dem Titel »Das rebellische Bild« erstmals eine von Maria Giovanna Vagenas kuratierte Auswahl dieser Noticieros aus den 60er Jahren präsentiert. Dabei stehen Berichte aus der Zuckerrohrschlacht neben Miss-Wahlen, Reden von Fidel und Raúl neben Weihnachtsimpressionen, die Invasion in der Schweinebucht neben den Ereignissen in Chile.

Besonders interessant, wie sich unter dem Direktorat des leidenschaftlichen Filmemachers Santiago Alvarez die Filmsprache im Lauf der Dekade vom konventionell durchkommentierten Wochenschaubericht zu einer fast experimentellen, an Eisensteins Kino der Attraktionen orientierten Montage entwickelte: eine Zeit lang Vorbild für agitatorisches Filmemachen weltweit. Auch das Ende der Noticieros 1990 steht im globalen Rahmen. Denn mit dem Untergang der DDR kam auch das von dort gestellte ORWO-Filmmaterial nicht mehr in Kuba an. Berichtet wurde das in Wien vom Leiter des kubanischen Filmarchivs selbst, der am 25. Oktober mit dem ersten Flug der gerade wiedereröffneten Direktverbindung aus Havanna angereist war. Im Dezember wird Luciano Castillo die Filme beim Filmfestival in Havanna dem heimischen Publikum zeigen. Auf der Webseite der Ina sind sie dauerhaft in einer Datenbank versammelt und erforschbar.

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