Cineastische Spielereien

Kino im Museum of the Moving Image

© Peter Aaron

Das 1988 eröffnete Museum of the Moving Image ist das einzige Museum in den USA, das sich der Kunst, Geschichte und Technologie des Films widmet. Es entstand auf dem Gelände der ehemaligen New Yorker Paramount Studios

Das Museum of the Moving Image in New York liegt weit außerhalb der Museumsmeile in Manhattan. Wer dort hinwill, muss die U-Bahn nach Queens/Long Island nehmen und landet in einer Multikultigegend voll kleiner Mietshäuser, billiger Supermärkte und Imbisse. Nichts deutet in der Umgegend der Subway-Station darauf hin, dass sich in der Nähe einmal die in den zwanziger Jahren ­gegründeten New Yorker Filmstudios der ­Paramount befanden. Heute erhebt sich das Museum of the Moving Image fast wie ein Fremdkörper in seinem Umfeld, mit einer makellos weißen, modernen Fassade, in einem Neubau des wagemutigen New Yorker Architekten Thomas Leeser.  
 
Beim Betreten warten noch mehr Überraschungen: Das Gebäude, dessen Fassade sich in vollendet symmetrische Elemente gliedert, öffnet sich hin zu Innenräumen voll Schrägen, stürzender Linien und unerwarteter Raumaufteilungen – wie eine moderne Variation auf das Set des expressionistischen Caligari-Films: Die Bewegung, die der Name des ­Museum of the Moving Image beschwört, wurde hier ganz wörtlich genommen und auf die – schon für sich sehenswerte – Architektur übertragen. Ein strahlend weißer Innenhof mit weißem Kunstrasen – und weißen Stühlen, natürlich – lädt zum Verweilen und Pausieren ein und wirkt dabei wie die Kulisse aus einem Science-Fiction-Film.
 
1988 öffnete das Haus seine Tore und nimmt für sich in Anspruch, die größte Sammlung von kinobezogenen Artefakten und Objekten in den USA zu beherbergen. 2011 erlebte es eine Renovierung und Erweiterung, war Schauplatz von Ehrungen  großer Stars von Robert De Niro bis Clint Eastwood und Retrospektiven zu David Cronenberg, Anna May Wong, dem Filmpionier Oscar Micheaux , Cecil B. DeMille und Ken Jacobs, neben Dauerausstellungen zur Geschichte des Films und thematischen Einzelschauen. Martin Scorsese sagte im Februar 1996, das Museum of  the Moving Image sei vielleicht das ultimative amerikanische Museum, denn »das Kino und der Jazz seien die großen indigenen amerikanischen Kunstformen«. Sich um Filme zu kümmern, bedeute, sich der Geschichte und der Menschen anzunehmen.
 
Das Museum ist eines von dreizehn Gebäuden der heute sogenannten Kaufman Astoria Studios. Schräg gegenüber befindet sich die von Jazzsänger und Entertainer Tony Bennett gegründete, ebenfalls nagelneue Frank Sinatra School of the Arts, die auch auf dem Campus der Kaufman Astoria Studios entstand: Beide Institutionen trugen dazu bei, einem in den siebziger Jahren heruntergewirtschafteten Stadtviertel mit langjähriger Verbindung zum amerikanischen Showbusiness neue Impulse zu geben und die Erinnerung an seine historischen Wurzeln wachzurufen. Die reichten tief.
 
Die Film-Gesellschaft Famous Players-Lasky, nach 1927 unter dem Namen Paramount geläufig, baute die  Studios im Jahr 1920 als Filmproduktionsstätte an der amerikanischen Ostküste. Der legendäre Paramount-Chef Adolph Zukor eröffnete die Studios, die zum Mekka der Stummfilmzeit werden sollten. Später erlebten die Studios die Tonfilmdebüts von Claudette Colbert, Edward G. Robinson und Talullah Bankhead. Hunderte von Stumm- und frühen Tonfilmen entstanden dort. Der Geist der zwanziger und dreißiger Jahre, aus dem Filmmuseum gänzlich verschwunden, lebt fort in der Kellerbar »The Astor Room«, die sich neben dem Gebäude befindet und die ehemalige Kantine der Studios beherbergte: Dort aßen und tranken Rudolph Valentino, Gloria Swanson, die Marx Brothers, Lillian Gish und W.C. Fields. Heute erinnern kompetent ­gemixte Cocktails wie »Mary Pickford« und »Clara Bow« an die illustren Gäste. 
 
Von 1942 an gestaltete sich die Geschichte der Studios wechselhaft. Sie wurden von der US-Armee übernommen, die dort während des Zweiten Weltkriegs Trainingsfilme für Soldaten produzierte und sie in »Signal Corps Photographic Center« umbenannte. 1970 verließ die Armee das Gebäude, das nicht nur verfiel, sondern auch wiederholt schwerem Vandalismus in einer immer krimineller werdenden Umgebung zum Opfer fiel. Gegen Ende der siebziger Jahre wurden die Gebäude wiederbelebt und dank der Anstrengung eines Gremiums aus Politikern und Filmschaffenden noch einmal als Filmstudio genutzt. Sidney Lumet verfilmte in den notdürftig renovierten Räumen 1978 sein 30 Millionen Dollar teures Musical The Wiz. Der Vorgang, gezielt von Lumet zur Unterstützung der his­torischen Stätte eingesetzt, gab der geplanten Sicherung der Studios noch einmal neuen Schwung. Im gleichen Jahr wurden sie ins National Register of Historic Places aufgenommen, der offiziellen Kulturdenkmalliste der Regierung der Vereinigten Staaten. Obwohl die Listung hauptsächlich symbolische Bedeutung hat, kann eine finanzielle Unterstützung des Eigentümers mit ihr verbunden sein. 
 
Doch Ende der siebziger Jahre zeigte sich auch, dass das Vorhaben einer kompletten Wiederinstandsetzung des Geländes für Film- und Fernsehproduktionen die finanziellen Möglichkeiten der Investoren überstieg. 1980 übernahm  George Kaufman als Bauträger die Renovierung, Erweiterung und Revitalisierung des stolz so genannten »nationalen Wahrzeichens«. Heute sind die Kaufman Astoria Studios wieder  funktionstüchtig und sahen die Entstehung von Filmen wie Eat, Pray Love, Men in Black 3, The Age of Innocence und Carlito’s Way oder Serien wie der »Sesamstraße«. 
 
Das Filmmuseum als eines der dreizehn Studiogebäude wurde zur Verwendung für kulturelle Zwecke freigestellt und konnte 1988 unter der Leitung von Rochelle Slovin eröffnet werden.  Heute  ist es ein vitaler, vielbesuchter Ort und bildet gemeinsam mit den Astoria Kaufman Studios einen »kulturellen Knotenpunkt«, wie es auf seiner Website behauptet  – und wie man es auch tatsächlich erleben kann. Vom  26. Oktober 2013 bis zum 9. Februar 2014 kommenden Jahres erinnert übrigens die  Einzelausstellung »Lights, Camera, Astoria!« an die Geschichte der Studios. 
 
Die umfangreiche Dauerausstellung »Behind the Screen«  illustriert die Geschichte des Films und Fernsehens mit 1400 Objekten aller Art, vom Filmkostüm übers Glamourbild bis zu Requisiten und Puppen (Yoda aus Star Wars, Regan aus Der Exorzist), Prothesen (eine künstliche Nase für Orson Welles, Winona Ryders versehrtes Bein aus Black Swan) und Masken, von einer großen Anzahl an Kameras und Projektoren bis hin zu Mr.-Spock- und Captain-Kirk-Puppen: Nicht nur die kreativen Seiten des Films, sondern auch die technologischen und ökonomischen werden hier beleuchtet. Enthusiastisch wahrgenommene Angebote zur Interaktion laden zu cineastischen Spielereien ein. Die Besucher können ihre eigenen Stimmen über einen Filmdialog legen und sich damit als Synchronsprecher versuchen. Sie haben die Möglichkeit, den Charakter einer Szene (zum Beispiel aus den »Simpsons«) komplett zu verändern, indem sie selbst gewählte Soundeffekte einfügen, oder sie können berühmten Filmszenen (etwa aus Vertigo oder High Noon) mit einer Auswahl alternativer Filmmusik eine ganz andere Bedeutung unterlegen.  
 
Das Museum schaut nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart und Zukunft. Bis Ende Oktober lief eine kleine Ausstellung zur TV-Serie »Breaking Bad«. Hochaktuell ist auch die Schau unter dem ­Titel »Cut Up«: Sie zeigt, wie das Internet ­jeden von uns zum Hersteller von Neuversionen von bekanntem Filmmaterial machen kann: Beispiele politischer Parodie, neu edierte Filmtrailer (Recut Trailers), die Unterlegung von Dialogszenen mit Musikstücken (Songification), Mash-ups von Musikvideos sowie Recompositing (etwa von Taxi Driver mit Walt-Disney-Elementen) und andere  Formen des Re-Editing verfügbarer Film- oder Dokumentarszenen, die etwas Neuem als Rohmaterial dienen,  wurden hier vorgeführt. Und mit der Fotoausstellung »The Booth. The Last Days of Filmprojection«, die seit Oktober läuft, nimmt das Museum Abschied von der Kunst der Filmvorführung, wie wir sie bisher kannten.

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