08/2022

In diesem Heft

Tipp

Von Grau zu Grau: »The Gray Man« vom Regiebrüderpaar Anthony und Joe Russo soll die bislang teuerste Netflixproduktion sein.
In »The Humans«, dem virtuosen Regiedebüt von Stephen Karam, entfaltet sich bei einem Familientreffen der ganz normale Horror der menschlichen Existenz.
Der Tollywoodfilm »RRR« macht als internationaler Netflix-Hit Schlagzeilen. Dabei steht das Drei-Stunden-Spektakel über Revolution und Männerfreundschaft für actiongeladenes, visuell opulentes Kino.
In »Notre-Dame in Flammen« zeichnet Jean-Jacques Annaud den Brand der Kathedrale im Jahr 2019 nach, mit authentischen und gespielten Szenen.
Ein Tryptichon: drei Geschichten zum Thema Holocaust, Jüdischsein, Assimilation und Antisemitismus von 1945 bis heute. Kornel Mundruczó hat das Stück von Kata Weber verfilmt, mit großen Ambitionen, die etwas mehr Konkretion verdient hätten.
Zu einer anderen Zeit wäre »Fire Island« ein garantierter Kino- und Kulthit geworden. Die flotte Romcom über fünf schwule Freunde erfüllt alles, was das Herz begehrt: Witz, Tempo, erotische Verwicklungen und Selbstironie.
»Search Party« macht sich über die Generation der Millennials lustig, mit viel schwarzem Humor und einiger Schadenfreude. Nun kommt die fünfte und letzte Staffel.
Sucht nach mehr: Die 2. Staffel von »The Flight Attendant« knüpft fast zu passgenau an die erste an.
Sabrina Sarabi spricht am 7.8. im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit epd-Film-Autor Ulrich Sonnenschein über ihren Film »Niemand ist bei den Kälbern«
Szenen einer Ehe: Autor Nick Hornby und Regisseur Stephen Frears haben eine zweite Staffel ihrer Serie »State of the Union« produziert. Diesmal mit Patricia Clarkson und Brendan Gleeson.
Wenn der Schafmann kommt: Das Mediabook zu »Lamb« von Valdimar Jóhannsson.
Grausame Märchen: Der Kriegsfilm »The Painted Bird« als Mediabook.
Mit dem britischen Original von Russell T. Davis hat die zweite US-amerikanische Neuauflage von »Queer as Folk« nur noch wenig gemein. Sie spielt in New Orleans und ist queerer und diverser denn je.
Mythen des »Dritten Reichs«: Rüdiger Sünners Dokumentarfilm »Schwarze Sonne«.
Harry und Jack Williams sind vor allem bekannt für ihre klaustrophobisch-paranoischen Thriller. Für »The Tourist« suchten sie die australische Weite.
In seinem Vierteiler »22. Juli – Die Schüsse von München« geht Johannes Preuss den Hintergründen und Motiven des Amokläufers nach, der im Sommer 2016 neun Menschen erschoss.
Heldin oder Kollaborateurin? »Die Spionin« als DVD-Premiere.
»Abbott Elementary« ist aktuell die erfolgreichste neue Sitcom des amerikanischen Fernsehens. Dass sie aufs abgestandene Schema »Mockumentary« zurückgreift, verzeiht man ihr schnell.
Gegen das Vergessen der Geschichte: Neue DVD-Edition zu Wolf-Eckart Bühler, u.a. mit den Filmen »Amerasia« & »Viet Nam!«.
Dominik Graf und Lisa Gotto fragen sich, warum das Kinoim europäischen Osten so viel wilder ist als unseres. Filmkultur hinter dem Eisernen Vorhang.
Zwischen Kino und Fernsehen: Die Unternehmensgeschichte der Bavaria Film GmbH von 1945 bis 1994 spannend aufbereitet.
Digital restauriert: »Der alte Affe Angst« von Oskar Roehler auf DVD.
Happy End durch Kitsch: Thomas Brandlmeier über die Ironie in Douglas Sirks Melodramen.
Übersinnlich: Das Mediabook zu »The Innocents«.

Thema

»Der junge Häuptling Winnetou« wurde in der Tabernas-Wüste im spanischen Almería gedreht: eine der vielseitigsten Film-Locations der Welt. Gerhard Midding über den Glamour der kargen Landschaft.
In der Hitkomödie »Der perfekte Chef« herrscht er über eine Fabrik. Was das Kino betrifft, könnte man sagen: Javier Bardem ist einer der Leitschauspieler unserer Zeit. Thomas Abeltshauser hat ihn getroffen.
Rosalie Thomass hatte als Schauspielerin einen flotten Start – schon mit 17 bekam sie Preise. Profiliert hat sie sich in Marcus H. Rosenmüllers bayerischer Heimattrilogie. Jetzt ist sie mit zwei Filmen im Kino
Über Antisemitismus wird im Zusammenhang mit der Documenta heftig diskutiert. Ist die Schoah ein singuläres Verbrechen? Auch das Kino tut sich schwer, eine Position zu finden, meint Georg Seeßlen.

Meldung

Nach zwei mageren Jahren mit Absage (2020) und Open-Air-Kino (2021) kehrte das Münchner Filmfest Ende Juni fulminant in die Kinos zurück. Und die Besucher auch, trotz gutem Wetter
Hybrid ist passé: Die 36. Ausgabe von »Il Cinema Ritrovato« in Bologna war wieder ein reines Präsenzevent und punktete mit Masse, Klasse und Katze.
Ed Herzog 56, Regisseur und Drehbuchautor, arbeitet viel fürs Fernsehen (diverse Tatort-Folgen), hat aber auch ein erfolgreiches Kino-Franchise am Laufen: die Verfilmungen der Eberhofer-Krimis von Rita Falk. Der neue Eberhofer, »Guglhupfgeschwader«, startet am 4.8.

Filmkritik

Carla Simón liefert mit ihrem zweiten Spielfilm ein exakt beobachtetes Familienporträt aus dem Herzen des ruralen Kataloniens, das mit einem fabelhaften Laienensemble und subtiler Gesellschaftskritik glänzt.
Stanislaw Mucha porträtiert in seinem Dokumentarfilm ein paar Menschen am Ende der Welt: Meteorologen auf einer abgeschiedenen Wetterstation am russischen Polarmeer. Mit viel Gespür für die Poesie des Desolaten erzählt er aber auch düstere Geschichten von hungrigen Eisbären, Wahnsinn und zwischenmenschlichen Dramen.
Eine Prophezeiung besagt, dass der im Südsudan lebende Muzamil mit 20 sterben wird. Regisseur Amjad Abu Alala erzählt in seinem Debüt eine Emanzipationsgeschichte, die zugleich Freiheitsparabel ist für die Menschen, die sich gegen den Autokraten Umar al-Baschir gestellt haben.
Das autobiografisch gefärbte Drama einer verlassenen Schwangeren in Berlin verwandelt Laura Lehmus mit einer Fülle bunter Ideen und origineller Einfälle in eine märchenhaft bunte Feelgoodkomödie. Das hat viel Charme, neigt aber auch zu einer gewissen Oberflächigkeit.
Eine neue Runde im Franz-Eberhofer-Kreisel von Niederkaltenkirchen. Wie immer sorgen familiäre Verwicklungen und freundschaftliche Verwerfungen für Durcheinander, während zugleich ein Kriminalfall gelöst werden will und der Eberhofer eigentlich bloß in Ruhe sein Bier … Auf dem Weg zum Gipfel der Hochkomik lässt sich die verschworene Chaoten-Truppe auch diesmal nicht bremsen. Sehen Sie, staunen Sie!
Ein von Freundschaft und Eifersucht dominiertes Mädelswochenende, an dem so ziemlich alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Der Vergleich zu »Brautalarm« ist nicht zu hoch gegriffen: Tempo und Gagdichte stimmen, und Rosalie Thomass bringt als Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin genau die Wahrhaftigkeit und weibliche Perspektive mit, die den Film bei aller Albernheit in der richtigen Spur hält.
Javier Bardem spielt in dieser als Komödie getarnten Charakterstudie einen Chef, der vorgibt seine Firma mit väterlicher Fürsorge zu führen. Als sich die Dinge nicht mehr fügen wollen, gerät sein ausgeklügeltes Machtsystem aus dem Tritt. Selten ist Kapitalismuskritik derart unterhaltsam und zugleich zurückhaltend klug und bissig.
Der russischstämmige Regisseur Wes Hurley erzählt autobiografisch inspiriert von der Kindheit eines schwulen Jungen in der Sowjetunion der 1980er Jahre und seinem Ankommen samt Coming-out in den USA. Ein origineller Film übers Erwachsenwerden und Anderssein, der nicht perfekt ist, aber das Herz am richtigen Fleck hat.
Das Drama über eine deutsche Windenergieingenieurin in der Provence verzettelt sich zwischen den Themen Windenergie und einer inzestuös gefärbten Mutter-Sohn-Beziehung.
Ein Mädchen an der Schwelle zur Pubertät brütet ein Ei aus, aus dem ein böser Zwilling schlüpft, der lang schon schwelende familiäre Konflikte zur Eskalation bringt. Beeindruckendes Spielfilmdebüt, in dem das gute alte Creature-Feature in überraschender Gestalt Wiederauferstehung feiert: als Coming-of-Age-Horrorfilm, der den Begriff des Flüggewerdens wörtlich nimmt.
Was wie ein »Ich-bin-dann-mal-weg-Roadmovie« beginnt, endet bei einem sinnlichen Film über Liebe, Lebenssinn und Menschlichkeit in Zeiten von Corona.
Nach dem Tod seiner Frau macht sich ein Mann auf die 1 300-Kilometer-Reise vom äußersten Norden Großbritanniens nach Land's End an der Südwestspitze, ausschließlich mit Regionalbussen, die er als Rentner kostenlos benutzen kann. Trotz komischer Momente weniger ein Feelgoodmovie als eine dank Timothy Spall in der Hauptrolle berührende Geschichte.
Film über den Kampf gegen krebserregende Pestizide. Ein wichtiges Thema, voller Ernsthaftigkeit inszeniert, bei der die Spannung leider etwas auf der Strecke bleibt.
Die Geschichte eines Aussteigers. Elias, Sohn einer reichen Bauernfamilie, beschließt Ende der 60er Jahre, aus seinem vorgezeichneten Weg auszubrechen und sein Leben in der Einsamkeit der Berge zu verbringen. Ein Heimatfilm von Adrian Goiginger, der viele existenzielle Fragen verhandelt.
Dokumentarfilm über die dänische Band Lukas Graham und ihren charismatischen Sänger Lukas Forchhammer, der mit seinen persönlichen Texten seine Zuhörer berührt. Über sieben Jahre verfolgt der Film ihren kometenhaften Aufstieg.
Voller Leichtigkeit und Poesie adaptiert Régis Roinsard den gleichnamigen Roman von Olivier Bourdeaut über eine Familie, die sich der Schwere des Alltags mit Fantasie entzieht, ohne die Schattenseiten eines solchen Lebens zu verleugnen.
Mit der Fortsetzung des Kinohits von 2020 liefert Marc-Uwe Kling als Regisseur und Ideengeber durchschnittliche deutsche Komödienkost.
Eine ehemalige Balletttänzerin lässt sich auf eine Affäre mit dem eigenen Sohn ein. Isabelle Stevers auch formal überaus radikales Porträt einer Beziehung jenseits aller gesellschaftlichen Konventionen stellt Gewissheiten in Frage und ermöglicht ein anderes Denken über Körper und Gefühle.
Der exilierten syrischen Filmemacherin Diana El Jeiroudi ist ein in vieler Hinsicht gewichtiger Essayfilm gelungen, der deutsche Befindlichkeiten, die Anstrengungen von Flucht und Exil und jüngste syrische Geschichte zu einem in sich stimmigen, höchst persönlichen Mosaik zusammenbringt.
Regisseur Fulvio Risuleo variiert das beliebte Komödienthema der betrogenen Betrüger und macht es in der kuriosen Welt der Hundenarren und Dogsitter heimisch. Seine munteren Darsteller, die unverbrauchten Schauplätze an den Rädern Roms und eine gewitzte Bulldogge bringen leidlich komödiantische Verve mit.
In einem pulsierenden Sog erzählt Vincent Maël Cardona grandios von der Aufbruchstimmung Anfang der 80er-Jahre. Einer Zeit, als in Frankreich mit Mitterand nach vielen Jahren der Konservativen ein Sozialist die Regierung übernahm und der wütende Punkrock von den melancholisch-sphärischen New Wave-Klängen abgelöst wurde.
Mit meist feinem Witz wird in diesem Roadmovie die Odyssee eines orthodoxen Juden und eines arabischen Beduinen durch die Wüste Sinai geschildert und dabei politisch-religiöse Konflikte auf einer metaphorisch-märchenhaften Ebene verhandelt: Das klappt nicht durchgängig, ist aber auch dank der gelungenen Landschaftsfotografie eindrücklicher als erwartet.
Ein Tryptichon: drei Geschichten zum Thema Holocaust, Jüdischsein, Assimilation und Antisemitismus von 1945 bis heute. Kornel Mundruczó hat das Stück von Kata Weber verfilmt, mit großen Ambitionen, die etwas mehr Konkretion verdient hätten.
Auf den ersten Blick erzählt das Spielfilmdebüt des chinesisch-österreichischen Filmemachers C. B. Yi eine Liebesgeschichte im Milieu homosexueller Prostituierter. Untergründig verdichtet sich Yis ruhige, bewusst auf dramatische Zuspitzungen verzichtende Inszenierung zu einem Porträt einer Gesellschaft, die sich im Widerspruch von Tradition und Moderne mehr und mehr aufreibt.
Komödie, Tragödie, Satire oder Kinderfilm: Taika Waititis »Love and Thunder« will alles gleichzeitig sein und ist doch unterm Strich wenig mehr als die Überleitung zum nächsten »Installment« des Marvel Cinematic Universe.

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