Kritik zu Palermo Shooting

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Wim Wenders tritt in seinem neuen Film in alte Fußstapfen und schickt einen Fotografen, dargestellt vom Sänger der Toten Hosen, Campino, auf eine Reise durch das alte Europa

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Wim Wenders und das Fotografieren – das ist eine unendliche Geschichte. Das Doppeldeutige von »to shoot pictures« wurde schon von seinem Alter Ego Philip Winter in »Alice in den Städten« in die Waagschale geworfen, das herzzerreißende Credo des Fotografen Wim Wenders ist in seinem Fotoband »Einmal« nachzulesen. Demnach soll man von dem, der fotografiert, mehr sehen als das, was dieser gesehen hat. Das klingt halt immer so vertrackt.

Mit dem Fotografen Finn (Campino) in der Hauptrolle erzählt »Palermo Shooting« alles noch einmal von vorn. Dafür hat Wenders zum ersten Mal in seiner Geburtsstadt Düsseldorf gedreht. Aber es hält ihn und sein neues Alter Ego nicht lange im Designerhaus des Erfolgsfotografen, der seine Stadt- und Landschaftspanoramen mit aufwendigen digitalen Manipulationen auf dem Bildschirm kreiert und an Andreas Gursky erinnern soll. Selbst die Rheinwiesen mit Schafherde – immerhin ein Stück Natur – gehorchen dem Blick des Fotografen, der nur darauf wartet, dass ein malerischer Schleppkahn mit dem Namenszug »Palermo« am Horizont vorbeituckert. Ein Abschiedsbild, bevor das Roadmovie den Fotograf nach Palermo entführt. »Palermo Shooting« ist von der ersten bis zur letzten Minute eine Lektion über das Bildermachen.

Im Hafen von Palermo muss irgendwann einmal eine Schreibmaschine ins Wasser gefallen sein. Unten in der schmuddeligen Tiefe hat sie förmlich nur darauf gewartet, dass sich eines Tages ein Fotoapparat und ein halbtoter Fotograf zu ihr gesellen. Da liegen die Ingredenzien des Autorenfilms dann für einen Moment einträchtig beieinander. Ausrangiert. Denn Finn, der Fotograf, wird von einem mysteriösen Kapuzenmann mit Pfeil und Bogen verfolgt und hätte – an dieser Stelle, als der Pfeil endlich trifft – sterben müssen. Da sind zwei Drittel des Films bereits vorbei.

Finn hatte sich eine Auszeit genommen, Palermo erkundet, doch der Kapuzenmann, der ihn schon in Düsseldorf erwischen wollte, lässt ihn nicht aus den Augen. Klar, dass im langen grauen Mantel des Sensenmanns schließlich Dennis Hopper versteckt ist, ein übelgesinnter »amerikanischer Freund«, der hier gleichzeitig das Hollywoodkino und die Verführung des amerikanischen Traums zu repräsentieren scheint. Schon wieder ein gewichtiges Stück Vergangenheit, an dem der Regisseur Wim Wenders und sein Ehrgeiz lange zu beißen hatten.

»Wie merkt man, ob man tot ist?« Finn erfährt es erst, als er in der Altstadt die schöne Italienerin Flavia (Giovanna Mezzogiorno) trifft, eine Bilderrestauratorin, die ihn rettet und hochpäppelt, wie sie es von ihren Kunstwerken her gewohnt ist. Damit wären wir beim letzten Drittel des Films: der Offenbarung. Seit sein Handwerkszeug in den trüben Fluten versunken ist, darf unser Fotograf endlich ohne Knopf im Ohr durch die Stadt ziehen und das Getöse der Welt und ihre Verzweiflung – auch die eigene – an sich heranlassen. Das Katz-und-Maus-Spiel vom Anfang, als man sich mühsam an Finns hermetische Macho-Figur herantastet, sich von seinen verrückten Nachtfahrten im Cabrio beeindrucken lässt, von der Nonchalance, mit der er seine Panoramakamera auf der Windschutzscheibe kreisen lässt, wird abgelöst von einem schier endlosen Duell mit dem Tod: von tiefsinnigen Gesprächen und Verfolgungsjagden, die vom Fantasykino inspiriert scheinen und den ganzen Diskurs über das Sehen, der sich vorher so überzeugend entwickelte, kunstfertig verrätseln.

Zuletzt geht es nur noch um den »Triumph des Todes« – so heißt das wunderschöne Renaissancefresko aus Palermo, das Flavia restauriert und das Wenders in Teilen zu dieser Geschichte inspiriert hat. Nur, der unbekannte Maler des apokalyptischen Reiters löst mit seiner klarsichtigen Vision mehr nachhaltiges Entsetzen aus als das Kino mit seinen kleinen Schockwellen, die wieder verpuffen. Ein Alterswerk? Noch nicht. Dazu fehlt dem Film die Gelassenheit, der Verzicht auf die modischen Sandkastenspiele, auf die vielen Ablenkungsmanöver, denen der leicht verführbare Wenders immer wieder erliegt. »Jedes Foto ist eine Erinnerung an unsere Sterblichkeit. Jedes Foto handelt von Leben und Tod.« So einfach ist das.

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