Kritik zu Happy Holidays
Der palästinensische Regisseur Scandar Copti verfolgt im multikulturellen Haifa Lebensgeschichten in einer jüdisch-palästinensischen Familie
Titel können täuschen. »Happy Holidays« des palästinensischen Filmemachers Scandar Copti richtet mitnichten ein frohes Fest aus, sondern beobachtet eine »Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs«, wie es der deutsche Verleih plakativ zusammenfasst. Copti (Drehbuch und Regie) erzählt die Geschichte einer palästinensischen und einer jüdischen Familie in Haifa. Ihre Beziehungen untereinander stecken voller Konflikte und Geheimnisse. Zuerst nimmt Tim Kuhns Kamera Farida, genannt Fifi (Manar Shehab), in einem Krankenhaus auf. Die in Jerusalem studierende junge Palästinenserin war in einen Autounfall verwickelt. Die kunstvoll geschminkte und leicht bekleidete Fifi erfährt Missbilligung statt Mitleid seitens ihrer angereisten Familie: »Was ist das für ein Aufzug?«
Coptis in vier Kapitel unterteilter Film arbeitet nicht chronologisch, sondern sprunghaft. Bevor Fifi wieder ins Bild kommt, führt das Kapitel »Die merkwürdige Geschichte von Rami und dem Baby« Fifis Bruder Rami (Toufic Danial) ein. Er will seine schwangere jüdische Freundin Shirley (Shani Dahari) zu einer Abtreibung bewegen; Spannungen sind programmiert. In den folgenden, stets aus der Perspektive der vier Hauptfiguren erzählten Episoden addieren sich die Konflikte. Fifis und Ramis gut situierte Mittelstandsfamilie gerät in finanzielle Schwierigkeiten, trotzdem plant die Mutter Hanan (Wafaa Aoun) die aufwendige Hochzeit der zweiten Tochter. Und will nebenbei Fifi mit dem Arzt Walid (Raed Burbara) verkuppeln. Shirleys Schwester Miri (Meirav Memoresky) sorgt sich derweil um ihre offenbar depressive Tochter; könnte sein, dass sie sich als Simulantin dem Wehrdienst entziehen will. Schließlich verfinstert sich die Aussicht auf ein Happy End in der Beziehung von Fifi und Walid. Er bringt ihren Lebensstil, der Sex vor der Ehe einschließt, auf eine patriarchalisch grundierte Formel: »leichtes Mädchen« statt »normale Frau«.
Copti ist es gewohnt, auf Hebräisch und Arabisch mit Laien zu arbeiten. Walid-Darsteller Burbara zum Beispiel ist auch im wahren Leben Arzt. Die Bilder des Films – ob Telefongespräche, intime Dialoge oder Essensszenen im großen Kreis – besitzen einen authentischen, dokumentarischen, von Spontaneität und Improvisation geprägten Duktus. Das mag mitunter kunstlos erscheinen, steigert aber die Emotionalität der filmischen Erzählung. Ihr Fundament sind einengende und destruktiv wirkende gesellschaftliche, familiäre, kulturelle und persönliche Strukturen und Prägungen. Ihnen will sich Fifi entziehen. Manar Shehab bildet mit intensiver Mimik Zerrissenheit, Freiheitsdrang und Mut auf bewegende Weise ab. Unvergesslich auch Wafaa Aoun als Hanan: eine Übermutter wie eine Naturgewalt, aber auch eine sensible Beobachterin, der keine Gefühlsregung von Mann und Kindern entgeht.
Ist das Private hier politisch? Luftalarm, Wehrdienst und eine Gedenkfeier für gefallene israelische Soldaten binden die Gegenwart ein. Doch in erster Linie schlägt das Herz des Films für die Menschen, die er zeigt.
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