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Autor ohne Werk
Anmerkungen zur Rezeption des Kinofilms „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck

Schon immer konnte es vorkommen, dass Publikumsakzeptanz und Kritikerurteil erstaunlich weit auseinander lagen. In jüngster Zeit scheint das jedoch von der Ausnahme zur Regel zu werden – was jeden Filmjournalisten eigentlich alarmieren müsste. Man hat aber bisher nicht den Eindruck, als ob sich irgendjemand in den Feuilletons und Filmzeitschriften darüber Sorgen macht. In vielen Fällen ist ja auch die professionelle Filmkritik selbst tief gespalten, wie man immer wieder auf den Filmfestivals erfahren kann, wo die Bandbreite häufig von euphorischer Zustimmung bis zu völliger Ablehnung reicht. Zuletzt beispielsweise auf der diesjährigen Berlinale bei „Utøya 22. Juli“ von Erik Poppe, der ernsthaften und respektvollen Verfilmung des entsetzlichen und tief verstörenden Massenmordes auf der norwegischen Insel. Im Zusammenhang mit der aktuellen Frage nach der problematischen Ästhetisierung des Terrors sind hier die kontroversen Urteile noch nachvollziehbar. Irritierender war die Lage schon bei „Toni Erdmann“ von Maren Ade, dem deutschen Beitrag für den Wettbewerb in Cannes 2016, in ungewöhnlicher Einmütigkeit von fast allen Kritikern hoch gelobt, der aber am Ende, für alle überraschend und für viele enttäuschend, von der Jury überhaupt nicht beachtet wurde. Eine Festival-Jury besteht eben meistens nicht aus Filmjournalisten.
Man hat sich daran gewöhnt, dass Hollywood-Blockbuster oder besonders erfolgreiche deutsche Komödien von Schweiger oder Schweighöfer von der Kritik entweder ignoriert oder verrissen werden. Selten aber war die professionelle Filmkritik so einhellig ablehnend, und das breite Publikum wiederum so begeistert, wie im Fall von „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck. Was ist da eigentlich los?
Der Film bekommt in den normalen Publikumsvorstellungen – die jeder Kritiker unbedingt neben der Pressevorführung auch besuchen sollte - anhaltenden Beifall, für den sich von Donnersmarck auf seiner Promotion-Tour höflich und bescheiden bedankt. Von einem wunderbaren, vollkommenen Film wird da unter den Zuschauern geraunt, während der „filmdienst“ von einer „Schlaghammer-Botschaft“ und einer „antiquierten Soap-Opera“ spricht, und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt: „Wer so erzählt, hält der sein Publikum für einen Haufen Vollidioten?“ (30.9.2018)
Da wird es nun richtig interessant, denn (nicht nur) angesichts der Kinocharts mit den immer gleichen Superhelden-Sequels könnte man ja dem bildungsbürgerlichen Kulturpessimismus recht geben, und das Massenpublikum tatsächlich für ziemlich schlicht halten. Aber so einfach ist die Sache eben nicht, da muss man schon mal genauer hinschauen und fragen, warum dieser an seiner eigenen Ambition, dem schlichten Geniekult, einem reaktionären Frauenbild und einer Neigung zum Größenwahn gescheiterte Film eben auch durchaus klugen und gebildeten Menschen gefällt.
Vielleicht weil sich hier trotz der schwer melancholischen Künstlerseele und der furchtbaren deutschen Geschichte am Ende doch alles ganz wunderbar zum Guten wendet? Und weil er völlig ironiefrei daher kommt, ohne Scheu vor schalem Pathos?
Der Regisseur ist klug genug, vor den berauschten Zuschauern die negativen Kritiken nicht unerwähnt zu lassen, aber er argumentiert geschickt dagegen: In Deutschland sei es eben gar nicht mehr möglich, große, authentische, wahre Gefühle ungeschützt, also unironisch (Sloterdijk-Schüler würden wahrscheinlich sagen, reflexiv nicht abgefederte Gefühle) direkt darzustellen. Und da spricht von Donnersmarck tatsächlich einen interessanten Punkt an: Der Umgang mit den großen Gefühlen ist im Kritikerbewusstsein tatsächlich mindestens so kompliziert, wie der mit dem deutschen Liedgut oder der Nationalhymne – das hat manchmal neurotische Züge.
Der Regisseur weiß um das gefährliche Defizit, das durch die ständige Anrufung der kritischen Vernunft entstehen kann, aber er zieht die falschen Schlüsse daraus, er wählt die einfache, plakative Darstellung und glaubt vielleicht sogar wirklich, dass er den großen Gefühlen damit gerecht wird. Er suche immer nach der Wahrheit des Menschen, hat er einmal gesagt, und er habe sich sogar ein Mikrofon im Beichtstuhl gewünscht. Abgesehen davon, dass auch im Beichtstuhl nicht immer die Wahrheit gesagt wird, passt das sehr gut zu seinem Anti-Intellektualismus und einem erstaunlich ungebrochenen Hang zur ganz großen Geste.
Der Film ist ein gutes Beispiel für die allerdings besorgniserregend zunehmende Entfremdung zwischen der Filmkritik und dem Publikum, gerade weil er ständig nach Größe strebt, sie aber nicht einlöst. Man kann sich leicht von seinen Bildern verführen lassen, aber irgendwann merkt man, dass diese simple Dramaturgie keine eigenes Werk ist. Vielmehr scheint das Drehbuch geradezu berechnend nach den gängigsten Erfolgskriterien geschrieben, so dass auch die besten, hier versammelten Schauspieler nur noch chargieren können. Das breite Publikum will das große Gefühlskino, will ungestört schwelgen, der Filmjournalist aber weiß, dass die Zeiten von „Dr. Schiwago“ oder „Vom Winde verweht“ für immer vorbei sind. Der naive Versuch, heute noch so zu erzählen, führt zur Ästhetik des Groschenromans, und die ist zwar erfolgreich, aber alles andere als wahr oder realistisch. So entsteht kein Kunstwerk sondern nur klischeehafter Eklektizismus – denn auch die großen Gefühle sind alles andere als einfach.

© Oktober 2018 Thomas Neuhauser

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