Demokratie stirbt in Orange

Bertrand Tavernier war der Meinung, die schlimmste Zensur sei die wirtschaftliche. Ich fand diese Äußerung immer problematisch. Warum sollte die Unterdrückung von Filmprojekten wegen geringer Erfolgsaussichten schlimmer sein als eine, die vom Staat dekretiert wird? Andererseits konnte Bertrand nicht ahnen, dass Donald Trump zum zweiten Mal US-Präsident wurde, sein Freund Larry Ellison der inzwischen reichste Mann der Welt ist und dessen Sohn David nun Paramount besitzt.

Angeblich gingen er und seine Schwester Megan in ihrer Kindheit jeden Sonntagnachmittag ins Kino. Sie setzte ihrer Filmbegeisterung als erste in ein Geschäftsmodell um, als sie den zeitweiligen Mini-Major Annapurna gründete (sie "Tiefe Taschen" vom 24. 8. 2019). Ihr Bruder dachte langfristiger und großspuriger. Dank der Fusion des Konzerns Skydance mit Paramount konnte er seinen seit 15 (manche Branchenkenner sprechen gar von 20) Jahren gehegten Traum erfüllen, ein "Hollywood Legacy Studio" zu erwerben. Was aus dem Vermächtnis des Studios an der Melrose Avenue werden soll, muss sich noch zeigen. Ellison hat erst einmal die Fortsetzung bzw. Wiederbelebung von Franchises angekündigt (Top Gun 3, weitere Transformers und Star Trek-Episoden, ein Sequel zu World War Z etc.). Da das Studio im Schnitt 15 Filme jährlich herausbringen will, bleibt in dem Portfolio wohl nicht viel Platz für Originalität.

Dass die fünf großen Hollywoodmajors irgendwann aufhörten, sich selbst (bzw. ihren Gründern und späteren Mogulen) zu gehören, kam für viele Filmemacher als ein Schock. Nun waren sie nicht mehr nur mit begriffsstutzigen Produzenten konfrontiert, sondern auch noch mit begriffsstutzigen Wall-Street-Leuten. Andererseits hat es Paramount gar nicht so sehr geschadet, dass es 1966 von Charles Bluhdorns Gulf &Western gekauft wurde. Es erlebte eine seiner besten Zeiten, produzierte Der Pate, Bad Company, Serpico, Chinatown, Zeuge einer Verschwörung, Die drei Tage des Condor oder "Nashville" und verlieh Filme von Bernardo Bertolucci, Francesco Rosi, Jerzy Skolomowski, Bo Widerberg und anderen. Dass United Artists in den 70ern plötzlich als eine "Transamerica Company" firmierten, schränkte den kreativen Wildwuchs auch nicht sonderlich verheerend ein. (Ein wenig tröstlich ist hier schon, dass man die Namen der Studios im Gedächtnis behält, während die der Konzerne erloschen sind.) Als ich ihn in den späten 1980ern kennelernte, wunderte sich Robert Parrish (der zwei, drei Jahrzehnte zuvor einige schöne Filme für Columbia inszeniert hatte) zwar sehr, dass das Studio nun Coca Cola gehörte. Zugleich amüsierte es ihn, dass der Käufer aus seinem Heimatstaat Georgia stammte. Danach wurde es von Sony einverleibt und erlebte unter den Ägiden von John Calley und Amy Pascal eine phänomenale kommerzielle Blüte.

Ich bezweifle, dass David Ellison hauptsächlich an der Filmproduktion interessiert ist. Mit der Streamingplattform Paramount+ ist dem Major ja längst ein weiterer lukrativer Geschäftszweig zugewachsen. Während unsereins da leicht den Überblick verliert, wird er schon genau wissen, mit welchen Verzweigungen sich Geld verdienen lässt. Worin sein Vater Larry, der Gründer von Oracle, überall seine Finger stecken hat, wäre sicher ebenfalls ein reizvolles Forschungsfeld. Demnächst soll er angeblich TikTok kaufen. Unter den Tech-Magnaten, die Trump zu seiner Entourage zählt, schien er bisher der diskreteste zu sein. Jedenfalls stand er immer weniger im Rampenlicht als Jeff Bezos, Elon Musk, Mark Zuckerberg und Konsorten. Zusehends gewinnt man den Eindruck, die Zukunft, in der Rollerball spielt, sei gar nicht mehr so weit entfernt. In ihr es keine Regierungen mehr, sondern wird die Erde von weltweit agierenden Konzernen beherrscht. Oft muss ich in diesen Wochen auch an J.J. Gittes' Dialog mit Noah Cross, dem in "Chinatown" schon halb Los Angeles zu gehören scheint, was seinen Hunger aber nicht stillt. Der Privatdetektiv fragt ihn, was er sich denn noch mehr kaufen könne, wie viel besser er denn noch speisen könne nach dem Wasser-Deal? Die Zukunft, erwidert er.

Welche Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit die obszöne Entfesselung von Gier und Macht bereits zeitigt, ist momentan Gegenstand unzähliger besorgter Kommentare. Jeff Bezos, dem Eigentümer der "Washington Post", scheint es zwar bislang nicht vollends gelungen zu sein, die trumpkritische Zeitung auf Spur zu bringen. Ihr Leitspruch „Democracy dies in Darkness“ könnte sich jedoch irgendwann auf eine Weise bewahrheiten, die einer Zivilgesellschaft nicht behagen kann. CBS gab Stephen Colbert den Laufpass, weil der Sender Angst hatte, die Medienaufsichtsbehörde FCC könne die Fusion des Mutterkonzerns mit Skydance verhindern. Brendan Carr, der neue Leiter der Behörde, wird vom Präsidenten als untadeliger Patriot gerühmt. Tatsächlich übt er ein Faustrecht der Unfreiheit aus. Gerade wurde Jimmy Kimmel mundtot gemacht, dessen Kommentare der Präsidenten schon lange als Majestätsbeleidigung empfindet. Dessen Sender ABC gehört zu Disney. Trump und Carr drohen, den lokalen Sendern des Network die Sendelizenzen zu entziehen. Je größer die Konzerne, desto erpressbarer scheinen sie zu sein. Gerüchten zufolge spielt David Ellison bereits mit dem Gedanken, die Konkurrenz Warner Bros Discovery zu kaufen. (Sie fing auch mal als Filmstudio an, man vergisst es fast,) Damit würde er auch die Kontrolle über CNN gewinnen, wo immer noch Positionen vertreten werden, die partout nicht nach dem Gusto des Präsidenten sind.

Man konnte sich bislang nicht vorstellen, in welch atemlosen Tempo diese Verwerfungen stattfinden würden. Selbst manchen Republikanern wie Ted Cruz, dem Senator von Texas, gehen diese Gleichschaltungsbestrebungen zu schnell. Er hält das Gebaren der Medienaufsicht für gefährlich und vergleicht Carrs Methoden mit denen eines Mafioso. Fürwahr, er benutzt dieselbe Vokabel für Trumps Regierungsstil, wie es gerade Joseph Stiglitz im Interview mit der "FAZ". Darin listet der Ökonom die Mechanismen der Drohung und Schutzgelderpressung akkurat auf, nach denen derzeit in Washington Politik gemacht wird. Über sowas hätte Paramount früher großartige Filme produziert.

 

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt