Alles Walzer!

Um Verwechslungen zu vermeiden, strich er vorsichtshalber den letzten Buchstaben aus seinem Nachnamen. Das half natürlich nichts. Meist bekam Oscar Straus dann doch das zweite "s" verpasst. Das war sogar in den Vorspannen der Filme der Fall, für die ihn sein Freund Ernst Lubitsch und sein großer Bewunderer Max Ophüls verpflichteten. Ein Wiener, der so schwungvolle Melodien komponierte, musste einfach ein Strauss sein.

In Ludwig Bergers Episodenfilm »Drei Walzer«, der auf seiner Operette beruht, teilte sich Oscar dann auch den Musikcredit mit der ungleich berühmteren Vater-Sohn-Dynastie Johann Strauss. Tatsächlich eignet seinem Namen ein Hauch des Unvollkommenen. (Andererseits wird sich im Verlauf dieses Eintrags hoffentlich herausstellen, dass vor dessen Überschrift eigentlich ein "Nicht" stehen müsste.) Als Komponist fehlte es ihm ohnehin an nichts, er war nicht mit allen Wassern wienerischer Walzerseligkeit gewaschen und hatte bei Max Bruch und Gustav Mahler gelernt. Inzwischen ist Straus längst aus diesen diversen Schatten herausgetreten, nicht zuletzt, seit ihn Barrie Kosky für die Komische Oper in Berlin wiederentdeckt hat, wo »Die Perlen der Cleopatra« sich als Glanznummer für Dagmar Manzel erwies. »Eine Frau, die weiß was sie will«, war ohnehin ein Dauerbrenner in der Nachkriegszeit, zumal mit Lilli Palmer in der Titelrolle. Koskys atemraubende Version, in der Manzel und Max Hopp 20 Rollen spielen, steht zum Monatsende wieder auf dem Spielplan in Berlin.

Im Filmmuseum München ist Straus ab morgen (4. 12,) jedoch erst einmal als Filmkomponist zu entdecken. Ich vermute, das verdankt sich der Initiative von Nina Goslar, die sich bei ZDF/arte früher fabelhaft um die Pflege des Stummfilmerbes kümmerte. Von ihr stammt der Text im Programmheft und sie wird am Donnerstag zudem in Bergers Verfilmung von »Ein Walzertraum« einführen. In der Reihe ist eine transatlantische Karriere zu entdecken. In zwei frühen Tonfilmoperetten von Ernst Lubitsch stellt Straus seine Vielseitigkeit unter Beweis. In »The Smiling Lieutenant« vermischt er keck militärische mit galanten Akzenten. Dank Maurice Chevalier und Claudette Colbert ist das Musizieren bereits erotisch aufgeladen. Sie dirigiert eine Damenkapelle und spielt Violine, er spielt Klavier. "One day we may have a duet" sagt sie verheißungsvoll und er stimmt zu: "I love chamber music". Pizzicati klangen nie so verführerisch wie hier. Im Verlauf der romantischen Verwicklungen bringt Colbert gar ein modernes Idiom in das verschlafene Fürstentum Flausenthurm: "Jazz up your lingerie". Kompositorisch reizvoll werden für Straus die behänden Stimmungswechsel der Komödie gewesen sein, er hat ein Händchen für das Populäre, das sich auch diegitisch unmittelbar aus den Szenen entwickelt.

Straus erlaubt sich auch etwas, das später als "Mickey Mousing" in Verruf geriet: Er illustriert die Ereignisse ganz direkt mit seiner Musik. Bei ihm aber klingt das noch spritzig und überdies ziemlich lustig. Diesen Hang zum Satirischen zeigt er erneut in »One Hour with You«. Seine Partitur ist so temporeich, dass er ihr zwischendrin ein sachtes Zögern verordnen muss. Das Europäische erhält nun noch mehr amerikanischen Schmiss. Kein Wunder, mit Leo Robin stand auch ein ziemlich ausgefuchster Textdichter zur Verfügung. Die Übergänge zwischen Dialog und Gesang sind wunderbar fließend. Straus' Score passt perfekt zur Pre-Code-Frivolität von Lubitsch' Ehekarussell, das heute so zauberhaft altmodisch wirkt wie ein Handkuss.

Wie Lubitsch ist auch Ophüls ein Regisseur der diskreten Türen. Der Walzer, den Straus für dessen Schnitzler-Adaption »Der Reigen« komponierte, ging um die Welt. Er ist unwiderstehlich. Der Spielleiter Anton Walbrook singt ihn mit dezenter Chorbegleitung. Wiederum ein Liebeskarussell, und einmal mehr wechselt Straus flink die Register, mal lautstark, dann heiter-melancholisch, und immer funkelnd. Meist dient seine Partitur dem Übergang zwischen den Episoden. Sie schweigt freilich nicht immer, wenn die Figuren parlieren, sondern begleitet den erotischen Stafettenlauf klangvoll entdeckungsfroh: wiederum ein Meisterstück anzüglicher Aufladung. Dass seine zweite Zusammenarbeit mit Ophüls nicht in München läuft, bedauere ich natürlich sehr – schließlich ist „Madame de“ der schönste Film aller Zeiten. Ich glaube, Ophüls nannte Straus seinen Lieblingskomponisten. In seinen Memoiren schreibt Marcel, dass sein Vater ihn stets mit "Meister Straus" ansprach. Er berichtet, diesen habe 1954 der trefflichste Tod ereilt, den man sich wünschen kann. Eines Abends nahm er in Bad Ischl mit einer guten Zigarre und einem Brandy in seinem Lieblingssessel Platz und bat seine Frau, "Ein Walzertraum" aufzulegen. Als die Schallplatte ausklang, war Oscar Straus gestorben.

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