Variationen über ein Thema

An Ausstellungen zum 100. Geburtstag Federico Fellinis herrscht ein Jahr danach kein Mangel. Dass sie sich, bedingt durch die Pandemie, verspäten, gibt ihnen keine Unwucht. Die Neugier konnte sich unterdessen auffrischen. Der Meister selbst war bestimmt auch nicht immer pünktlich.

In Rimini wurde endlich das Museum eröffnet, mit dem seine Geburtsstadt ihn feiert. Das Folkwang in Essen zeigt derweil die Schau "Von der Zeichnung zum Film" und im Italienischen Kulturinstitut Berlin macht die Wanderausstellung "Il Centenario. Fellni nel mundo" (Hundert Jahre Fellini in der Welt) Station. An diesem Ort sind Ausstellungen meist wacker überschaubar. Das galt für die im letzten Jahr gezeigte Schau über den Regisseur und sein Alter ego Marcello Mastroianni. Diesmal ist der geräumige Veranstaltungssaal mit einbezogen. Ich verbrachte mehr als eine Stunde im Kulturinstitut, einen Gutteil davon vor den Monitoren, auf denen Selbstzeugnissen des Filmemachers sowie Interviews mit Weggefährten und Mitarbeitern laufen, darunter Tonino Guerra, Nicola Piovani, Milo Manara und Alberto Sordi, der in frühen Jahren ein ebensolcher Hungerleider mit großen Träumen war wie sein Freund Federico.

Es ist nicht ganz einfach, die Schau zu besuchen. Bis Mitte Dezember gibt es nur wenige Termine. Allerdings liegt im Institut auch ein kostenloser, zweisprachiger Katalog aus, den ich empfehlen kann. In meinen Notizen entdecke ich den Satz "Zwei Leben – eines mit offenen, eines mit geschlossenen Augen". Ich weiß nicht, worauf er sich in der Ausstellung bezieht, aber er legt eine schöne Spur aus zu dem einzigartigen Faszinosum, das dieser Regisseur darstellt. Er sprach in seinen Filmen stets über und zu sich, aber zugleich konnte sich weltweit ein großes Publikum in ihnen erkennen. Der Freiraum der Phantasie, den er in ihnen eröffnet, ist weit genug gefasst dafür: ein fulminantes Tauschgeschäft zwischen Leben und Erfindung. In einem der schönsten Interview-Ausschnitte postuliert er die Notwendigkeit des Selbstbetrugs. Er weigerte sich, Muster anzuschauen und schwänzte auch Vorführungen, denn da würde er nur den Film sehen, den er gemacht hat und nicht den, den er machen wollte.

Es ist die mittlerweile vierte Fellini-Ausstellung, die ich in den letzten Jahren besucht habe. In dieser habe ich mehr über den Menschen erfahren (dem KuratorInnen-Trio gehört seine Nichte Francesca Fabbri Fellini an), dessen Antlitz schon auf Familien- und Kindheitsfotos unverkennbar ist. Seine Partnerschaft mit Giuletta Masina erhält viel Raum. Die Schau prunkt mit Kostümen von Danilo Donati und einigen Requisiten. Ein Drehplan wird präsentiert, auch er gewiss eine Fiktion, denn der Maestro hielt sich nicht gern an strenge Vorgaben. Neben der üblichen Galerie von Filmplakaten sind zahlreiche Dreharbeitenfotos zu sehen, in denen sein Temperament greifbar wird. Freilich hätte ich gern die Namen der Urheber erfahren, da die Arbeit der Standfotografen in Italien traditionell vorzüglich ist.

Ein Schwerpunkt liegt auf dem Zeichner Fellini.Die Ausstellung im Folkwang Museum konzentriert sich offenbar auf deren Stellenwert im Entstehungsprozess der Filme (ich habe sie noch nicht besucht, sondern verlasse mich vorerst auf die Befunde des Comic-Spezialisten Ralph Trommer, der sie in der taz besprochen hat), auf ihre Bedeutung als erste Kristallisation von Ideen sowie als Arbeitsgrundlage für sein Team. In Berlin entfaltet sich ein anderes Spektrum, das beim flinken Karikaturisten Fellini einsetzt. Er ist bereits in jungen Jahren ein Porträtist mit Blick für das Groteske. Das zeigt sich in Studien des Bonvivants Vittorio de Sica, einer sehr struppigen Anna Magnani und des springteufelnden Komikers Totò. Auch die Faszination für die berstenden Konturen von Frauenkörpern tritt hier schon auf den Plan. In der Serie „Erotomachie“ von 1991/92 kommt eine energisch pornografische Dimension hinzu, nun wirkt sein Ideal üppiger Weiblichkeit zudem muskelbepackt und wird mit lauter Penissen konfrontiert, die ein munteres Eigenleben führen. Auch sich selbst schreibt er verschmitzt manch machtvolle Erektion zu. Der Zeichner Fellini, der seine spontanen und doch zielstrebigen Kritzeleien als Selbstgespräche bezeichnete, lässt in dieser Disziplin das Publikum ebenso furchtlos teilhaben an den eigenen Obsessionen und Zweifeln wie in seinen Filmen.

Dieses Selbstbild des Regisseurs als einem heiter Getriebenen, der sich gehorsam, ja demütig in den Dienst der eigenen Phantasmagorien stellt, schreibt sich in Auszügen aus seinem "Buch der Träume" fort. In den "Film-Comics", für die er sich mit dem Zeichner Milo Manara verbündet, vollendet es sich. Sie entstehen auf der Grundlage von zwei nie realisierten Projekten, die er aber auch nicht ruhen lassen mochte. »Die Reise des G. Mastorna« ist die legendenumwoben, »Die Reise nach Tulum« nicht weniger bezeichnend für den unbändig schöpferischen Träumer Fellini. Das Kino hatte sich in seinen letzten Lebensjahren von ihm verabschiedet, aber er nicht von ihm.

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