Fenster oder Spiegel?

In den Kritiken, die zum Start von „Leid und Herrlichkeit“ erschienen sind, werden Sie bestimmt viel gelesen haben über den autobiographischen Gehalt von Pedro Almodóvars jüngstem Film. Er gibt sich unumwunden zu erkennen: Der Regisseur reflektiert seine berufliche Existenz; die Rückenoperation, der er sich vor einiger Zeit unterzog, ist ein maßgeblicher Ausgangspunkt; auch die abschweifende Erinnerung an eine Provinzkindheit speist sich aus eigenem Erleben.

Beim Sehen des Films musste ich oft an eine Ausstellung über Almodóvar denken, die ich vor einigen Jahren sah und in der deutlich wurde, wie glücklich sein Kino auf der Entgrenzung von Leben und Kunst beruht. Besonders beeindruckte mich unter den Selbstzeugnissen, die auf Monitoren liefen, eine Beobachtung des Regisseurs: Früher, sagt er da, habe er aus dem Fenster geschaut, heute blicke er in den Spiegel Aber nicht aus Eitelkeit, sondern um zuzuschauen, wie die Zeit vergeht. Sie steht nicht still in „Leid und Herrlichkeit“, sondern beschreitet neue Wege. Dabei erschöpft der Film sich nicht in seiner lebensgeschichtlichen Grundierung. Vielmehr nimmt er sie als ein Sprungbrett des Erzählens. Sie engt die Fiktion nicht ein, sondern bereichert sie.

Zu dieser Aufrichtigkeit gegenüber den eigenen Erfahrungen gehört auch, dass Almodóvar seine Hauptfigur Salvador erkennbar nach seinem Ebenbild formt: Antonio Banderas graumelierte Haupt- und Gesichtsbehaarung erinnern unmissverständlich an die äußere Erscheinung des Regisseurs. Zudem trägt er dessen Kleidung nach. Eines der Details, das die Kostümbildnerin Maria Clara Notari aus der Garderobe Almodóvars barg, finde ich besonders schön und bezeichnend: Salvadors Vorliebe für Slipper. Er ist in einem Alter, in dem er sie Schnürschuhen vorzieht. Das ist mir aus eigener Anschauung wohlvertraut: Auch mein Vater ersparte sich mit den Jahren die kleine alltägliche Anstrengung, Schnürsenkel zubinden zu müssen.

Die Reife verzeiht man nicht allen Regisseuren. Besonders bei einem ausgelassenen Bilderstürmer, wie es Almodovàr in seinen Anfängen war, verstört es manche Kritiker, wenn sein Erzähltempo nun gesetzter wird und an Stelle der grellbunten Szenerien nun ein beruhigte Farbigkeit tritt. Ein Kollege, mit dem ich mich zur Berliner Pressevorführung von „Leid und Herrlichkeit“ verabreden wollte, winkte beispielsweise ab: „Hat der nicht seine beste Zeit längst hinter sich?“ Im Gegenzug kann es natürlich helfen, wenn ein Spätwerk als Bilanz gelesen werden kann. Und in der Tat legt der Spanier reichlich Köder für Kritiker aus. Auch das wird Ihnen bei der Lektüre der aktuellen Kritiken aufgefallen sein. Sein neuer Film stecke voller Verweise auf frühere, war da zu lesen. Zusammen mit „Das Gesetz der Begierde“ und „La mala educación – Schlechte Erziehung“ bilde er eine Trilogie über die Fährnisse des Filmemachens.

All das ist triftig. Mir jedoch scheint er eher eine Wende in Almodóvars Werk zu markieren, einen Neuanfang, zu dem er den ersten Schritt bereits vor drei Jahren mit „Julieta“ unternahm. Das war ja seinerzeit ein recht ungeliebter Film (er diente meinem Kollegen als Hauptargument für sein Zögern), aber ich glaube, ohne ihn hätte es „Leid und Herrlichkeit“ so nicht geben können. Die Berührungspunkte sind zahlreich: Einsamkeit, Schmerz und Isolation der Hauptfiguren, die im fortgeschrittenen Alter in einem Museum der Schönen Künste leben (Salvadors Apartment ist dem des Regisseurs nachgebildet); ein szenisches Gegeneinander des vergangenen und jetzigen Ich, ein wehmütiges Schillern zwischen der sittlichen Freiheit der „Movida“, der heroischen Epoche des Aufbruchs nach Ende des Franco-Regimes, und der Gegenwart. Beide Filme handeln von Verlust, Krankheit und Abwesenheit (im vorangegangenen Film der Tochter, in diesem der Arbeit), aber sie tun es auf unterschiedliche Weise. In „Julieta“ passieren diverse Unfälle und Selbstmorde, die Verletzungen der Titelfigur häufen sich, auch ihre Schuldgefühle lasten schwerer. Es ist ein karger Film, eine Chronik der Abschiede. „Leid und Herrlichkeit“ hingegen ist ein Film der Wiederbegegnungen. Er geht einen anderen, dynamischeren Pakt mit der Vergangenheit ein. Er nutzt die Erinnerung schöpferisch, mit erstaunlicher Heiterkeit. Sein Erzählimpuls ist therapeutisch. Vielleicht wirkt deshalb sein Schlussbild so beglückend, so euphorisch: Almodóvars Blick ist in den Spiegel gerichtet, aber er öffnet sich.

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