Feuer und Flamme

Jean-Paul Rappeneau. Foto: telerama.fr

Dieser Filmemacher hat keine Zeit zu verlieren. Bei ihm besitzt praktisch jeder Moment Dringlichkeit. Jean-Paul Rappeneaus Charaktere stehen unter Zeitdruck. Stets haben sie eine, meist gleich mehrere Aufgaben zu erledigen. Es kann sein, dass sie vor etwas flüchten, aber sie treten diese Flucht nach vorn an. Ihr Elan darf nicht nachlassen.

Von diesem Rausch ist selbst »Cyrano de Bergerac« ergriffen, den ich eigentlich etwas betulicher finde. Aber auch da gibt es kein Zögern, muss unverzüglich gehandelt werden. Allerdings handelt es sich im Falle Rappeneaus ohnehin um eine altmodische, entschleunigte Eile. Tempo ist bei ihm keine Frage der rasanten Schnitte, wo eine Einstellung nur der lästige Statthalter für die nächste ist. Vielmehr entsteht es aus der Geistesgegenwart der Drehbücher und Schauspieler. Es passt schon, dass er vor seinem Regiedebüt »Leben im Schloss« (1966) hyperaktive Szenarien für Louis Malle (»Zazie«) und Philippe de Broca (»Abenteuer in Rio« und später, 1973, »Le Magnifique«) schrieb.

Es ist eine ausnehmend hübsche Idee, dass ihn das Frankfurter Filmmuseum von heute an eine kleine Retrospektive widmet. Woher stammt sie? Zum letzten Mal kam vor 20 Jahren in Film von ihm in hiesige Kinos. Rappeneau ist nicht in Mode, war es nie. Er gehört keiner Kapelle an, die hier zu Lande ihre Verteidiger hätte. Mit der Nouvelle Vague hatte er nichts zu schaffen. Streng genommen hat er immer nur Unterhaltungskino gemacht, Komödien und Abenteuerfilme, genauer: Abenteuerkomödien. Auf die drängenden Fragen der Zeit suchen sie keine Antworten. (Allerdings greift er in seinem Regiedebüt und dann 2003 in seinem Meisterwerk »Bon Voyage« die brisanten Themen Besatzung und Widerstand auf, wenngleich mit bezeichnend leichter Hand.) So etwas war einmal Brot und Butter der Filmindustrie, nun hat es das Flair eines Luxusprodukts.

Diese Virtuosität des temporeichen Erzählens ist erschrieben und erspielt. Seine Drehbücher gehen eine Wette mit sich selbst ein, werden von der rastlosen Hoffnung auf die Vereinbarkeit gegensätzlicher Charaktere vorangetrieben. Unter anderen Umständen als denen, die Rappeneau für »Die schönen Wilden« einfädelt, wären sich Yves Montands und Catherine Deneuves Figuren nie begegnet. Deneuve, die mal als die schnellste Schauspielerin Frankreichs galt (und beim Nachsynchronisieren angeblich selten mit dem eigenen Tempo Schritt halten konnte), findet bereits in »Leben im Schloss« grandios in die rappeneausche Hektik. Er ist ohnehin ein fabelhafter Schauspielerregisseur, was sich an diversen César-Nominierungen für seine Darsteller ablesen lässt. Und ein Entdecker: Achten Sie mal auf die kleine Ludivine Sagnier in »Cyrano«, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zu erkennen ist.

In Frankfurt laufen nur vier Filme. Das ist allerdings die Hälfte seines gesamten Schaffens in 50 Jahren. Die Zeit, die er zwischen den jeweiligen Filmen verstreichen lässt, scheint der eingangs behaupteten Dringlichkeit zu widersprechen. Die Drehbücher müssten doch nur so aus ihm heraussprudeln. Angeblich gibt es indes wenige unrealisierte Projekte. Er feilt einfach ungeheuer lange an den Büchern, dreht und wendet jede Dialogzeile, bis er mit ihr zufrieden ist. Die Ansprüche, die er an sich stellt, sind unerbittlich hoch. So gingen zwölf Jahre ins Land, bis er nach »Bon Voyage« wieder einen Film in Angriff nahm. Mir gefällt die Verschachtelung der Figurenkonstellationen und Zeitläufte in dieser Besatzungskomödie ungemein, die Lust, so viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten.

Diese Lust ist auch in »Belles Familles« zu spüren, den Rappeneau am Sonntag persönlich vorstellt. Wieder geht es um einen Helden in einer akuten Stresssituation, wieder legt er ungeheures Tempo vor. Nach fünf Minuten weiß man schon von der Pleite des Familienunternehmens, das der verlorene Sohn Mathieu Amalric retten soll. Eben war er noch in Shanghai, jetzt macht er in Paris einen Zwischenstopp, bevor es nach London weitergehen soll. Zeit genug, sich schnell noch mit seinem Bruder zu prügeln. Die Geschicke der Firma entscheiden sich in einer Spanne von wenigen Tagen. Nebenbei wird die heimliche Geliebte des Vaters in ihr Recht gesetzt, bahnt sich die Erfüllung einer alten, uneingestandenen Liebe an (zwischen Nicole Garcia und André Dussollier als schusselig-romantischem Bürgermeister) und findet Amalric in aller Eile selbst eine neue (Marine Vacth, die seit Ozons »Jung und schön« sträflich unterbeschäftigt war).

Wie in »Die schönen Wilden« geht es ums Großbürgertum und ein mittelständisches Unternehmen in der Krise (na ja, dort ist es wohl bereits international aufgestellt). Das war übrigens einer der ersten Filme über das Phänomen des Aussteigers: Die Sehnsucht nach einem exotischen Anderswo gehört fest zu Rappeneaus filmischem Universum,. Hier nimmt er die Globalisierung genauer in den Blick, als es bei den »Wilden« Mitte der 70er geboten war. Wenn Rappeneau am Sonntag über den Film spricht, wird er vielleicht erklären, weshalb in seinen Filmen so oft Hubschrauber auftauchen und weshalb er im Abspann Jean-Claude Carrière und der Kostümbildnerin Cathérine Leterrier dankt. Selbst wenn er das nicht tut, hat er bestimmt genug zu erzählen. Dem Vernehmen nach arbeitet der 84jährige übrigens an seinen Memoiren. Hoffentlich braucht er für sie nicht so viel Zeit, wie er sich für seine Filme nimmt.

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