Blendend

Mit ihm verbindet sich eine meiner lebhaftesten und zugleich diffusesten Fernseh-Erinnerungen. In jener Zeit, als es nur drei Programme gab und unser Gerät noch schwarzweiß war, geriet ich eines Sonntagnachmittags in einen Krimi, in dem er einen Mann spielt, der nach einem Unfall aus einer Ohnmacht erwacht und sich plötzlich in der fremden Existenz eines Millionärs wiederfindet. Der Sportwagen, den Louis Jourdan dort fährt, weist die 60er als die Entstehungszeit aus.

Seither ist mir der Film nie wieder begegnet. Meine ersten Versuche, ihn zu identifizieren, scheiterten. Später, das Internetzeitalter hatte begonnen, betrieb ich noch einmal eine Anstrengung, seiner habhaft zu werden. Wer waren Regisseur und Autor, wer waren seine Partner in den Thriller, um was für einen Sportwagen handelt es sich? Ich muss gestehen, dass diese Recherche halbherzig verlief. Vielleicht wollte ich ihm dieses filmographische Geheimnis lassen. Wenn ich es recht bedenke, würde ich den Film doch gern einmal wieder sehen, jedweder möglichen Enttäuschung zum Trotz.

Nun, da Louis Jourdan in hohem Alter (entweder mit 93 oder 95 Jahren) in Beverly Hills gestorben ist, verbindet sich sein Name mich jedoch vor allem mit Max Ophüls' Zweig-Verfilmung „Brief einer Unbekannten“. Da spielt er den begabten Pianisten Stefan Brand, der zum Objekt der Sehnsucht Joan Fontaines wird. Er lässt sich von Erfolg und Wohlleben korrumpieren; erst der Brief der verstorbenen, vergessenen Geliebten gemahnt ihn an das moralische, romantische und künstlerische Versprechen, das er einst in sich spürte und nie einlöste. Jourdan war ein genialer Besetzungscoup von Ophüls. Insgeheim beschäftigt seine Figur meine Phantasie seither weit mehr als die Fontaines, der eigentlich Ophüls' Augenmerk gilt. Es gefiel mir, mich von seinem Charme, Aussehen und formvollendeten Auftreten blenden zu lassen, um dann das Wiedererwachen seines Gewissens miterleben zu können. Seine Stimme hat in beiden Seelenzuständen einen betörenden Schmelz.

Seither ist die Rolle für mich zur Grundierung jedes seiner Filmauftritte geworden. Ein Vorschuss an Wohlwollen war ihm stets gewiss; gleichviel, ob er einen raffinierten Lebemann, Bond-Schurken oder einen jener hochmütigen Mörder spielte, die Inspektor Columbo so heimtückisch unterwürfig zu überführen wusste. In den meisten seiner fast 90 Rollen war er unterbeschäftigt, machte aber eine glänzende Figur. Gutaussehende Schauspieler werden ja oft unterschätzt.

Seine kontinentale Eleganz erschien in Hollywoodfilmen stets ein wenig zweifelhaft. So viel Raffinement und Schönheit war nicht zu trauen. Er schien zu glatt. Es half nichts, dass sein Gesicht nobel geschnitten war. Das Lächeln fiel ihm zu leicht. Seine Virilität mutete unamerikanisch, weil leichtfertig an. Er war schlank und feingliedrig, athletisch musste er nicht wirken. Das disponierte ihn für das Fach des Müßiggängers und Bonvivants oder bestenfalls des Playboys, den von unverdientem Vermögen lebt. Später spielte er oft den reicheren, weltgewandteren Mann, dem der Held die Frau entreißen musste.

Viele dieser Rollen schienen argwöhnisch und eifersüchtig geschrieben. In „Gigi“ allerdings war er sympathisch, ein Lebemann, der verletzbar und zur Läuterung fähig sein kann. Gleichsam die spritzige Revision seines Stefan Brand. Ich vermutete, spätestens da verliebten sich eine Menge amerikanischer Backfische und Ehefrauen in ihn. Es ist hübsch, wenn schließlich die Eifersucht von ihm Besitz ergreift und er „She is NOT thinking of me“ singt. Zwar konnte er akzentfrei Englisch sprechen, aber dazu hatte er nur selten Gelegenheit. Billy Wilder engagierte ihn als Erzähler bei „Das Mädchen Irma La Douce“: als Gewährsmann, der das US-Publikum mit sachter Ironie in die Klischees französischer Lebensart einweiht. Schade, dass er nie eine Rolle für ihn fand. In einem Remake von „Hold back the Dawn“ hätte er trefflich den Part von Charles Boyer spielen können.

Zuletzt, im Vorfeld der Technicolor-Retro, sah ich ihn noch einmal in „Die Piratenkönigin“, wo sich Jean Peters stolz und widerspenstig in ihn verliebt. Auch da glänzt er als Figur, deren Moral der Frage würdig ist. In Hollywood und England spielte er zwar gelegentlich wehrhafte Abenteurer, im französischen Kino vertraute man ihm jedoch mit größerer Selbstverständlichkeit tatkräftige Charaktere an: bei Jacques Becker einen Rennfahrer, später den Grafen von Monte Cristo und auch den Kurier des Zaren. Erst aus dem gestrigen Nachruf im „Guardian“ erfuhr ich, dass er mit seinem Vater und seinen Brüdern in der Résistance gekämpft hatte und bis zu ihrem Tod vor einem Jahr mit seiner Jugendliebe verheiratet war. So unamerikanisch war er vielleicht gar nicht.

 

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