ZDF-Mediathek: »Mels Block«

© Tidewater Pictures

Kein Opfer der Verhältnisse

Der goldfarbene Lamborghini, der zwischen den Plattenbauten des Rostocker Viertels Groß Klein bremst, wirkt wie ein gerade gelandetes Ufo. Der Luxuskarosse entsteigt eine so schöne wie schönheitsoptimierte Frau nebst Bodyguard, der ihr die rosa Tasche hinterherträgt. Die Frau schaut auf den Plattenbau und sagt: »Na, mein hässliches Stück Scheiße!«

Die Frau ist 35, nennt sich Mel und hat es mit Gaming und einem von ihr vermarkteten Energydrink zur »Selfmade-Millionärin« gebracht. In ihrem früheren Leben hieß sie Melanie und ist in dem besagten Stück Scheiße groß geworden. Nun ist sie zurückgekommen und hat den Plattenbau gekauft. Für die erwachsene Mel (Caro Cult) ist der Block der Ort, an dem die 15-jährige Melanie (Maja Enger) gemobbt und gedemütigt wurde und nicht wusste, wohin mit ihrer Wut und Verzweiflung. Ihre Rückkehr ist also eine Abrechnung, ihr Reichtum bildet ein hohes Plateau, von dem aus sie die größtmögliche Distanz zwischen sich und diesem Ort, ihre Vergangenheit, bringen will. Dass das nicht so recht funktionieren wird, ahnt man schon in den ersten Szenen.

Immer wieder wechselt der Film von der Gegenwart in die Rückblende und wieder retour. »Damals«, Anfang der 2000er Jahre, lebt Melanie allein mit ihrer Mutter, das Internet wird allmählich zum Massenmedium, längst nicht jeder hat einen Computer, auch Melanie nicht, nur Martin aus ihrer Viererclique, bei dem sie nachmittags Spiele zocken. Diese Viererclique, zu der noch Melanies beste Freundin Jenni (Theda Kay Kosak) und Pfütze (Caspar Gierden) gehören, zerbricht irgendwann. Zuflucht und Trost gibt Mel in dieser Situation nicht die überforderte Mutter (die in diesem Film eigenartig eindimensional bleibt), sondern eine ältere Nachbarin: Renate (Barbara Schnitzler) eröffnet Melanie mit ihrem Wissen über die Gaming-Community so etwas wie eine Perspektive.

Die Szenen der spröden Annäherung der beiden einsamen Menschen gehören in ihrer stillen Intensität zu den besten des Films – ebenso wie der Moment der ungeschminkten Ehrlichkeit zwischen der erwachsenen Mel und ihrem Bodyguard Toni (Dennis Scheuermann) auf dem Hochhausdach, in dem beide durch ihre Erfahrungen für einen Moment auf Augenhöhe sind.

Mark Sternkikers Langfilmdebüt, das bei den Hofer Filmtagen und beim Max-Ophüls-Festival lief, beeindruckt durch die konsequente Verweigerung von Klischees oder simplen Erklärungsmustern. Der Stadtteil Groß Klein (den Sternkiker selbst durch seine zweijährige medienpädagogische Arbeit an einer Schule kennt) ist kein »Sozialghetto«, sondern geprägt durch den Alltag von Menschen, denen keine goldenen Löffelchen gereicht wurden. Und Mel ist kein Opfer der Verhältnisse, sondern eine Handelnde, die sich mit ihren Entscheidungen auch selbst schuldig macht und schließlich mit den unangenehmen Konsequenzen konfrontiert wird.

Großartig ist der Cast: Dass die junge Rostockerin Maja Enger, die aus 500 Jugendlichen ausgewählt wurde, zuvor nur Schultheatererfahrungen hatte, merkt man ihr keine Sekunde an. Auch Theda Kay Kosak, Caspar Gierden und André Voigt überzeugen als pubertierende Freundesclique mit all den alterstypischen Unsicherheiten und emotionalen Wirren. Ebenfalls grandios Caro Cult als erwachsene Mel in ihrer ganzen Zerrissenheit, die mit ihrem Teenager-Alter-Ego zu verschmelzen scheint.

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