Feel-Good-Eröffnung

»My Salinger Year« (2020). © micro_scope

Ich hör sie schon wieder, die Kollegen, nach der Eröffnung mit Philippe Falardeaus Romenverfilmung »My Salinger Year«. Zu seicht, zu gefällig, zu unpolitisch und vor allem zu wenig berlinalemäßig. Dabei kann man nicht einmal unterschwellig böse fragen, was solch ein Film im Wettbewerb soll. »My Salinger Year« ist weder außer Konkurrenz im Wettbewerb gelistet, wie sonst gerne bei dem Eröffnungsfilm, das gibt es in diesem Jahr nämlich überhaupt nicht mehr, sondern gehört zur Sektion Berlinale Special, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie kein klares Profil hat, sondern Filme zeigt, die auf ein breites Publikumsinteresse stoßen könnten.

Insofern passt »My Salinger Year« schon sehr gut. Schulterzucken und abhaken? Sicher nicht. Mir hat der Film vor allem deshalb gefallen, weil er auf sehr persönliche Weise mit einem verschwundenen Idol der Literaturgeschichte umgeht, ohne dabei rein oberflächlich auf den Promifaktor zu setzen oder auf die immer wieder so gern bemühte wahre Geschichte. Wie sehr das Memoire von Joanna Rakoff der Wirklichkeit entspricht, ist nicht mehr festzustellen, tatsächlich erlaubt sich der Film aber auch davon noch signifikant abzuweichen. Im Buch scheitert der Buchdeal, um den es in der Geschichte aber nur nebenbei geht. Hier wird erzählt, wie eine junge Frau für eine Lebensentscheidung eintritt. Mutig stellt sie sich gegen eine Karriere, die ihr quasi in den Schoß gelegt wird. Sie verlässt die bedeutende Literaturagentur, die neben anderen wichtigen Autoren eben auch den zurückgezogen lebenden J.D. Salinger vertritt, um einem Traum zu verwirklichen. Neben Thomas Pynchon ist Salinger der zweite berühmte Autor, der vom Ruhm nichts wissen will, und das aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Einfühlsam, mit charmantem Witz und einer nachvollziehbaren Entwicklung zeichnet Falardeaus diese Lebensentscheidung nach, Autorin und nicht Agentin zu werden. Die Radikalität, mit der Salinger alles verweigert, was ihn von außen beeinflussen könnte, überträgt sich ganz unspektakulär auf Joanna und sie geht ihren Weg bis zu diesem Roman.

Joanna Rakoff hat den Film mitproduziert. Das sorgt sicher auch dafür, die Hauptfigur, die ihr selbst nachempfunden ist, gut aussehen zu lassen. Wir werden noch viele gebrochene Figuren zu sehen bekommen, im Laufe der nächsten 10 Tage, da ist dieser sanfte Einstieg sicher kein Fehler.

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