Am Freitag war sie witzig

Das Ende von Hollywood, das gerade viele Beobachter angesichts der möglichen Übernahme von Warner Bros durch Netflix prophezeien, scheint erst einmal abgewendet. Paramount bietet etliche Milliarden mehr. Dabei fiel der Anfang vom Ende eigentlich schon in die Ära, als einige der Majors noch ihren Gründern gehörten. Genauer gesagt in das Jahr 1957.

Damals kauften Lucille Ball und ihr Ehemann Desi Arnaz die Studios von RKO, die Ball anderthalb Jahrzehnte zuvor gefeuert hatten. Damals waren die Kampflinien noch übersichtlicher. Die Studios waren noch leicht zu identifizieren: Sie standen für einen bestimmten Stil und konzentrierten sich noch auf die Produktion von Kinofilmen sowie mittlerweile auch Fernsehserien. Wenn ich oben von Warner und Paramount schrieb, ist das natürlich längst nicht mehr korrekt. Sie sind nur noch ein Teil viel größerer Medienkonzerne. Desilu, die Firma des Ehepaares, produzierte die phänomenal erfolgreiche TV-Serie „I love Lucy“, die 1957 allerdings nach sechs Staffeln auslief. Beim Kauf der RKO-Ateliers handelte es sich im Grunde nicht um eine feindliche Übernahme. Howard Hughes, der aktuelle Besitzer, hatte das Interesse am Studio verloren und verscherbelte es einfach. Dennoch war Ball das, was man heute einen game changer nennt.

Desilu, das sie bald allein besaß, produzierte neben diversen Fortsetzungen von „I love Lucy“ enorm erfolgreiche Serien wie „The Untouchables“, „Mission:Impossible“ und „Star Trek“, die allerdings nur schleppend anlief. Alle drei wurden Jahrzehnte später zu Kinofilmen bzw. Franchises, die Paramount produzierte. Ball hatte ihre Firma 1967 für 17 Millionen an Gulf and Western verkauft (ein Gewinn von 16 Millionen gegenüber ihrer ursprünglichen Investition), die seinerzeit auch gerade Paramount erworben hatten. Als mein Freund Robert Osborne einmal eine Führung für mich auf dem Studiogelände machte, zeigt er mir auch das ehemalige back lot von RKO, das dazu gehörte. Für ihn hatte es eine ganz besondere Bedeutung. Als junger Mann stand er unter Vertrag bei Desilu und hoffte auf eine große Schauspielerkarriere. Ball jedoch gab ihm den gescheiten Rat, er solle besser schreiben. Damit stieß sie seine Karriere als Journalist an, in deren Verlauf er Kolumnist beim „Hollywoood Reporter“ und schließlich das Gesicht von Turner Classic Movies werden sollte.

Was für eine kluge Geschäftsfrau und Schauspielerin sie war, kann man in „Being the Ricardos“ entdecken, der unlängst auf „One“ lief und noch für eine Woche (bis zum 17. 12.) in der Mediathek der ARD abrufbar ist. Ich empfehle die Originalversion, denn Aaron Sorkins Biopic birst vor Wortwitz. Übrigens eine Produktion von MGM, die inzwischen Amazon gehören. In den USA hatte sie anscheinend einen kurzen Kinostart, bevor sie ins Streaming ging. In rasantem Tempo umreißt Sorkin eingangs das Phänomen „I Love Lucy“: in einer Zeit, in der eine erfolgreiche TV-Show zehn Millionen Zuschauer hatte, lockte die Sitcom 60 Millionen vor den Bildschirm; Geschäft schlossen früher und der Wasserverbrauch ging merklich zurück, wenn allwöchentlich eine Folge ausgestrahlt wurde. Die Serie brach nicht nur Rekorde, sondern auch mit Tabus: Arnaz stammte aus Kuba, er und Ball bildeten das erste TV-Ehepaar, das nicht nur WASP war.

Sorkins Drehbuch konzentriert sich auf eine Produktionswoche im Jahr 1953, die am Montag mit der Lektüre des Drehbuchs beginnt und am Freitag mit der Aufzeichnung der Show endet. Er packt gleich ein ganzes Bündel Fernseh-, Zeit- und Ehegeschichte in diese Arbeitswoche. Sie lässt sich dramatisch an. Lucille (Nicole Kidman) hat gerade einem Klatschblatt entnommen, dass Desi (Javier Bardem) sie mit einem blonden Starlet betrogen haben soll. Ein heftiger Streit bricht aus, der in ein turbulentes Tête-à-tête auf dem Sofa führt („So waren Desi und Lucy eben“, erinnert sich eine Stammautorin, „entweder sie rissen sich den Kopf ab oder die Kleider vom Leib.“), das brüsk unterbrochen wird, als Walter Winchell im Radio verkündet, Ball sei eine Kommunistin, die vor dem Senatsausschuss für unamerikanische Umtriebe ausgesagt habe. Im Verlauf der stürmischen Woche kündigt das Paar dem Sender und dem Sponsor an, dass Lucille ein Kind erwartet und ihre Schwangerschaft in die kommenden Drehbücher hineingeschrieben werden soll. Das stößt auf erbitterten Widerstand: „You can't have a pregnant woman on television!“ - „Why?“- Because it's television!“. Nebenbei erzählt Sorkin also auch noch ein Kapitel Sittengeschichte.

Konzentriert trifft es ohnehin nicht, denn er fügt etliche Rückblenden ein: zur ersten Begegnung des Paares auf dem Set eines RKO-Films, ihren chronischen Ehestreits und Balls Hadern mit ihrer Filmkarriere. Dass ihre Filmarbeit stets kleingeredet wird, gefällt mir gar nicht. Sie war eben nicht nur eine B-Movie-Königin, sondern zuerst eine exzellente Nebendarstellerin, glänzte in Ensemblefilmen wie „Stage Door“, „Five came back“ und dem großartigen „Dance, girl, dance“ von Dorothy Arzner; nach dem Rauswurf bei RKO avancierte sie in „The Dark Corner“ und „Lured“ zu einer hervorragenden Filmnoir-Heroine. Gleichviel, Sorkin nimmt es mit der historischen Chronologie ohnehin nicht so genau.

Er ist ein Autor, dessen Ehrgeiz leicht überschätzt werden kann, der gern eitel mäandert und der eigenen Brillianz zumal in seinen Regiearbeiten ein Denkmal zu setzen versteht. Manchmal kommt er mir vor wie ein Artist im Zirkus, der seinem Publikum zuruft: „Seht her, ich jongliere mit fünf Bällen und lasse keinen fallen.“ Hier funktioniert der Trick ziemlich gut, denn er schreibt über die eigene Branche. Die Serienautoren und Co-Stars sind wahnsinnig gewitzt, sie überbieten sich an Smartness, jeder führt stets den passenden Einzeiler im Munde. Mitunter schadet das den Szenen, denn er verschenkt die emotionalen Höhepunkt, weil auf die Schlusspointe unweigerlich noch eine folgt.

Vom Narzissmus handelt freilich auch der Film. Aber im Gegensatz zu Sorkin besitzt Lucille Ball ein untrügliches Gespür fürs Timing. Diese Komödiantin kann ihren Einfällen und ihrer Intuition vertrauen. Auf dem Set ist sie eine Perfektionistin, die an den Nerven aller Beteiligten zerrt. Unter der Woche ist der Feierkopf schlecht gelaunt, kein Wunder, aber ihr Versprechen gilt: „I'll be funny on friday“ Kidman bekommt ihre Entschlossenheit und Professionalität gut hin, Balls Temperament und Wärme liegen ihr nicht ganz so sehr. Als feministische Heroine taugt diese Lucille Ball nur bedingt, eigentlich hat sie die Serie nur aus der Taufe gehoben, um ihre Ehe zu retten. Bardem ist ein energischer Sparringspartner in diesem Gefecht der Alphatiere: Desi lässt sich von niemandem zum Narren halten. Beide gehen in die Offensive, keiner gibt nach und am Ende haben beide Recht. Sorkin inszeniert das als Kaskade der geforderten und erbrachten Liebesbeweise. Alles in allem eine rasante Ehegeschichte.

Das war eine andere Epoche, gewiss., mit ihren eigenen Geschlechterrollen. Aber die Zeitgeschichte spielt mit. Das gesellschaftliche Klima wird spürbar, auch im Mikrokosmos am Set. Die Anspannung, die hier herrscht, reißt mit. Es ist wie ein kollektives Fieber, das auf das Gelingen drängt: komme, was da wolle. Sorkins Film ist eine Hymne an seine Protagonisten und das professionelle Ensemble, das sie umgibt. Am Ende bekommt man Lust, sich sämtliche 180 Folgen von „I love Lucy“ anzuschauen. Na, vielleicht nicht alle. Bob Osborne hätte mir raten können, welche. Er wuchs mit der Serie auf. Ich erinnere mich noch genau, mit welchem Adjektiv er Lucille Balls Figur beschrieb: ditzy. Ein hübsches Wort, vor allem, weil es kein Synonym für silly ist.

 

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