Franz Rogowski: Kantig, aber mit Gefühl

Frank Rogowski in »Luzifer« (2021). © Drop-Out Cinema

Frank Rogowski in »Luzifer« (2021). © Drop-Out Cinema

Der Schauspieler Franz ­Rogowski hat eine ganz ­eigene Art von Leinwand­präsenz. Jetzt zu sehen in dem Bergdrama ­»Luzifer«. Ein Porträt von Alexandra Seitz

Er erweckt ein wenig den Eindruck, als wäre er aus der Zeit gefallen. So als brächte er seine eigene Welt mit und müsste sich jetzt wundern über die, in der er gelandet ist. Umgekehrt wissen auch die, unter denen er sich nun wiederfindet, oft nicht genau, was sie von ihm halten und wie sie mit ihm umgehen sollen. Er wirkt verschlossen und in sich gekehrt, einer, der von den Rändern her beobachtet und erst mal abwartet, keiner, der den Mittelpunkt besetzt, das Wort führt und die Tat an sich reißt. Und während man das noch denkt und ihn aus den Augenwinkeln beobachtet, da steht er auch schon im Zentrum und hat, mit seiner wortkargen Art, alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Was wohl wird er als Nächstes tun?

Figuren, die Franz Rogowski spielt, sind keine einfachen Gleichungen, die dafür sorgen, dass der Plot eines Films hübsch aufgeht. Diese Figuren tragen vielmehr dazu bei, dass es inmitten desselben einen unscharfen Flecken gibt, der Fort- wie Ausgang der Handlung offen hält. Sowohl die gefühlsbedingte Kernschmelze wie den gewalttätigen Ausbruch nimmt man ihm unbedingt ab. Doch weder das eine noch das andere ist Bedingung, und vorhersehbar ist es schon gar nicht. Denn da ist einer bei der Arbeit, den an der Schauspielerei die Charakterdarstellung ­interessiert, nicht die Gestaltung der Charge; die Chargen sucht man in Rogowskis Filmen vergeblich.­

Besondere und Sonderliche aber, ­Eigen­artige und Eigenwillige, solche, die aus der Reihe tanzen, und welche, die nicht hineinpassen, finden sich viele.

Der selbst gebastelte Superheld Lux zum Beispiel, der durch Marzahn streift und sich um die Abgehängten kümmert, weil er auf sein Herz hört – und der dann in die zynischen Marktmechanismen medialer Berichterstattung gerät und fast zermalmt wird (»Lux – ­Krieger des Lichts«, Daniel Wild, 2018). Der notgeil-getriebene Incel Thorben, der gemeinsam mit seinem Vater(!), einem ehemaligen Weiberhelden, hübschen jungen Frauen übergriffig auf den Wecker fällt, um endlich nichts zu erreichen außer seiner eigenen Selbstentwürdigung im pornografischen Stellungskrieg (»Fikkefuchs«, Jan Henrik Stahlberg, 2017). Der schweigsame Großmarktmitarbeiter Christian, der virtuos mit dem Stapler durch die Gänge kurvt, sich in die verheiratete Kollegin aus der Süßwarenabteilung verliebt und ihr zart Avancen macht – und der ihr, unglücklich verliebt, wie er ist, doch ein guter Freund wird (»In den Gängen«, Thomas Stuber, 2018). Der vorsichtige schwule Knastbruder Hans, der so lange und so oft eingesperrt wird, dass er die Freiheit, die in seinem Fall die Liebe bedeutet, am Ende hinter Gittern findet, oder wenigstens eine von Wärme und Vertrauen getragene Bindung (»Große Freiheit«, Sebastian Meise, 2021).

Ganz gleich, ob wild erfunden, satirisch überspitzt, mitten aus dem Leben gegriffen oder stellvertretend konzipiert – um jede dieser Figuren ist eine Aura, die sie vertieft, die ihnen Vergangenheit und Geschichte gibt, die nicht erzählt werden, und die ein Innenleben mitschwingen lässt, das nicht zur Sprache kommt, sondern sich zeigt: die bedingungslose Mitmenschlichkeit von Lux; die tiefe Einsamkeit von Thorben; Christians Sehnen nach einem Zuhause; Hans' Begehren, endlich er selbst zu sein.

Aktuell stellt Franz Rogowski in Peter Brunners faszinierendem Brocken »Luzifer« den fast sprachlosen Johannes dar, der mit seiner Mutter zusammen hoch oben am Berg in einer Almhütte lebt, wo die beiden zwischen naturmagischen Praktiken und christlichem Fundamentalismus nach ihrem Seelenheil stochern und schließlich verloren gehen. In einem Interview bringt Rogowski sein Spiel folgendermaßen auf den Punkt: »Ich denke, dass in dem Weniger-Sprechen für mich oft ein größerer poetischer Raum entsteht und ich immer eine gewisse Frustration empfinde, wenn meine Figur erklärt, wer sie ist, wo sie herkommt, wo sie hingeht . . . wenn sozusagen der Plot seine Bedürfnisse entlädt. Viel spannender finde ich es, Figuren so zu spielen, dass sie eine Würde behalten. Und für mich hat diese Würde eben konkret damit zu tun, dass ein Körper seine Identität nicht erklären muss, sondern sein Geheimnis für sich wahren kann.«

»Uns geht es gut« (2015). © X-Verleih

Die Unzulänglichkeit der Worte und die Beredsamkeit des Körpers. Ein Gedanke, der etwas ins Verhältnis setzt, das bei der Frage nach dem Spezifischen von Rogowskis künstlerischer Arbeit weiterhilft. Von außen gesehen ist da also zunächst einmal eine etwas eingedellte und leicht seitlich verschobene Nase, die natürlich die Assoziation wachruft, dass da einer kampferprobt ist. Dazu kommen die breiten Schultern, die Oha!-Armmuskulatur, der Gesamteindruck eines drahtigen Leibes, der einiges aushalten kann und natürlich dementsprechend austeilen. Vielleicht verdankt sich auch die Narbe, die von der Nase über die Lippe verläuft, einer handgreiflichen Auseinandersetzung? Kein stromlinienförmiges Gesicht jedenfalls und eine ziemlich charakteristische Physiognomie, die gemeinsam eine Typecasting-Falle hinter sich herschleppen: gewaltaffine Ganoven oder vor sich hin brütende, jederzeit explosionsbereite, ­toxisch-männliche Pulverfässer – darauf eine Karriere aufzubauen, wäre ein Leichtes gewesen.

Das hätte dann aussehen können wie Tubbie in »Uns geht es gut« (Henri Steinmetz, 2015), Anführer einer kleinen Horde von Herumtreibern und Bedrohlichkeit aus jeder Pore dünstend. Tubbie bewegt sich durch die seltsam bröselig-brüchige Mixtur aus somnambul zerdehnten Genreelementen, die dieser leider etwas unterschätzte Film ist, wie das sprichwörtliche offene Messer; und unvermeidlich kommt es zur Gewalttat und zu einem beinah unerträglichen Ausbruch. Den Rogoswki dann höchst irritierend wendet, insofern nämlich, als Tubbie den alten Mann, der seiner Wut in die Quere kam und auf den er eben noch bis zur Erschöpfung eingeprügelt hat, Rotz und Wasser heulend mit Küssen der Reue bedeckt. In der Figur des Tubbie und in dieser Szene ist verdichtet, was Rogowskis Schauspielerei letztlich ausmachen wird: ein unermüdliches Erkunden der flirrenden Zone zwischen Härte und Zartheit, Abweisung und Öffnung, Verbergen und Entblößen.

Denn Rogowskis kraftvoller Körper verdankt sich nicht dem Boxtraining, sondern einer Ausbildung zum Tänzer, und die Narbe in seinem Gesicht ist keinem Schlag, sondern der Operation einer Lippenspalte ­geschuldet, ebenso wie sein Lispeln, das der eher leisen Stimme ein sanftes Timbre verleiht. Sanft ist zumeist auch der Blick aus den grünen Augen, oft wirkt er scheu, dieser Blick, und damit der ganze Mann auf der Hut. Man kann sich unschwer vorstellen, dass da einer immer wieder den Spott der Umwelt zu ertragen hatte und die Vorsicht gelernt hat.

»Love Steaks« (2013). © daredo media

Offenbar hat aber Franz Rogowski, der am 2. Februar 1986 in Freiburg im Breisgau als Sohn eines Kinderarztes und einer Hebamme geboren wurde, irgendwann beschlossen, auf die Vorsicht zu pfeifen und in die Offensive zu gehen. Er hat die Schule abgebrochen, sich in der Folge als dies und das und jenes versucht – der Legende nach auch als Straßenmusikant in Berlin – und trat ab 2007 schließlich in der freien Theaterszene als Tänzer, Choreograph und autodidaktischer Schauspieler in Erscheinung. Die Verletzlichkeit ist dennoch immer präsent; selten als Panzer, der die Außenwelt abwehrt, eher als jederzeit möglicher Sprung in die Deckung.

Clemens Pollozek ist so ein Tänzer über dem Abgrund der Angst, der ganzheitlich ausgebildete schüchterne Masseur, den Rogowski 2013 in »Love Steaks« von Jakob Lass auf die rutschigen Fliesen eines Wellness-Hotels legt, dass die Wände wackeln. Clemens bekommt es mit der Jungköchin Lara zu tun, die das glatte, nassforsche Gegenteil von ihm ist und noch dazu säuft. Aus der funkensprühenden Kollision der beiden Improvisationstalente Rogowski und Lana Cooper entwickelt sich der Liebesfilmkracher des Jahres und ein zentrales Werk des German Mumblecore; beim Filmfest in München mit gleich fünf Förderpreisen ausgezeichnet, darunter selbstverständlich die beiden für bestes Schauspiel. Zwei Jahre später spielt Rogowski in Sebastian Schippers »Victoria« die Figur, deren Dilemma ursächlich ist für das in der Folge sich entwickelnde Drama. »Victoria« zählt zu den ganz großen Filmen der Dekade, weniger weil er in einer einzigen Einstellung gedreht wurde, sondern vielmehr weil jede der 138 Minuten dieser einen Einstellung vor Energie schier zerbersten will. So etwas hatte man im Kino schon lange nicht mehr gesehen. Als also Rogowski 2018 zum European Shooting Star gekürt wurde, war er bereits kein vielversprechender Newcomer mehr, sondern schon voll da. Er hatte an renommierten deutschen Bühnen unter anderem in Hamburg und Berlin gearbeitet, war Mitglied des Ensembles der Münchner Kammerspiele, hatte an der Seite von Isabelle Huppert gespielt (in Michael Hanekes »Happy End«, 2017) und für Terrence Malick (»A Hidden Life«, 2016) gedreht; zudem war er im Wettbewerb der damaligen Berlinale mit gleich zwei Filmen vertreten: »In den Gängen« und »Transit«, Christian Petzolds ins Marseille der Gegenwart versetzte Adaption des 1948 erschienenen gleichnamigen Exilromans von Anna Seghers. Der erste brachte ihm den Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller ein, und der zweite brachte ihn an die Seite von Paula Beer.

Dass zwischen zwei Schauspielern die Chemie stimmt (oder nicht) ist eine griffige Formel, wenn es um die überzeugende Wirkung einer dargestellten Beziehung geht. Zwischen Paula Beer und Franz Rogowski stimmt nun nicht nur die Chemie, die beiden teilen auf der Leinwand ein warm füreinander schlagendes Herz; und in ­Rogowski erblüht das Potenzial des tragischen romantisch Liebenden. Denn sie finden nicht zueinander. In Transit kann sich Beers Marie nicht dazu entschließen, von ihrem verschollenen Mann zu lassen, und Rogowskis­ Georg sieht keine Möglichkeit, sich ihr gegenüber zu offenbaren. Und auch in »Undine«, Petzolds moderner Fassung der Sage vom gleichnamigen Wasserwesen, in der Beer und Rogowski 2020 erneut miteinander spielen, ist ihren Figuren kein gemeinsames Glück beschieden: Industrietaucher Christoph verliert die geliebte Stadthistorikerin Undine an den ­unergründlich tiefen See. Und so unendlich traurig das auch ist, so wunderbar schlüssig ist es doch gespielt.

Im Jahr darauf feiert Franz Rogowski an der Seite von Georg Friedrich, der ja auch so ein ganz spezieller Charakterschädel ist, in dem auf drei Zeitebenen operierenden Gefängnisdrama »Große Freiheit« international einen Riesenerfolg. In einem Raum, der durch die Schroffheit seiner Insassen determiniert ist, lotet er alle Möglichkeiten von Zartgefühl und Kontaktaufnahme aus. So wie in »Luzifer«, wo Rogowski Freundschaft mit einer etwas älteren Adlerdame namens Arthur schließt. Er ist der Grenzwanderer, er gibt sich preis, und das letzte Wort hat ohnehin immer der Körper.

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