Mubi: »Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt«

© MUBI

2023
Original-Titel: 
Nu astepta prea mult de la sfârsitul lumii
Heimkinostart: 
03.05.2024
V: 
L: 
164 Min
FSK: 
Ohne Angabe
Alles geht, nichts passt

Der Wecker klingelt schon brutal früh bei Angela (Ilinca Manolache). Lustlos kriecht die junge, trotzdem schon etwas verlebt aussehende Frau aus dem Bett. Vor ihr liegt einmal mehr ein Arbeitstag, der gut und gern zwanzig Stunden umfassen kann. Übermüdet und gereizt quält sie sich durch den zähflüssigen Verkehr von Bukarest. Permanent angehupt von Männern, die meinen, die toughe Blonde am Steuer könne nicht Autofahren.

Radu Jude, 2021 Gewinner des Goldenen Bären der Berlinale mit »Bad Luck Banging or Loony Porn«, begleitet in seinem neuen Film die Produktionsassistentin einer Filmfirma. Ihr Job: Für einen Imagefilm soll sie Protagonisten ausfindig machen, die nach einen selbst verschuldeten Unfall am Arbeitsplatz an den Rollstuhl gefesselt sind. Eindringliche Schwarz-Weiß-Bilder führen dabei die Tristesse heruntergekommener Plattenbauten vor Augen. Allein schon die gut beobachteten Gespräche mit Menschen, die auf unterschiedliche Weise vom Leben gezeichnet sind, liefern eigentlich mehr als genug Stoff. Doch diese Begegnungen bilden nur den Rahmen einer kaleidoskopartigen Verklammerung von Spielfilm, experimentellem Essay und politischem Kommentar zur gegenwärtigen Situation in Rumänien.

Die erste Brechung entsteht durch eingestreute Zitate aus »Angela merge mai departe« (Angela geht weiter), ein rumänischer Film von Lucian Bratu aus dem Jahr 1982 über eine Taxifahrerin. Ständig muss sie sich von ihren Fahrgästen anhören, dass dieser Job nichts für sie ist. Für weitere Irritation sorgen kurze Clips, die die heutige Angela auf ihrem Social-Media-Account postet, auf dem sie 120 000 Follower hat. Im trashig überzeichneten Stil eines Andrew Tate gibt sie dabei eine Karikatur toxischer Männlichkeit.

Wie eine Wundertüte hält der sich selbst dekonstruierende Film stets neue Überraschungen parat. So trifft Angela in einem Studio auf Uwe Boll. Der berüchtigte Trashfilmer spielt sich selbst. Indirekt promotet er so ein Video, in dem zu sehen ist, wie er gegen ihn antretende Filmkritiker im Boxring niederschlägt. Autsch. Von Spannungsdramaturgie hält Radu Jude nicht viel. Dennoch spitzt die Situation sich zu, als in einem Gastauftritt Nina Hoss erscheint. Die auf den Namen Goethe hörende Marketingchefin einer österreichischen Firma überwacht den Dreh besagten Imagefilms über die Arbeitsunfälle. In einer gefühlt endlosen Plansequenz muss der leidgeprüfte Protagonist seine traurige Geschichte so oft wiederholen, bis sie den wirren Vorstellungen des Auftraggebers entspricht.

Passt das alles zusammen? Muss es überhaupt zusammenpassen? Ohne eine Antwort zu erhalten, bleibt man dran an diesem herrlich schrägen Film. Diesem Regisseur, so viel ist sicher, redet niemand hinein. So gelingt ihm, ohne dass man es schlüssig erklären könnte, eine knapp dreistündige Tour de force, die in keine Schublade passt und komischerweise keine Minute langweilig ist. Zu einem nicht unbedeutenden Teil liegt das an der faszinierenden Präsenz von Ilinca Manolache als unprätentiöse Heldin der Arbeit.

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