Kritik zu In den Gängen

© Zorro Film

Lebensgefühl eines Supermarkts: Thomas Stuber verfilmt zum dritten Mal eine Vorlage von Clemens Meyer – eine Hommage an die kleinen Momente des Glücks, der Hoffnung, der Energie

Bewertung: 5
Leserbewertung
4.666665
4.7 (Stimmen: 3)

»Bist ja ne richtige Tratschtante!«, sagt Marion von den Süßwaren zu Christian, dem Frischling von den Getränken: »Da kommt man ja überhaupt nicht zu Wort.« Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass nicht viel passiert, was sich zerreden ließe, in den Gängen eines Großmarkts, irgendwo im Ödland der deutschen Provinz. Stattdessen herrschen stoischer Gleichmut und stilles Einverständnis in dieser eingeschworenen Gemeinschaft. Es geht um den einfachen Arbeitsalltag in diesem Großmarkt, um eine Schar von Angestellten, die hier die Regale einräumen, mit Gabelstaplern Waren durch die labyrinthischen Gänge transportieren und Paletten aus meterhohen Regalen lüpfen. Klingt unspektakulär, ist aber alles andere als das.

Als Zuschauer wird man zusammen mit Christian, dem Neuen, in diese Welt eingeführt, ins reibungslose Ineinandergreifen der Zahnrädchen des Alltags, in die fließende, fast tänzerische Choreografie immer ­wiederkehrender Verrichtungen, all die kleinen Bewegungsabläufe, den blauen Arbeitskittel überstreifen, die Stifte in die Brusttasche und den Cutter in die Seitentasche gleiten lassen, die Ärmel über die Tattoos ziehen, die hier nicht so gern gesehen werden, im Herausgehen noch ein kurzer, prüfender Blick in den Spiegel, auf dem geschrieben steht: So sehen dich die Kunden. Franz Rogowski, der sich quasi darauf spezialisiert hat, wortkargen Helden wie Christian in die Seele blicken zu lassen, erwidert diesen Blick hier nur scheu, mit gesenkten Augen und in geduckter Haltung. Umso schöner ist es, wenn er seine stoische Geschäftigkeit unterbricht, um durch die Regale mit Getränkekästen und Süßwarendosen hindurch einen Blick auf Marion (Sandra Hüller) zu erhaschen, die im nächsten Gang den Gabelstapler lenkt. Dieser Moment ist der Anfang einer verhaltenen Liebesgeschichte, in der die anderen Angestellten wie Paten fungieren.

»In den Gängen« bietet einen intimen Einblick in die Abläufe eines Arbeitsplatzes und in die Gemeinschaft, die ihn zusammenhält. Nur drei Schlenker macht der Film nach draußen, drei kleine Exkursionen ins Leben von Christian, der sich in einer kleinen dunklen Wohnung nach der nächsten Be­gegnung mit Marion sehnt, von Marion, die in einem schön eingerichteten, hellen Haus unglücklich verheiratet ist und von Bruno, der sich durch die Fenster seines heruntergewirtschafteten Gartenhäuschens mit den vorbeifahrenden Lastwagen nach der Freiheit der Straße sehnt. In wenigen Augenblicken sind hier ganze Lebensgeschichten skizziert.

Zum dritten Mal, nach dem Kurzfilm »Von Hunden und Pferden« und dem Spielfilm »Herbert« verfilmt der Leipziger Drehbuchautor und Regisseur Thomas Stuber eine Kurzgeschichte des aus Halle stammenden Autors Clemens Meyer. Auf berückend wahrhaftige Weise gehen die beiden gemeinsam dem Lebensgefühl Ost auf den Grund, ohne daraus eine klamme Milieustudie zu machen. Ganz ähnlich wie Sean Baker in »The Florida Project« den White Trash-Existenzen am Rande von Disneyland, schenkt nun auch Stuber den Arbeitern im Großmarkt aller Wahrhaftigkeit zum Trotz auch eine sanfte Überhöhung. Eine liebevolle Zärtlichkeit des Blicks, die das Einfache besonders macht und auch Menschen in eher traurigen Lebensumständen ihre Würde lässt. In jedem Leben gibt es kleine Momente des Glücks, der Hoffnung, der Energie, man muss sie nur sehen können. Schon der erste Blick auf die Brachlandschaft vor dem Großmarkt, mit der Autobahn am fernen Horizont, wirkt auf dezente Weise magisch, allein durch das besondere Licht, das hier am sehr frühen Morgen herrscht, wo sich das Restglühen der Straßenbeleuchtung mit dem ersten Schimmer des Morgenrots verbindet. Man könnte das alles auch grau, hart, kalt und fahl aussehen lassen, und schon wäre man mittendrin in den bekannten Ost-Klischees, in der Verzweiflung und Resignation der Abgehängten und Wutbürger. Hier dagegen werden die einzelnen Menschen mit ihren Schicksalen greifbar, mit ihren Gefühlen, ihren Hoffnungen und ihrer Resignation.

Meinung zum Thema

Kommentare

1. Genialer Soundtrack- 2. Liebe und Tod treffen Jeden-
3. Kaum ein Film kam bisher mit so wenig Worten aus - 4. Mensch ist Mensch egal was auf dem Kontoauszug steht- 5. Menschen mit Niedriglohn dürfen auf keinen Fall, Waren die weg geworfen werden verwenden- Kündigung- 6. Gabelstaplerfahrer sind Helden- 7. Wenn die Gabel ganz langsam herunter fährt, hört man das Meer :-) 8. Es ist nie wie es aussieht- 9. Es gibt Chefs die Jedem zum Feierabend die Hand reichen- 10. Es gibt Filme die nachhallen

super auf den punkt gebracht! Danke!

Ich wollte, nachdem ich gestern den Film gesehen habe, etwas dazu schreiben. Aber schöner als du hätte ich es nicht sagen können. Danke!

Habe den Film in Frankreich gesehen. Wundervoll zu sehen das man auch mit wenig Worten auskommt und die Gestik der Schauspieler alles sagen kann .Glückwunsch zum 2 Platz auf der Berlinale

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