Venedig: Die Rolle des Zufalls

»Coup de chance« (2023)

»Coup de chance« (2023)

Woody Allen wird bejubelt, Sofia Coppola zeigt einen desillusionierten Blick auf Elvis und David Fincher kann mit »Killer« nicht ganz überzeugen.

Wer daran zweifelte, ob Festivaldirektor Alberto Barbera sein Publikum in Venedig richtig einschätzte, als er Woody Allen mit seinem neuen Film »Coup de chance« einlud, fand sich lautstark widerlegt: Der Name des 87-Jährigen, in seiner Heimat USA wegen Jahrzehnte alter Vorwürfe in Ungnade gefallen, wurde am Lido schon zu Beginn in den Credits heftig beklatscht.

Die Ovation im Anschluss an die Premiere unterbrach der Regisseur aus New York selbst vorzeitig, in dem er sichtlich bewegt den Saal verließ. Die Reaktionen auf »Coup de chance«, Allens 50. Kino- und ersten französischsprachigen Film, waren enthusiastisch. »Das ist der Woody Allen, den wir lieben!«, war vielerorts zu hören; es sei sein bester Film seit Jahren.

»Coup de chance« variiert ein Thema, das Allen in »Matchpoint« oder »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« schon durchgespielt hat: Was, wenn ein Mann mit Mord davonkäme? Wo in den früheren Filmen die Krisenbewältigung und die Karriere nach der Tat im Vordergrund standen, untersucht Allen diesmal die Rolle des Zufalls.

Zufällig begegnen sich in Paris Fanny (Lou de Laâge) und Alain (Niels Schneider) wieder. Einst haben sie gemeinsam eine französische Schule in New York besucht; nun führt Fanny an der Seite des reichen Geschäftsmanns Jean (Melvil Poupaud) ein luxuriöses Großstadtleben und Alain lebt als Schriftsteller-Bohemien in einer kleinen romantischen Dachwohnung. Absehbar entwickelt sich ihre Affäre stürmisch. Fanny will ihren Mann verlassen. Aber dann verschwindet Alain spurlos. Hat Jean etwas damit zu tun? In einer der vielen raffinierten Wendungen ist es ausgerechnet Fannys krimi-besessene Mutter Aline, die Verdacht schöpft – wobei der Zufall erneut die Oberhand behält.

Mit einem Humor, der völlig ohne Klamauk oder Slapstick auskommt und sich ganz aus dem trockenen Rhythmus der Dialoge und Situationen im flotten Erzähltempo ergibt, liefert »Coup de chance« so etwas wie Woody Allen in Essenz. Der Film, in Venedig außerhalb des Wettbewerbs vorgestellt, hinterlässt jedenfalls den Wunsch, er sei doch nicht, wie von Allen angedeutet, sein letzter.

Im bislang von Altmeistern und Männerthemen dominierten Wettbewerb feierte mit Sofia Coppolas »Priscilla« endlich ein Film mit dezidiert weiblicher Perspektive Premiere. In starkem Kontrast etwa zu Baz Luhrmanns letztjährigem musical-haften Biopic »Elvis«, zeigt Coppola das Private, Stille, den introvertierten Teil eines Lebens, das nach außen so glamourös blendete. Wie schon Priscilla Presley selbst in ihrer Autobiografie »Elvis and Me« versucht Coppola, die Geschichte einer Desillusionierung zu erzählen, ohne das Objekt der Enttäuschung, den Mann Elvis, anzuklagen.

Ihr Film betont, wie jung – erst 14 Jahre alt – Priscilla (Cailee Spaeny) war, als ihre Beziehung zu dem zehn Jahre älteren Rockstar im Umfeld der US-Armee in Wiesbaden begann. Er stellt heraus, dass ihre Verbindung in den ersten Jahren nicht auf Sex beruhte, sondern auf der gegenseitigen kindlichen Komplizenschaft zweier Menschen, die sich verloren fühlten.

»Priscilla« vermeidet das Sensationsheischende, retrospektiv Anklagende und schildert stattdessen eine Mädchenwelt, die mit der vermeintlichen Erfüllung eines Traums beginnt und mit allmählicher Ernüchterung endet. Durchweg bleibt der Film bei Priscillas Sicht und Coppola erweist sich dabei erneut als Meisterin in der Darstellung der Leere und Ödnis eines privilegierten Lebens. 2010 gewann Coppola in Venedig mit »Somewhere« den Goldenen Löwen; für »Priscilla« scheint eine weitere Auszeichnung, vielleicht eher für Regie, möglich.

Weniger Begeisterung als erwartet erntete David Fincher für seinen Film »The Killer«. Dazu trug sicher bei, dass Michael Fassbender in der Titelrolle wegen des Hollywood-Streiks die Premiere nicht begleiten konnte. Aber wo die erste Stunde mit der minutiösen Schilderung einer Profession fesselt, enttäuscht die zweite Hälfte durch die üblichen Virtuoso-Duell-Situationen, in der ein Auftragsmörder gegen den anderen antritt. Wo Finchers Action-Inszenierung sonst mit raffinierten Spiegelungen und doppeltem Boden glänzt, bewegt er sich diesmal auf scheinbar allzu vertrauten Terrain.

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