Venedig: Nasenprothesen und brennende Städte

»Maestro« (2023). © Jason McDonald/Netflix

»Maestro« (2023). © Jason McDonald/Netflix

Der dritte Tag auf dem Lido stand, zumindest was die Filmtiteln anging, im Zeichen der Musik. An diesem Tag feierten Bradley Coopers Leonard Bernstein-Biopic »Maestro« – ja, hier ging es auch um Musik – und Stefano Sollimas »Adagio« Premiere. Der Thriller hatte mit der akustischen Kunst, auch wenn der bebende Soundtrack eine wesentliche Rolle spielt, wenig zu tun.

Schon vor dem Festival war um »Maestro« eine hitzige Diskussion entbrannt: Ist es legitim, dass sich der nicht jüdische Regisseur und Schauspieler Bradley Cooper eine Nasenprothese anlegt, um in seinem Film den jüdischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten Leonard Bernstein zu verkörpern? 

Die Kritiker sprachen von »Jewfacing«, Cooper bediene in seiner Netflixproduktion eine stereotype Darstellung, anstatt einen jüdischen Schauspieler für die Rolle zu besetzen. Andere wiederum argumentierten, dass das Wesen der Schauspielerei die kulturelle Aneignung sei und Coopers Vorgehen damit gerechtfertigt. Zumal sich die Kinder des 1990 verstorbenen Bernstein hinter Cooper stellten.

Auf welcher Seite man sich auch wähnt, nach dem Film stellt sich dennoch die Frage: Warum überhaupt diese Prothese? Coopers Ansinnen liegt auf der Hand, geht aber nicht ganz auf: Er will sich ganz unverhohlen für die Award-Season bewerben und legt deshalb großen Wert auf ein möglichst perfektes Imitat des Maestro. Es hat schon etwas irritierend Selbstverliebtes, wie er sich in seinem Film immer wieder in Großaufnahmen in Szene setzt. Anderseits passt es zu seinem Biopic, das Fragen stellt zum Geniekult und diesen reproduziert. 

So konventionell, wie von vielen kritisiert, ist der Martin Scorsese und Steven Spielberg mitproduzierte Film allerdings nicht. Anstatt sich klassisch an Lebensstationen und Bernsteins Werk abzuarbeiten, konzentriert sich »Maestro« vor allem auf sein Verhältnis zu seiner Frau, der chilenischen Schauspielerin Felicia Montealegre (Carey Mulligan). Das Paar erscheint im Film wie füreinander geschaffen, verbunden durch ein unsichtbares Band.

Mit teils assoziativen Montagen und Musicaleinlagen erzählt der gerade in der ersten Hälfte sehr dynamisch inszenierte Film davon, wie die Ehe der beiden über die Jahre von Bernsteins Arbeit, für die Felicia sich immer weiter dem Privaten widmet, und dessen homosexuellen Affären strapaziert wird. Eine beiläufige Szene des Films visualisiert eine seiner Kernaussagen. Dort steht Felicia auf einer Bühne, während das Schattenspiel ihres dirigierenden Mannes über sie tanzt: die Frau im Schatten ihres berühmten Mannes. Cooper feiert das Genie und doch ist Carey Mulligan der eigentliche Star des Films.

»Adagio« wiederum war einer jener Film, bei denen man sich unweigerlich fragen musste: Warum läuft er im Wettbewerb?

Während die Wälder vor Rom bedrohlich am Nachthimmel brennen, entspinnt sich in Solimas Film ein brutales Krimidrama um den sechzehnjährigen Manuel (Gianmarco Franchini), der in kriminelle Mühlen gerät. Manuel wird erpresst und soll in einem drogeninduziertem Club Maulwurf spielen und Fotos machen, flieht aber. Als die Erpresser ihm an den Fersen kleben, wendet sich der Junge zum Schutz an zwei ehemalige Kriminelle, alte Bekannte seines Vaters.

Stefano Sollimas Film kann inhaltlich nicht mit der überzeugenden Inszenierung mithalten. Einsilbige, charakterlose Männer schlagen und erschießen sich. Ein dumpfer Versuch, von den dunklen Seiten und dem Verfall einer Stadt zu erzählen.

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