Venedig: Unheimliches in Schwarzweiß

Yorgos Lanthimos am Set von »Poor Things« (2023). © Walt Disney

Yorgos Lanthimos am Set von »Poor Things« (2023). © Walt Disney

Beim Filmfestival von Venedig feiert ein deutscher Film Premiere. Außerdem begeistert Yorgos Lanthimos mit »Poor Things«, und Bradley Coopers »Maestro« glänzt in Abwesenheit seiner Macher

Nur zwei der 23 Filme im diesjährigen Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig stammen von Regisseuren, die jünger als 40 Jahre alt sind. Der deutsche Regisseur Timm Kröger, geboren 1985 in Schleswig-Holstein, ist einer von ihnen. Trotzdem fügt sich sein neuer Film, »Die Theorie von allem« nahtlos in den Retro-Trend des diesjährigen Festivals ein, dessen Filme sich bislang in Inhalt oder Stil allzu oft der Vergangenheit zuwenden. Kröger ist eine Entdeckung des Filmfestivals Venedig, das noch bis 9. September dauert: Sein Studienabschlussfilm »Zerrumpelt Herz« – ein im Jahr 1929 angesiedeltes Drama mit fantastischen Elementen – war 2014 in die »Woche der Kritik« eingeladen und positiv besprochen worden.

Die Handlung von »Die Theorie von allem« spielt in den frühen 60er Jahren. Der Film selbst greift mit Schwarzweiß-Fotografie, einem betont kulissenhaften Setting und entsprechender Musik Elemente des Film Noirs und des Paranoia-Thrillers der 40er- und 50er-Jahre-Kinos auf. Ein Physikprofessor Dr. Strathen (Hanns Zischler) nimmt seinen Doktoranden Johannes (Jan Bülow) mit zu einem Kongress, der in einem Hotel in den Schweizer Alpen stattfinden soll. Bereits im Zug dahin begegnen sie einem Kollegen, Professor Blumberg (Gottfried Breitfuss), der sich für die Doktorarbeit des jungen Kollegen interessiert. Johannes aber wird bald von der Bekanntschaft mit einer rätselhaften Frau (Olivia Ross) abgelenkt, die Dinge über ihn weiß, die er keinem erzählt hat. Dann wird Blumberg tot aufgefunden, und Johannes macht seltsame Beobachtungen rund um das alte Bergwerk, in dem bis einst nach Uran gegraben wurde.

Krögers Film greift die modische Idee des »Multiversums« auf, verpackt sie aber ganz in die strenge, das Unheimliche evozierende Filmsprache der Nachkriegsthriller. Als Stilübung originell und gelungen, wenn auch im Inhalt nicht ganz überzeugend, kann Kröger sich dennoch Chancen auf eine Auszeichnung durch die von Regisseuren dominierte Jury ausrechnen.

Die breiteste Zustimmung sowohl beim Publikum als auch der Kritik am Lido aber erfuhr bislang »Poor Things« vom griechischen Regisseur Yorgos Lanthimos. Durch Filme wie »Lobster« und »The Favourite« hat sich Lanthimos einen Namen als Spezialist für die Mischung aus Absurdem und schwarzem Humor erworben. Mit »Poor Things« steigert er das jetzt noch einmal.

Der Film ist eine Variation auf das Frankenstein-Motiv, nur dass das Monster eine Frau ist: Emma Stone spielt Bella Baxter, eine erwachsene Frau mit dem Gemüt eines schnell lernenden Babys. Ihr »Dr. Frankenstein« ist Godwin Baxter (Willem Dafoe), der im London des 19. Jahrhunderts an Menschen und Tieren operiert und im Fall von Bella eine erwachsene Selbstmörderin mit dem Gehirn ihres ungeborenen Kindes wiederbelebt hat. Was grausig klingt, wird unter Lanthimos' Regie zur schrägen Emanzipationskomödie. Der Humor des Films hält traditionellen Geschlechterrollen und Lebenszwängen eine grotesk-vergnügliche Spiegelung vor.

Zusammen mit »Poor Things« zählte auch Bradley Coopers »Maestro« über den Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein zu den heiß erwarteten Filmen dieser 80. »Mostra«. Cooper, der nicht nur Regie führte, sondern auch die Hauptrolle übernahm, konnte wegen des Streiks in Hollywood nicht anreisen. Sein »Maestro« vermag aber auch Prominenz zu strahlen.

Statt im herkömmlichen Stil eines Biopics die Karriere von Bernstein nachzuerzählen, bemüht sich Cooper in seinem Film um eine Annäherung an eine komplexe Persönlichkeit, deren Schwierigkeit unter anderem darin bestand, dass er so liebevoll zu allen war – eine Liebe, die kaum Grenzen kannte. »Maestro« ist das Porträt eines Narzissten mit großem Herzen.

Wie schon bei seinem Regieerstling »A Star is Born« (2018) greift Cooper konventionelle Filmformen mit so viel Enthusiasmus auf, dass daraus etwas Berührendes wird. Mit betonter Beiläufigkeit erzählt er vom Liebesleben Bernsteins und vermeidet dabei das schlagzeilenträchtige Labeling. Die Beziehung zur langjährigen Ehefrau Felicia (Carey Mulligan) wird zum Roten Faden des Films, trotz Bernsteins zahlreichen Affären mit Männern. Die Musik und Bernsteins ungewöhnliche Karriere als klassischer Dirigent und Musical-Komponist reduziert der Film auf den bloßen Hintergrund, im Zentrum steht ganz der nicht immer nur sympathische Mann und seine Gefühlswelt. Für einen Löwen, sei es Schauspiel oder Regie, kommt Bradley Cooper in jedem Fall in Frage, und auch ein vorderer Platz im Oscar-Rennen scheint ihm sicher.

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