Venedig: Kühltruhen voller Muttermilch

»Melk« (2023). © Emo Weemhoff, Lemming Film

»Melk« (2023). © Emo Weemhoff, Lemming Film

Auf einem Filmfestival ankommen ist immer etwas Besonderes. Schon lange vor der Hinfahrt kleben die Gedanken bei den Filmen und Fragen, die einen in den Festival-Tagen beschäftigen werden. Und dann ist er endlich da: Der erste Film, mit dem es in den Festival-Tunnel geht. 

Der darf gerne auch, wie in diesem Jahr mal wieder, völlig spontan und ungeplant sein. »Melk« hieß mein Einstieg, ein kleiner Debütfilm, der durch das Feingefühl für sein Thema überzeugt. Präsentiert wurde der Film in der eigenständigen Reihe Giornate degli autori, dem venezianischen Äquivalent zur Quinzaine des Réalisateurs in Cannes. 

Die niederländische Regisseurin Stefanie Kolk erzählt von einem Paar, das sein ungeborenes Kind verliert. Gleich in der ersten Filmszenen sitzen die beiden vor der Frauenärztin, Robin (Frieda Barnhard) mit totem Kind im Bauch, und werden über das Prozedere der Geburtseinleitung und darüber aufgeklärt, dass es dennoch zur Milchproduktion kommen kann. 

Um letzteres dreht sich dieses Debüt, denn Robin muss ihre Muttermilch abpumpen. Als sie es nicht mehr übers Herz bringt, die Milch in den Abfluss zu schütten – das Sounddesign macht Robins Qual dabei auch akustisch erfahrbar –, entschließt sich die Frau unter Zustimmung ihres Lebensgefährten (Aleksej Ovsiannikov), die abgepumpte Milch an andere Mütter zu spenden – eine neue Lebensaufgabe. Dementsprechend empfindlich reagiert sie, als sie die Milch aufgrund einer lange ausgestandenen Syphilis-Infektion nicht über den offiziellen Krankenhausweg spenden darf.

Robin tut alles für die Muttermilch, pumpt Fläschchen um Fläschchen voll und füllt damit ganze Kühltruhen. In jeder Filmsekunde manifestiert sich die Abwesenheit ihres verstorbenen Kindes darin. Wie damit umgehen? Robin tritt einer schweigenden Wandergruppe bei, die, ohne ein Wort zu sprechen, durch die Wälder streift. Berührende Szenen spielen sich bei der Gruppe ab. Jeder scheint eine Geschichte zu haben, erzählt werden diese allerdings ausschließlich über Blicke.

»Melk« entwirft aus der Perspektive der schweigsamen Frau das ruhige Porträt eines schweren Verlusts. Kolk erzählt ihren Film mit nüchternem Sozialrealismus, lässt aber auch leisen Humor zu und umkreist dadurch ihr Thema sehr menschlich. Die Regisseur sucht nicht das laute Drama, vielmehr ist »Melk« eine Meditation über einen langsamen Abschied.

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