Nahaufnahme von Rosalie Thomass

Die No-Nonsense-Frau
Almila Bagriacik, Rosalie Thomass und Marie Burchard in »Jagdsaison« (2022). © Tobis Film

Almila Bagriacik, Rosalie Thomass und Marie Burchard in »Jagdsaison« (2022). © Tobis Film

Rosalie Thomass hatte als Schauspielerin einen flotten Start – schon mit 17 bekam sie Preise. Profiliert hat sie sich in Marcus H. Rosenmüllers bayerischer Heimattrilogie. Jetzt ist sie mit zwei Filmen im Kino

»Ich dachte, wenn ich wohin fahre, wo ich sehe, wie schlecht es den Leuten geht, dass es mir dann besser geht«, sagt die deutsche Marie mitten in den Brachen des Atomkatastrophengebietes in Doris Dörries »Grüße aus Fukushima«. Und dann beginnt eine zarte Annäherung zwischen den Kulturen, zwischen einer alten Geisha-Meisterin aus Japan und dem jungen Clownmädchen aus Deutschland. Rosalie Thomass spielt diese Marie mit einer entwaffnenden Mischung aus ungestümem Trotz und aufmerksamer Hingabe, aus unverstellter Direktheit und burschikoser Erdigkeit – eine Kombination, die in gewisser Weise ihr Markenzeichen geworden ist. »Sie sind so elegant«, sagt sie zur alten Geisha, und die erwidert brummig: »Und du bist ein Elefant!«

Mit 1,80 Meter Größe und einer bäuerlichen Handfestigkeit im Auftreten blieben Rosalie Thomass die lieblichen Mädchenrollen von vornherein erspart. Mit hoher Stirn und markanten Wangen, mit großen, leuchtend blauen Augen, die ihr Gegenüber meist unverblümt direkt in den Blick nehmen, aber auch melancholisch werden können, mit einem mal sinnlichen, mal spöttischen Mund verbindet sie attraktive Schönheit mit natürlicher Frische und entwaffnender Unverstelltheit. Sie hat ein betont bayerisches Naturell, hat sage und schreibe neun Mundarten im Repertoire, Bayerisch und Münchnerisch natürlich, aber auch Berlinerisch, Badisch, Donauschwäbisch, Sächsisch und Wienerisch sind dabei.

»Grüße aus Fukushima« (2016). © Majestic Filmverleih

So wurde sie das No-Nonsense-Mädchen des deutschen Kinos, eine, die sich nichts gefallen lässt und kein Blatt vor den Mund nimmt, die hinter ruppigen Reaktionen immer eine empfindsame Seele durchschimmern lässt, die neugierig, impulsiv und anpackend aufs Leben reagiert, mit dem sie aber auch immer wieder hadert. »Ich möchte euch ein paar Dinge fragen, die mich beschäftigen«, sagt sie in »Grüße aus Fukushima«: »Oft gerate ich in Panik, wenn ich darüber nachdenke, welche Richtung mein Leben nimmt. Sehe ich richtig aus? Verdiene ich genug Geld? Bin ich glücklich?«

Geboren wurde Rosalie Thomass 1987 in München. Früh setzte sie ohne Back-up-Plan alles auf die Schauspielkarte, sammelte erste­ Erfahrungen am Münchner Volkstheater und im Jugendclub der Münchner Kammerspiele. Schnell kamen die ersten Hauptrollen, begleitet von einer Fülle an Preisen. Zunächst im Fernsehen, als Prostituierte, die einen Mord begangen hat, im Dialog mit einem Kommissar, der ihr in langen Gesprächen auf die Schliche kommt, in Dominik Grafs »Polizeiruf 110 – Er sollte tot«, eine Darstellung, für die sie schon siebzehnjährig den Bayerischen und den Deutschen Fernsehpreis und den Grimme-Preis kassierte. 

Fürs Kino wurde sie dann umgehend von Marcus H. Rosenmüller entdeckt. In seiner Trilogie »Beste Zeit«, »Beste Gegend« und »Beste Chance« lotete sie zusammen mit Anna Maria Sturm über sieben Jahre hinweg Freundschaft und Erwachsenwerden auf dem bayerischen Land und in der Welt aus und machte enormen Eindruck, obwohl sie deutlich weniger Zeit vor der Kamera verbrachte als ihre Freundin. 

Nach kleineren Rollen in Rosenmüllers »Räuber Kneißl« und Max Färberböcks ­»Anonyma – Eine Frau in Berlin« spielte sie unter der Regie von Thomas Schadt im ZDF-Doku-Drama-Biopic »Der Mann aus der Pfalz« ­die junge Hannelore Kohl und war in der Fernsehserie »Kreutzer« die Assistentin von Christoph Maria Herbst. Die Begegnung mit dem Regisseur Aron Lehmann, der sie in einer kleinen Rolle in »Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel« besetzte, mündete dann in eine Lebens- und Kreativpartnerschaft mit zwei Kindern und vielen gemeinsamen Projekten, von der Romanverfilmung »Highway to Hellas« über das anarchische Bauernmärchen »Die letzte Sau« bis zum aktuellen Film »Jagdsaison«, eine deftige Komödie um Rivalität und Freundschaft unter drei Frauen – ein Remake des gleich­namigen dänischen Films. 

»Die letzte Sau« (2016). © Neue Visionen Filmverleih

Die Figur der Eva in »Jagdsaison« hadert zwar mit ihrem Leben als verlassene Ehefrau und Teilzeitmutter in Konkurrenz mit der neuen, jüngeren, erfolgreichen Frau an der Seite ihres Ex – doch sie tut es mit schlagfertig und lässig hingeworfenem Witz und deftigen Sprüchen. Sie ist genervt, dabei aber nie weinerlich, sondern unangepasst kämpferisch. Es gibt nicht viele Frauen in Deutschland, die diese Art von Humor so schamlos locker über die Lippen flutschen lassen können. Natürlich hat sie das Glück, dass ihr Auftritt vom wissenden und liebenden Blick des Regisseurs geprägt ist, der sie sehr gut kennt und ihr eine in allen Schattierungen wunderbare Rolle verschafft, in der sie mit natürlichem Charme und furchtloser Schlagfertigkeit glänzen kann, durchaus vergleichbar mit den tollen komödiantischen Frauenrollen in den Filmen des Amerikaners Paul Feig. Was keine kleine Leistung ist fürs deutsche Kino.

So spielte Thomass eine Menge von Männern enttäuschter, verlassener, verletzter und ernüchterter Frauen, die zurückhaltend und kritisch, aber zugleich beherzt neugierig auf sich eröffnende Chancen reagieren, wie in den »Känguru-Chroniken« und jetzt in der »Känguru-Verschwörung«. Als Maria setzt sie allerlei absurde Regeln und flotte Sprüche als Schutzwall gegen neue Enttäuschungen ein, nur um sich dann doch auf den Pyjama-Nachbarn Marc-Uwe einzulassen. Aus dem Schatten der Hauptfiguren, deren Sidekick sie ist, spielt sie sich ganz selbstverständlich heraus; es scheint, als mache sie sich rar, damit man immer noch mehr von ihr zu sehen bekommen möchte, denn von ihrer unangestrengten Präsenz kann man gar nicht genug bekommen. 

Dass sie so oft mit den Erwartungen und gegen die gängigen Rollenklischees spielt, hat auch mit ihrer wuchtigen Erscheinung zu tun. Im Thriller »Jackpot« schleppt sie ihren gelähmten Mann auf dem Rücken durchs fahrstuhllose Treppenhaus, und sie beschafft und verteidigt eine Tasche voll Geld, handgreiflich und mit der Waffe. Überhaupt passt es zu ihr, dass hier zwei ganz normale Menschen, ein Maurer und eine Abschleppdienst­angestellte ein Stück vom normalen Leben vorführen, zwei Mittelschichtmenschen, die ganz unmittelbar aus dem Bauch agieren und nicht in erster Linie vom Drehbuch und aus dem Kopf gesteuert sind.

Thomass ist eine Frau, die anpacken kann, sei es im Blaumann beim Abschleppdienst in »Jackpot« oder als kämpferische »Lobbyistin« im Sumpf der politischen und wirtschaftlichen Intrigen. Im Geiste von Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf, mit deren Lektüre sie groß geworden ist, verkörpert sie ganz selbstverständlich und nur zufällig passend zum Zeitgeist eine Frau, die ganz gewiss nicht vom Mann gerettet werden muss.

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