12/2016

In diesem Heft

Tipp

10. Dezember, Wroclaw – Die 29. Verleihung des Europäischen Filmpreises findet in Polen statt. In 22 Kategorien werden die Awards verliehen, bei denen im letzten Jahr in Berlin Paolo Sorrentinos »Ewige Jugend« als bester Film ausgezeichnet wurde. Dieses Jahr darf sich ein deutschösterreichisches Projekt berechtigte Hoffnungen machen. »Toni Erdmann« ist mit fünf Nominierungen als Favorit im Rennen. Maren Ade ist für ihr Drehbuch wie für ihre Regieleistung nominiert, Peter Simonischek und Sandra Hüller konkurrieren um die Darstellerpreise. Und bei so viel geballtem Talent sprang folgerichtig auch eine Nominierung als bester Film heraus. Außerdem auf der Liste: »Room«, »Elle«, »Julieta« und »Ich, Daniel Blake«
8. Dezember bis 20. Januar, Berlin – Frank Capras Schaffen reicht vom Beginn der 20er Jahre bis knapp in die 60er Jahre hinein. Über 40 Jahre Filmschaffen, in denen er Klassiker wie Ist das Leben nicht schön?, »Mr. Smith geht nach Washington« oder »Es geschah in einer Nacht« drehte. Anders als viele seiner Kollegen hatte Capra in Hollywood schon recht früh einen Ruf aufgebaut, der ihm einiges an kreativer Freiheit bot. Das Arsenal-Kino in Berlin zeigt 25 seiner Werke, darunter sowohl sein erster Kurzfilm von 1921 als auch sein letzter Spielfilm »Die unteren Zehntausend« von 1961
3. bis 30. Dezember, Düsseldorf – Sieben Filme aus dem Schlüsseljahr 1957. Die unter anderem von Olaf Möller kuratierte Reihe »Geliebt und verdrängt« lief auf dem Filmfestival in Locarno und findet nun in Teilen ihren Weg in die Rheinstadt Düsseldorf. Unter anderem ist »Rose Bernd« von Wolfgang Staudte zu sehen, der mit Maria Schell in der Hauptrolle eine Art Heimatfilmdrama inszeniert und seine Hauptfigur mit verschiedenen Männern und Weltbildern kollidieren lässt
30. November bis 7. Dezember, Berlin – Knapp eine Woche lang werden im Rahmen der 16. Ausgabe der Französischen Filmwoche verschiedene Kinos mit den Filmen unseres Nachbarlandes bespielt. Auch die weitere frankophone Welt wird repräsentiert, etwa durch Filme aus Québec. Zur Eröffnung läuft »Jacques – Entdecker der Ozeane«, über den Meeresfilmpionier Jacques-Yves Cousteau. Etwa 15 Vorpremieren sind zu erwarten. Zu Gast sind unter anderem die Dardenne- Brüder und Wim Wenders
30. November bis 4. Dezember, Stuttgart – Die Hauptstadt des Schwabenlandes bietet zum 22. Mal dem deutschen Film ein Schaufenster. Zu den Filmpremieren werden Persönlichkeiten des deutschen Kinos anreisen; außerdem wird Erstlingswerken der ansässigen Filmhochschulen eine Leinwand geboten. Das Programm im Metropol- Kino besteht aus Spiel- und Dokumentar-, Kurz- und Animationsfilmen
25. November bis 4. Dezember – Göttingen zeigt zum 37. Mal eine Auswahl europäischer Kinoproduktionen. Neben europäischen Premieren gibt es einen Schwerpunkt zum spanischen Kino. Dabei sind kürzlich erschienene Filme wie »Julieta« oder »La Isla minima – Mörderland« noch einmal zu sehen. Auch spanische Gäste wie Eric Francés und Arturo Ruiz Serrano, Hauptdarsteller und Regisseur des Eröffnungsfilms »El destierro – Niemandsland«, geben sich die Ehre. Traditionell liegt auch ein Fokus auf dem zeitgenössischen italienischen Kino, das von Regisseur Giuseppe Gaudino als Gast repräsentiert wird
1. November bis 29. Januar, Berlin – Die letzte große Unterhaltungsreihe Fernsehdeutschlands, der »Tatort«, feierte im November ihren 1000. Fall. Anlässlich dieses Meilensteins bietet die Deutsche Kinemathek in Berlin eine Sonderschau zum »Tatort« an. Neben ausgewählten Exponaten gehören dazu auch sechs Medienstationen, die in Beispielen die Beschaffenheit des Formats reflektieren und die Rezeptionsgeschichte einschließen. Den fünf beliebtesten Tatort-Teams ist dabei eine ganz eigene Station gewidmet
18. November bis 12. März, Berlin – Im Rahmen des Programms »Immersion. Analoge Künste im digitalen Zeitalter« präsentiert der Martin-Gropius-Bau in Berlin Werke des Videokünstlers Omer Fast. In seinen Projekten bearbeitet der Israeli die Schnittstelle zwischen Dokumentation und Fiktion. Verlässlich ist in diesen Arbeiten wenig. In seinem älteren Werk »CNN Concentrated« etwa schnitt er Wortschnipsel des Nachrichtensenders CNN zu einer Collage zusammen. Fasts erster Langfilm »Remainder« lief im letzten Jahr in der Panorama-Sektion der Berlinale
Loachs jüngster Film »Ich, Daniel Blake« zeigt einen arbeitslosen Tischler im Räderwerk staatlicher Mangelverwaltung. Schnörkellos erzählt bis zum unversöhnlichen Ende, produziert er beim Zuschauer Anteilnahme und Wut
Zu Gast in der Reihe "Was tut sich – im deutschen Film?": am 18. Dezember sprich Florian Hoffmeister mit epd Film-Autor Ulrich Sonnenschein über seinen Film »Die Habenichtse«

Thema

Die Angelsachsen nennen es Impersonation: wenn man einen Menschen mit seinem Tonfall und seinen Manierismen imitiert. Schauspieler müssen das nicht können. Aber viele machen es richtig gut
Egal ob als Musketier, Politberater oder Krokodilforscher: Oliver Platt gehört zu den verlässlichsten Nebendarstellern des amerikanischen Kinos. Diesen Monat spielt er an der Seite von Naomi Watts in dem Psychothriller »Shut In«
Unsere "steile These" des Monats Dezember
Sergei Loznitsa ist als Dokumentarfilmer bekanntgeworden mit Arbeiten, die scheinbar nur beobachten, nie kommentieren. Wie sein neuer Film »Austerlitz«. Andreas Busche hat den eigenwilligen Regisseur in Berlin getroffen
Filmförderung lähmt die Phantasie? Das war vielleicht immer nur Ideologie. Für Frankreich stimmt es jedenfalls nicht. Da ist in den letzten zwanzig Jahren eine bewundernswerte Vielfalt eigenwilliger Autorenfilme entstanden. Was machen die Franzosen richtig?

Meldung

Vom 20. Oktober - 2. November zeigte die 16. Viennale , wie lebendig Filmgeschichte sein kann: von der Würdigung gelungener Remakes über die Würdigung des Zelluloids bis zu einer Präsentation kubanischer Filmwochenschauen
Christian Schwochow, 38, Regisseur, hat »Novemberkind«, »Die Unsichtbare« und »Westen« gedreht; fürs Fernsehen adaptierte er den Bestseller »Der Turm«. Jetzt startet sein neuer Film »Paula«

Filmkritik

Der Film »Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt« erzählt eine komplett andere Story als das Buch, nicht das klassische Reiseabenteuer, sondern temporeiche Action. Nicht so warmherzig – macht aber trotzdem Spaß beim Mitfiebern
Ein Filmemacher verbringt mit einer jungen Malerin einen Tag und einen Abend; man kommt sich näher, betrinkt sich. Wie immer liegt bei Hong Sang-soo, dessen bedeutendes Werk in Deutschland noch der Entdeckung harrt, der Teufel im Detail: Denn die kleine Geschichte in »Right Now, Wrong Then« wird, mit Variationen, zwei Mal hintereinander erzählt; sie erlangt aber nicht nur dadurch Größe
Ein verwitweter Arzt nimmt eher widerwillig eine lebenslustige Studentin in seine geräumige Pariser Altbauwohnung auf und lässt sich von ihr überreden, noch zwei weitere Zimmer zu vermieten. Die Konflikte sind ebenso vorhersehbar wie das schließliche Sichzusammenraufen. »Gemeinsam wohnt man besser« ist eine müde Komödie, die kaum ein Klischee auslässt
Hany Abu-Assads Film »Ein Lied für Nour« zeichnet die Karriere von Mohammed Assaf nach, der 2013 die Castingshow »Arab Idol« gewonnen hat. Innere Zustände sind dem Film wichtiger als Heldenglamour und Siegerposen
In dem umsichtig-gediegenen Biopic »Marie Curie« erzählt Regisseurin Marie Noëlle das Leben der zweimaligen Nobelpreisträgerin, ohne sie allzu sehr ins Korsett eines stickigen Kostümfilms zu stecken
Ein fast vergessenes Meisterwerk der tschechischen Neuen Welle der 60er Jahre: In wuchtigen Schwarz-Weiß-Bildern erzählt František Vláčil in »Marketa Lazarová« von der blutigen Fehde zweier Räuberclans im Mittelalter. Erzählerisch komplex und fordernd, beeindruckt das Werk mit seinem experimentellen, zwischen derbem Naturalismus und Poesie changierenden Stil. Eine halluzinatorische Winterreise in eine ferne Zeit
Ein schmutziger Roman platzt mit verstörender Wirkung mitten ins perfekt gestylte High-Society-Leben von L. A. In »Nocturnal Animals«, seiner zweiten Regiearbeit, baut Modeschöpfer Tom Ford ein raffiniertes Spannungsverhältnis zwischen zwei Erzählebenen auf, die auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sind
In »Salt and Fire«, einem surreal sprunghaften Mix aus Öko-Thriller, Terrorkomplott und Liebesgeschichte, variiert Werner Herzog noch einmal das bereits im letzten Spielfilm missglückte Queen-of-the-Desert-Motiv
Liza Johnson entwickelt in ihrem kleinen, feinen Film »Elvis & Nixon« keine ambitionierten Biografien, sie macht vielmehr aus der tatsächlich stattgefundenen Begegnung zwischen dem King des Rock'n'Roll und dem Schurkenpräsidenten eine absurde Komödie über amerikanische Mythen und Bilderwelten. Mit Michael Shannon als verstörendem Elvis
Im historischen Maler-Biopic über Paula Modersohn-Becker spiegeln sich universelle und moderne Themen wie weibliche Selbstbehauptung und die Vereinbarkeit von menschlichen Beziehungen und beruflicher Selbstverwirklichung
Pullunder-Comedian Olaf Schubert drängt es jetzt auch auf die Leinwand. Als notorischer Single soll er den Enkelwunsch seines Vaters (Mario Adorf) erfüllen und verliebt sich in eine verschrobene Wissenschaftlerin (Marie Leuenberger). Damit können aber nur die härtesten Olaf-Schubert-Fans etwas anfangen
Eine junge Ärztin sucht nach der Identität eines Mädchens, dessen Tod sie mitzuverschulden glaubt. »Das unbekannte Mädchen«, der neue Film der Brüder Dardenne, überzeugt mit behutsamer Verquickung von Krimi und Sozialkino
Das sogenannte Wunder auf dem Hudson wird in Clint Eastwoods Verfilmung »Sully« zur ur­amerikanischen Geschichte eines Helden, der sich gegen Bürokraten durchsetzen muss, vom Volk aber gleich erkannt wird. Auch Tom Hanks kann da nur wenige Nuancen dazutun
Von den Machern von »Zoomania« und »Die Eiskönigin« – mit diesem Werbeslogan setzt der neue Disneyfilm »Vaiana« Erwartungen, hinter denen er dann aber weit zurückbleibt, weil er einmal mehr eine schon oft gesehene Story erzählt, nur diesmal mit einem pazifisch anmutenden Bilderspektrum
Um sein vor der Pleite stehendes Musik­theater zu retten, setzt ein New Yorker Impresario alles auf eine Castingshow mit Unbekannten. Die wenig originelle Geschichte von »Sing«, dem neuen Animationsfilm von Illumination Entertainment (»Pets«), verfügt allerdings über einige originelle Figuren und beweist in einigen Nummern musikalisches Gespür
Thematisch reizvolles, dramaturgisch und schauspielerisch nur bedingt überzeugendes Protokoll eines inneren Niedergangs: Florian Eichinger erzählt in »Die Hände meiner Mutter« von den Spätfolgen des Missbrauchs eines kleinen Jungen durch seine Mutter
Das Porträt des Komponisten, Sängers und »Enfant terrible« Zappa zeichnet anhand von klug montierten Archivfundstücken das facettenreiche Bild eines Künstlers, der populäre und »ernste« Musik vereinte und dessen Kritik an Bigotterie und Beschränktheit nichts von ihrer Schärfe eingebüßt hat
Vier Jahre nach »Paradies: Liebe« geht Seidl wieder – diesmal dokumentarisch – nach Afrika und nimmt dabei auch einen der Protagonisten von »Im Keller« (2014) als peinlich anmutende komische Nebenfigur mit. Auch sonst macht er es sich zu einfach, sodass man in »Safari« weder über Namibia oder Österreich noch über das Jagdwesen etwas einigermaßen Erhellendes erfährt
Ansehnlich inszenierte, aber oberflächliche Biografie des Meeresforschers und Filmemachers Jacques-Yves Cousteau, der vor allem während der 50er und 60er Jahre als Mann mit der roten Wollmütze an die 100 Filme produzierte und drei Oscars einheimste
Kameramann Christopher Doyle porträtiert seine Wahlheimat Hongkong mit der ihm eigenen kursorischen Bilderhandschrift. Impressionen einer Stadt im permanenten Übergang und dauernder Aufregung, wunderbar anzuschauen, aber eher stimmungsvoll denn sinnhaft
Marokko, 1942: Geheimagent Max (Brad Pitt) und Widerstandskämpferin Marianne (Marion Cotillard) lernen sich bei einem Einsatz gegen die Nazis in Casablanca kennen. Die beiden verlieben sich und gründen eine Familie, bis Max offenbart wird, dass seine Frau womöglich eine Doppelagentin ist. »Allied«, der romantische Thriller von Robert Zemeckis, ist eine Hommage an Steven Spielberg – und an »Casablanca« vom Michael Curtiz
Der vielversprechend beginnende Psychothriller »Shut In« mit Naomi Watts als Kinderpsychologin erweist sich als konventioneller Aufguss zahlreicher bekannter Motive
Sergei Loznitsas neuer Film »Austerlitz« bewegt sich zwischen Dokumentation und Essay, könnte aber auch gut als Videoinstallation funktionieren: Er macht den Kinozuschauer zum Beobachter der Besucher einer Konzentrationslagergedenkstätte und bringt so die Widersprüche zwischen Gedenken und Tourismus hervor
Der deutsche Verleihtitel der Komödie »Alle Farben des Lebens« ist ein wohlig doppeldeutiges Plädoyer für Diversität: Die Verhältnisse in einem unorthodoxen, drei Generationen umfassenden Frauenhaushalt (prächtig besetzt mit Susan Sarandon, Naomi Watts und Elle Fanning) in New York müssen neu sortiert werden, als der/die Jüngste sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen will
Vor dem Hintergrund von 9/11: ein Paar in der Krise. Florian Hoffmeisters Romanverfilmung »Die Habenichtse« ist nicht immer rund, aber visuell faszinierend
In einem tristen österreichischen Vorort erschießt ein Polizist einen jugendlichen Supermarkteinbrecher. »Einer von uns« ist ein fantastisch fotografierter Film über die Ödnis
Ein Zauberer stürzt mit seinen magischen Kreaturen versehentlich New York ins Chaos. Das Harry-Potter-Spin-Off »Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind«, Beginn einer neuen Serie, ist originell, erzeugt aber durch inhaltliche Überfrachtung und weitgehende Humorlosigkeit vorerst gemischte Gefühle
Simon Verhoevens Komödie »Willkommen bei den Hartmanns« spürt mit schnellen Pointen und einer Prise politisch-inkorrektem Humor die komischen Dissonanzen zwischen Mitgefühl und kultureller Ignoranz in der bundesdeutschen Willkommenskultur auf
»Haunted« ist ein Dokumentarfilm zwischen Ästhetik und rauer Unmittelbarkeit, der neun Menschen zu Wort kommen läßt, die in Damaskus leben, beziehungsweise gerade aus der Stadt geflohen sind. Opfer des Krieges sind sie alle

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